Uruguay wird neoliberal umgebaut

Der neue, rechte Präsident Luis Lacalle Pou peitscht »Reformpaket« im Eilverfahren durch

  • Jürgen Vogt
  • Lesedauer: 4 Min.

»Ich brauche dieses Instrument, um zu regieren.« Nahezu täglich wiederholte Uruguays rechter Präsident Luis Lacalle Pou seit seinem Amtsantritt am 1. März diese Forderung. Mit dem Instrument ist ein großes Reformpaket gemeint, mit dem der konservative Präsident das Land nach 15 Jahren linker Regierungspolitik auf den rechten Kurs bringen will. Vergangene Woche wurde es vom Kongress beschlossen, am Freitag setzte es der Präsident in Kraft.

476 Artikel umfasst das sogenannte Ley de Urgente Consideración. Deren Inhalte reichen von Verschärfungen beim Strafrecht, Änderungen beim Bildungs- und Arbeitsrecht bis zur Flexibilisierung von Tarifverhandlungen. In einem von der Verfassung erlaubten Eilverfahren hatte es Lacalle Pou dem Kongress am 23. April vorgelegt. Maximal 90 Tage hatten die Parlamentarier*innen Zeit, um über Änderungen zu beraten und dafür eine Mehrheit zu finden. Ohne Einigung im Kongress wäre das Paket direkt und unverändert in Kraft getreten.

Der Plan Lacalle Pous, mit dem Eilverfahren die Mandatsträger*innen seiner bunt gemischten Fünfparteienkoalition zu disziplinieren, ging auf. Bereits 15 Tage vor Ablauf der Frist hatten beide Kammern allen Artikeln zugestimmt. Die Regierungskoalition ist ein Mix aus traditionell rechtskonservativen, ultrarechten sowie kleinen liberalen Parteien. Zusammen stellten sie in beiden Kammern die Mehrheit. Und mit dem Eilverfahren verhinderte er eine potenzielle Verzögerungstaktik der oppositionellen linken Brente Amplio (FA), die bis März 2020 für 15 Jahre die Regierung gestellt hatte. »Wir haben es wenigstens geschafft, dieses extrem schlechte Vorhaben weniger schlecht zu machen«, so das resignative Fazit von FA-Senator Mario Bergara. So konnte beispielsweise durchgesetzt werden, dass bei der Ausarbeitung einer Studie über den aktuellen Stand der sozialen Sicherheit auch Vertreter*innen von Gewerkschaften und sozialen Basisorganisation teilnehmen.

Umstritten waren vor allem die Gesetzesverschärfungen, mit denen der Präsident für mehr Sicherheit sorgen will. Erweitert wurde unter anderem das Konzept der Selbstverteidigung von Polizei und Militärs. Kritiker*innen befürchten, dass zukünftig schneller geschossen wird - mit tödlichen Folgen. Zudem ist jetzt auch pensionierten Angehörigen von Polizei und Militär das Waffentragen in der Öffentlichkeit erlaubt.

Verschärft wurden das Streik- und das Demonstrationsrecht. Ab sofort haben Nichtstreikende das Recht auf den Zugang zu ihren Arbeitsplätzen und die Unternehmensleitungen Zugang zu den jeweiligen Einrichtungen. Dazu fügt sich, dass jetzt Proteste mit Blockadeaktionen verboten sind, »die den freien Verkehr von Personen, Waren oder Dienstleistungen beeinträchtigen« und diese von der Polizei aufgelöst werden können. Dazu passend kann nun mit bis zu 18 Monaten Gefängnis bestraft werden, »wer die Polizei behindert, beleidigt, verletzt, mit Objekten bewirft oder bedroht«.

Wirtschaftspolitisch bedeuten die Änderungen keinen grundlegenden Richtungswechsel. Schon vor Lacalle Pous Amtsantritt war Uruguay weltmarktoffen aufgestellt. Längst existierten Freihandelszonen und ist das liberale Finanzsystem allgemeiner Konsens. Eine kleine Änderung dürfte dennoch große Wirkung erzielen. Löhne können zukünftig auch bar ausgezahlt werden, ebenso wie größere Finanztransaktionen bar abgewickelt werden können. Die staatliche Kontrolle über Herkunft und Geldfluss ist ausgehebelt. Die Gewerkschaften warnen so auch vor einer Zunahme der informellen Beschäftigungsverhältnisse.

Breite Zustimmung im Kongress erhielt lediglich die Einrichtung des neuen Umweltministeriums. Das 2015 von der Vorgängerregierung geschaffene Sekretariat für Klimawandel wurde abgeschafft. Das Gesamtpaket wurde dagegen nur mit den Stimmen der rechten Koalitionsmehrheit angenommen. »Große Befriedigung über dieses notwendige, gerechte und volksnahe Instrument«, twitterte Präsident Lacalle Pou dennoch freudig.

Uruguays 46-jähriger Präsident erfährt wegen der Handhabung der Coronakrise großen Rückhalt durch die Bevölkerung. Als am 13. März die ersten Infektionsfälle entdeckt wurden, verhängte Lacalle Pou noch am selben Tag den Gesundheitsnotstand, ließ Landesgrenzen und Schulen schließen sowie alle Großveranstaltungen mit Publikum verbieten. Statt einer obligatorischen Quarantäne forderte er seine Landsleute zum freiwilligen Zuhausebleiben auf. Die Bevölkerung zog mit, die Zustimmungswerte für die Maßnahmen erreichten zeitweilig bis zu 90 Prozent.

»Uruguay ist das einzige Land in Südamerika, dessen Inzidenzrate in den vergangenen Wochen regelmäßig sinkt«, lobte gerade die Panamerikanische Gesundheitsorganisation. Aktuell sind 985 Infektionsfälle und 30 Todesfälle registriert (Stand Samstag). Zwar hat Uruguay mit knapp 3,5 Millionen eine überschaubare Einwohner*innenzahl, aber das Land verfügt über ein allgemeines Gesundheitssystem, das zum erfolgreichen »Testen - Tracken - Isolieren« eingesetzt werden konnte. Dass aber dieses Gesundheitssystem in den vorangegangenen 15 Jahren nicht kaputtgespart wurde, ist den drei Mitte-links-Vorgängerregierungen zu verdanken.

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