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- 1. FC Union
»Wenn wir nicht schreien«
Der Plan des 1. FC Union, schnellstmöglich wieder vor Fans Fußball zu spielen, wird heiß diskutiert
Als Diskussionsgrundlage versteht der 1. FC Union seinen Vorstoß nicht, zumindest nicht offiziell. Der Berliner Bundesligist ist festen Willens, mit Beginn der kommenden Saison wieder in einer ausverkauften Alten Försterei Fußball zu spielen. »Um das zu erreichen, arbeitet der 1. FC Union Berlin darauf hin, seine Mitarbeiter und alle 22 012 Karteninhaber am Spieltag auf eine Infektion mit dem Coronavirus zu testen. Zugang zum Stadion erhält man dann mit einer gültigen Eintrittskarte und einem negativen Testergebnis, das zum Zeitpunkt der Stadionschließung nicht älter als 24 Stunden sein darf«, erklärte der Verein am Freitagabend. Dass darüber seitdem dennoch heiß diskutiert wird, damit werden die Berliner wohl gerechnet haben.
Eine ganz große gesellschaftliche Debatte wie Mitte Mai, als sich der Profifußball mit dem Neustart seiner Bundesligen von vielen Seiten den Vorwurf einer Sonderrolle gefallen lassen musste, haben die Pläne von Union Berlin noch nicht entfacht. Das mag auch daran liegen, dass das Hygeniekonzept des Ligaverbandes DFL und des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) gut funktioniert hat. Und es dient nicht nur hierzulande vielen anderen Sportarten als Vorbild.
Eine weiterreichende Vorbildfunktion des Fußballs wünscht sich Fritz Keller. »Mein Traum wäre es, über Testungen irgendwann auch wieder ein volles Stadion zu kriegen. Das wäre nicht nur für den Sport, sondern für den Kulturbetrieb und die Wirtschaft wichtig«, sagte der DFB-Präsident - und unterstützt damit zumindest vage das Konzept des 1. FC Union. Gleichzeitig betonte Keller, dass man weiterhin auf die Wissenschaftler hören müsse. Die DFL hält sich bislang bedeckt und verweist auf laufende Gespräche mit dem Bundesgesundheitsministerium. Die Verantwortung für die kommende Saison, die in der 1. Bundesliga am 18. September beginnen soll, hatte der Ligaverband bereits schon vorher weitergereicht. Im Gegensatz zur gerade beendeten Spielzeit wird es kein zentrales Hygiene- und Sicherheitskonzept mehr geben. Ob vor Zuschauern gespielt werden kann, sollen die Behörden vor Ort entscheiden. Auch das spricht für das Konzept der Köpenicker, die es dem zuständigen Gesundheitsamt des Stadtbezirks Treptow-Köpenick und des Landes Berlin alsbald vorstellen wollen.
Etwas weniger zuversichtlich dürften den 1. FC Union die ersten Wortmeldungen aus der Wissenschaft stimmen. Harald Renz beispielsweise führt die sogenannte »diagnostische Lücke« an. »Es kann vorkommen, dass bei einem Infizierten das Coronavirus zum Zeitpunkt des Tests noch nicht nachweisbar ist, er aber später beim Spiel bereits ansteckend ist«, erklärte der Direktor des Instituts für Laboratoriumsmedizin, Pathobiochemie und Molekulare Diagnostik an der Uniklinik Marburg. Der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit verweist darauf, dass es bei nicht optimal durchgeführten Tests auch immer wieder zu falschen Negativ-Ergebnissen kommen könne. Eine Lösung dafür sieht der Mediziner Klaus-Dieter Zastrow. »Zwei Tests für Fans vor dem Spiel«, hält das Mitglied der Hygienekommission des Bundesinstituts für Risikobewertung für »technisch möglich und verantwortbar«.
Die Kosten dafür sind enorm. Tragen will sie der 1. FC Union allein, auch wenn sie die Spieltagseinnahmen in einer ausverkauften Alten Försterei weit übersteigen dürften. »Wenn wir nicht singen und schreien dürfen, dann ist es nicht Union«, erklärte Präsident Dirk Zingler den Vorstoß des Vereins: »Uns geht es darum, den Menschen den Fußball zurückzugeben, den sie lieben und nach dem sie sich sehnen.« Um ein weiteres Mal den Klassenerhalt zu schaffen, benötigt auch die von Kampf und Leidenschaft lebende Mannschaft des Köpenicker Bundesligisten die Unterstützung von den Rängen. Welch große Schwierigkeiten sie ohne Fans hat, zeigten die ersten Spiele nach dem Neustart im Mai.
Andere Klubs arbeiten an eigenen Konzepten, die meisten planen mit teilweise gefüllten Stadien. Wie der Hamburger SV. Dessen Finanzchef Frank Wettstein meinte: »Rechnet man die Idee aus Berlin auf den gesamten Profifußball hoch, müssten jedes Wochenende 500 000 Menschen getestet werden.« Der 1. FC Union lotet derweil verschiedene Möglichkeiten aus, »die in ausreichender Menge zur Verfügung stehenden Testkapazitäten einsetzen zu können«. Neben Gesprächen mit dafür möglichen Partnern wird es auch Treffen mit politischen Entscheidungsträgern geben. Offen dafür ist immerhin Berlins Sportsenator Andreas Geisel. »Wir werden uns zeitnah mit der Vereinsführung treffen, um über das Konzept zu sprechen«, sagte der SPD-Politiker. Bislang gilt in Berlin jedenfalls, dass Großveranstaltungen mit mehr als 5000 Menschen bis zum 24. Oktober verboten sind.
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