Das ist beinahe Körperverletzung

Weiter Weg zum Olymp: In der Sportdokumentation «Unraveling Athena» schildern Tennisspielerinnen, wie sie sich in einer von Männern dominierten Umgebung durchgesetzt haben.

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn du nach Ithaka aufbrichst«, zitiert ein Sprecher mit dräuender Stimme Homers glorreiche »Odyssee«, »wünsche dir, dass der Weg ein langer ist.« Denn der Weg gen Himmel sei voll von Abenteuern, die zu entdecken sich lohnt - sofern man sie in Herz und Seele vordringen lässt. Die Stimme kommt aus einem profanen Fernsehgerät.

Wer diese gesalbten Worte zu Beginn einer simplen Sportdokumentation hört, fragt sich womöglich: Geht’s vielleicht auch etwas weniger pathetisch als mit griechischer Mythologie? Offenbar nicht.

Nicht dann zumindest, wenn es um große Tennisspielerinnen im Dutzend geht, einen Center Court voll von Weltranglistenersten vergangener wie gegenwärtiger Zeiten, die der spanische Filmemacher und Tennisfan Francis Amat für seinen Film »Unraveling Athena« vors Objektiv bekommen hat, als hätten sie nur auf diesen Moment gewartet, ihm in aller Ruhe und Sorgfalt ihre Karrieren zu erklären: Billie Jean King und Tracy Austin, Chris Evert und Martina Navratilova, Martina Hingis und Monica Seles, Kim Clijsters und Justine Henin, Angelique Kerber, und natürlich die Williams-Sisters, wenngleich nur aus dem Archiv.

Fast frei von emotionaler - und dank der rechtzeitigen Fertigstellung auch körperlicher - Distanz schildern die Besten ihrer jeweiligen Epoche eine Leidenschaft für den einst weißen Sport, der auch durch sie längst vielfältig geworden ist. Es geht im Dokumentarfilm »Unraveling Athena« um ehrgeizige Eltern und aufopferungsvolle Trainer, kalkulierende Manager und Funktionäre jeder Art, die Karrieren von beispielloser Wucht gefördert haben und das Tennis der Frauen somit nach Jahrzehnten männlicher Vormachtstellung so gleichberechtigt gemacht haben, wie es im Spitzensport sonst allenfalls noch das Dressurreiten zustande bringt.

Die Analogien zur sagenumwobenen Antike, die Zitate asiatischer Philosophen und eine permanente Kanonade handelsüblicher Phrasen - vom Zweifel, den es zu besiegen, bis zur Komfortzone, die es zu verlassen gilt - sind angesichts solch faszinierender Protagonistinnen also nicht ganz unberechtigt. Der unsichtbare Regisseur bringt sie, perfekt choreografiert, schließlich auf eine Art zum Reden, die weit über das Abfragen standardisierter Sportplattitüden hinausgeht. Dass es dennoch so schwer, ja fast unmöglich ist, das alles zu ertragen, liegt allerdings ebenfalls an Francis Amat.

Der nämlich ist im Haupterwerb Filmkomponist statt Autor und hätte mal besser Arbeitsteilung betrieben. Denn wie er beeindruckende Archivaufnahmen aus den fünf Jahrzehnten des Kampfes um Anerkennung in öligen Überwältigungsquark tunkt, wie er die unablässig gezeigten Kinderaugen beim Nachwuchstennis mit Geigenteppichen versieht, wie er vom Off-Sprecher bis zum Voice-Over jeden noch so belanglosen Ton hyperdramatisiert, als gelte es, hier die Welt und kein Match zu gewinnen, das grenzt beinahe an Körperverletzung - und ist leider nicht der einzige Makel dieser sonst lehrreichen Dokumentation.

Denn so dankenswert es auch ist, dass die Geschichte des Befreiungskampfes der Frauen im Sport in den 1970er Jahren - vor allem dank der fabelhaften Martina Navratilova - ebenso nachvollziehbar wird wie die Entbehrungen solcher großer Athletenkarrieren von heute: Letztlich hält »Unraveling Athena« doch wenig Distanz zum Berichtsgegenstand. In Sportdokumentationen ist das nicht unüblich. Wenn durch das Bekenntnis aller Beteiligten zur Einzigartigkeit ihres Berufs jedoch verdrängt wird, wie unerbittlich, ja fast schon militärisch Nachwuchssportler in diesem Milliardengeschäft namens Profisport auf Leistung gedrillt werden, betreibt auch dieser Film letztlich die übliche Augenwischerei und macht Helden aus den Beteiligten - auch wenn es hier ausnahmsweise mal Heldinnen sind, die der toxischen Männlichkeit ihrer Branche einst Paroli boten.

Dass die 100 Minuten dieser Dokumentation, wenn schon nicht hörens-, dann doch zumindest sehenswert bleiben, liegt also vor allem am Defilee der weiblichen Superstars, für das auch Steffi Grafs frühere Rivalin Arantxa Sánchez Vicario als Koproduzentin verantwortlich sein dürfte. Ärzte, Trainer, Funktionäre, die zwischendurch immer mal wieder zu Wort kommen, sind dagegen mehrheitlich Männer. Der Weg zum Olymp der Emanzipation ist eben auch im Tennis noch weit.

»Unraveling Athena« auf Amazon Prime.

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