- Kommentare
- Femizide
Jeden zweiten Tag
Femizid muss als strafverschärfendes Merkmal in das Gesetzbuch aufgenommen werden, fordert die Schriftstellerin Bettina Wilpert.
Es passiert jeden zweiten bis dritten Tag in Deutschland. Am Montag, den 06.07.2020, passierte es in Obergünzburg im Allgäu: Ein Mann erstach seine Ex-Frau am helllichten Tag in einem Bus. Die Frau verstarb anschließend im Krankenhaus, ihr Ex-Partner wurde vorläufig festgenommen. Mal wieder bezeichnete die Polizei die Tötung in ihrer Pressemitteilung als »Beziehungstat« und die meisten Medien übernahmen diesen leeren Begriff. Immerhin schrieben sie nicht »Familientragödie« oder »Eifersuchtsdrama«. Doch den passenden Begriff verwendeten sie auch nicht: Femizid. Analog zu dem englischen »homocide«, der Tötung eines Menschen, bezeichnet Femizid die Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts. Erst durch die Frauenbewegung niunamenos (keine mehr) aus Lateinamerika wurde das Phänomen auch in Deutschland bekannt. Inzwischen gibt es in vielen deutschen Städten keinemehr-Gruppen, die sich dafür einsetzen, dass die strukturelle Tötung von Frauen durch Männer als gesellschaftliches Problem anerkannt wird.
2018 verzeichnet die Statistik Partnerschaftsgewalt des BKA 122 Tötungen beziehungsweise Körperverletzungen mit Todesfolge von Frauen durch Männer, 2017 waren es 147. Die WHO verwendet den Begriff Femizid und in Argentinien, Mexiko oder Uruguay ist er ein eigener Straftatbestand. In Deutschland fordert unter anderem die Zentrale Informationsstelle der Autonomen Frauenhäuser eine Reform des Tötungsstrafrechts: Femizid soll als strafverschärfendes Merkmal im Strafgesetz eingeführt werden.
Auch der Deutsche Juristinnenbund forderte 2019 in einem Thesenpapier die angemessene Bestrafung von sogenannten Trennungstötungen. Das deutsche Strafrechtssystem unterscheidet zwischen Mord und Totschlag. Während sogenannte Ehrenmorde durchgehend als Mord aus niedrigen Beweggründen bestraft werden, gilt dies bei Trennungstötungen nicht. Diese werden überwiegend als Totschlag bestraft. Bei »Ehrenmorden« aus einer vermeintlichen migrantischen Community heraus werden patriarchale Denkmuster anerkannt, aber es wird nicht gesehen, dass es unter Deutschen das gleiche Problem gibt. Das gibt es ja nur bei den Anderen. Dieses Denkmuster ist rassistisch. Egal in welchem Milieu ein Femizid geschieht: Die Strafverfolgung muss einheitlich sein.
Zwei Drittel der Femizide in Deutschland passieren während oder nach dem Ende einer Beziehung. Wenn die Trennung von der Frau ausging, werden die Täter oft wegen Totschlags verurteilt und nicht wegen Mordes aus niedrigen Beweggründen. Mit solchen Urteilen betreiben Gerichte eine Täter-Opfer-Umkehr.
Obwohl die BRD bereits 2017 die Istanbul-Konvention, das Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, ratifizierte, lässt die vollständige Umsetzung auf sich warten. Die Aufnahme des Tatbestands Femizid in das Strafrecht würde einerseits die Konvention erfüllen, andererseits würde sich die gesellschaftliche Sensibilisierung für dieses Problem erhöhen. Zudem könnten Femizide dann auch statistisch erfasst werden. Dabei sollte es auch eine gesonderte Statistik über Gewalt gegen Transpersonen geben, die bisher nicht geführt wird, obwohl diese häufiger Gewalt und Diskriminierung ausgesetzt sind.
Grundsätzlich muss viel früher gehandelt werden, bevor Tötungsverbrechen an Frauen überhaupt passieren. Oft gehen häusliche Gewalt oder Stalking einem Femizid voraus. Frauenhäuser sind eine wichtige Anlaufstelle für Betroffene von häuslicher Gewalt, doch in Deutschland gibt es zu wenig Plätze. Gemäß der Istanbul-Konvention sollte es 21 400 Betten in Frauenhäusern geben in Deutschland sind es nur 6800. Obwohl der Bund 120 Millionen Euro in den Ausbau der Frauenhäuser investiert, sind die Gelder ausschließlich für bauliche Maßnahmen und zum Beispiel nicht für Beratung vorgesehen.
Es muss eine flächendeckende Finanzierung von Frauenhäusern und Beratungsstellen geben. Femizid muss als Straftatbestand ins Strafrecht aufgenommen werden. Das sind wichtige Schritte im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.