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Kleine linke Welle – in Texas!

Parteilinke haben Dienstagnacht bei den Stichwahlen der US-Demokraten in Texas mehrere Wahlsiege errungen

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 6 Min.

Bernie Sanders hat seine Kampagne beendet, doch die Revolution geht weiter. Ein bisschen zumindest, selbst in der sich wandelnden Konservativen-Hochburg Texas. Bei den Demokraten-Vorwahlen konnten sich Dienstagnacht mehrere Parteilinke durchsetzen. »Progressive haben sich in allen Vorwahlen durchgesetzt, in denen es ideologisch polarisierte Wahlkämpfe gab«, schrieb der Beobachter und Journalist Daniel Nichanian, der sich auf die Lokalwahlen und Justizreform spezialisiert. In Zeiten von Black Lives Matter überzeugte das Programm von Jose Garza offenbar viele Wähler. Der Pflichtverteidiger wurde mit über 30.000 Stimmen Vorsprung zum Staatsanwalt von Travis County, dem fünftgrößten Landkreis in Texas rund um dessen Hauptstadt Austin, gewählt.

Der Aktivist und Vorstand der NGO »Workers Defense Project« will anders als seine Vorgängerin, die jährlich Tausende Menschen wegen Marihuana-Besitz angeklagt hatte, dies nicht mehr tun. Er will außerdem gegen Polizeigewalt vorgehen und setzt sich auch für eine Abschaffung der Kautionszahlungen ein, die sich arme Amerikaner oft nicht leisten können und deswegen zum Teil monatelang vor ihrem Gerichtsverfahren im Gefängnis sitzen. Rund 68 Prozent der Stimmen holte Garza, der mit seinem Wahlsieg Teil einer Welle progressiver Herausforderer bei Staatsanwaltschaftswahlen im ganzen Land ist, die der alten »Law and Order«- und »Drogenkrieg«-Politik zunehmend ein Ende bereitet.

Garza ist auch Mitglied der Democratic Socialists of America. »Garzas Sieg wurde ermöglicht durch eine breite Koalition der Arbeiterklasse, die sich um den Slogan 'Defund The Police' gesammelt haben das Justizsystem transformieren wollen«, jubelte die DSA-Ortsgruppe in Austin in einer Erklärung. Die DSA-Aktivisten hatten in den letzten Monaten Haustürwahlkampf für Garza gemacht und zusätzlich tausende Wähler telefonisch kontaktiert. Der Pflichtverteidiger war auch von lokalen Gewerkschaften und Bernie Sanders unterstützt worden.

Weil Travis County sehr demokratisch ist, ist die Wahl von Garza im November so gut wie sicher. Bei den Stichwahlen in Texas traten je nach Amt und Wahlkreis die beiden führenden Kandidaten aus der Vorwahl im März erneut an, wenn kein Kandidat die 50-Prozent-Marke übersprungen hatte.

Grund zum Jubel hatten linke Aktivisten und Demokraten auch in drei Kongresswahlkreisen. In »Texas 10« zwischen Austin und Houston setzte sich der Lehrer und Bürgerrechtsanwalt Mike Siegel mit 54 zu 45 Prozent durch gegen den indischstämmigen Arzt Pritesh Gandhi. Der war von außen auch von Lobbyisten, die progressive Demokraten aus dem US-Kongress fernhalten wollen, unterstützt worden. Siegel, der etwa mit der Unterstützung der Einführung einer allgemeinen staatlichen Krankenversicherung Medicare for all oder einem Green New Deal alle wesentlichen linken Programmpunkte unterstützt, war unter anderem von den Aktivisten von »Sunrise Movement« unterstützt worden. »Wir haben mehr als 100.000 Anrufe allein in dieser Woche für ihn gemacht«, erklärte die linke Organisation, die gegen die Klimakrise kämpft, auf Twitter.

Siegel war schon 2018 Demokraten-Kandidat für den Wahlkreis, der bisher in Republikanerhand ist. Vor zwei Jahren verlor er knapp mit 4,3 Prozent Rückstand. Doch wenn Amerikas Vororte in der Ära Trump wie bisher weiterhin immer mehr von den Republikanern abrücken und wenn Joe Biden im November in Texas gut abschneidet, könnte er Siegel mit »über die Ziellinie hieven«.

In »Texas 24« zwischen Dallas und Fort Worth gewann Candace Valenzuela die Stichwahl mit 58 zu 41 Prozent gegen die Armeeoffizierin Kim Olson. Valenzuela ist in ihrem Programm etwas weniger links als Siegel. Sie war von progressiven Politikern aus Texas wie Julian Castro und mehreren Senatoren wie Elizabeth Warren unterstützt worden und setzt sich als ehemalige Obdachlose und Opfer häuslicher Gewalt für mehr sozialstaatliche Hilfe für US-Amerikaner ein. Würde sie gewählt im November, wäre sie erste Afrolatina im US-Kongress.

Die Republikaner gewannen den Wahlkreis 2018 noch mit 3,1 Prozentpunkten Vorsprung. Doch laut dem Wahlanalysten David Wassermann vom unabhängigen Cook Political Report ist es »schwer einen Wahlbezirk zu finden, der sich so schnell wandelt«. 2012 gewann der Präsidentschaftskandidat der Republikaner den Wahlkreis noch mit 22 Prozentpunkten Vorsprung. Seither ist die Bevölkerung wegen Migration aus dem In- und Ausland diverser und demokratischer geworden.

Im 31. Wahlbezirk von Texas in den nördlichen Vororten von Austin setzte sich Donna Imam durch. Wie ihre Konkurrentin unterstützt sie Medicare for all, hier gab es also einen weniger scharfen ideologischen Kontrast. Auch diesen Wahlkreis hatten die Republikaner nach langjähriger Vorherrschaft 2018 nur noch mit 2,9 Prozent Vorsprung gewonnen. In den drei anderen Kongresswahlbezirken, wo Stichwahlen nötig wurden, weil im März kein Kandidat über 50 Prozent kam, haben die Demokraten im November wenig Chancen auf einen Wahlsieg.

Bereits bei den Zwischenwahlen 2018 hatten die Demokraten den Republikanern in Vorort-Wahlkreisen in Texas zwei Kongresssitze abgenommen. In einem halben Dutzend, darunter »Texas 10«, sowie den Wahlkreisen mit der Nummer 24 und 31, verfehlte man den Sieg nur knapp. Sollten im November auch die progressiven Kandidaten Siegel, Valenzuela und Imam erfolgreich sein, würde dies ein wichtiges Argument gegen die Parteilinke schwächen: In Wechselwählerbezirken müsse man »moderate« Kandidaten aufstellen, so die Logik des Demokraten-Establishments.

Auch im Staatsparlament machten progressive Kandidaten in drei der sechs notwendig gewordenen Stichwahlen »Boden gut«. Sie bezwangen zwei konservativere Demokraten-Amtsinhaber knapp und setzten sich in einem Fall in einem »offenen Wahlkreis« durch, in dem der vorherige Amtsinhaber nicht zur Wiederwahl angetreten war. In einem Wahlkreis in Houston gelang es einer progressiven Demokratin, eine Demokraten-Abgeordnete zu besiegen, die sich in den Augen der Parteilinken als Unterstützerin von Privatschulen negativ profiliert hatte. Bei den Wahlen im November geht es auch um die Vorherrschaft im 150 Sitze großen Staatsparlament. Schon 2018 eroberten die Demokraten 12 Sitze, nun könnten sie mit dem Gewinn von neun Sitzen eine knappe Mehrheit erreichen. Mit der Registrierung neuer Wählern wollen sie versuchen, ein Dutzend Sitze zu gewinnen, die 2018 nur knapp von den Republikanern gewonnen wurden.

Offenbar nicht durchsetzen konnte sich dagegen der von progressiven Gruppen und auch der im März unterlegenen Parteilinken-Kandidatin Cristina Tzintzún Ramirez unterstützte Senator Royce West in der Demokraten-Vorwahl für den US-Senat. Die eher konservative Ex-Soldatin Mary Hegar gewann mit laut derzeitigem Auszählungsstand 52 zu 47 Prozent der Stimmen. Doch ähnlich wie in der Senatsvorwahl in Kentucky war die Wahl knapper als zuvor erwartet. Auch die progressive Demokratenkandidatin für den Staatssenat, Sara Stapleton-Barrera, verlor ihre Stichwahl. Sie war gegen einen langjährigen konservativen Amtsinhaber angetreten. Eddie Lucio ist der einzige Demokrat, der im Staatsparlament für ein trans-feindliches Republikanergesetz gestimmt hatte.

Damit ist Lucio ein politischer Dinosaurier, denn seine Partei driftet landesweit und auch in Texas nach links. Im Mitte Juni beschlossene neuen Parteiprogramm – anders als bei der Präsidentschaftsvorwahl im März setzte sich der Bernie-Sanders Flügel unter den Parteidelegierten durch – stehen nun linke Forderungen wie Medicare for all, ein Green New Deal, die Abschaffung der US-Abschiebebehörde ICE. Außerdem fordert die Partei in Texas jetzt ein Jahresgehalt für Lehrer von 60.000 US-Dollar, Reparationen für die Nachfahren von Sklaven und die Entkriminalisierung von Grenzübertritten.

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