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Für Veränderung braucht es Reibung
Dunja Hayali ist in der Sommerpause mit ihrem Talkmagazin wieder auf Sendung - immer donnerstags
Frau Hayali, worum geht es bei der ersten von fünf neuen Folgen Ihres alten Talkmagazins? Coronakrise, Rassismus - oder beides?
Um mein Herzensthema, mit dem ich mich dankenswerterweise jedes Jahr aufs Neue durchsetzen kann: die Pflege. Allerdings lässt sie sich schon deshalb kaum von der Coronakrise trennen, weil das Virus zwar keinen Unterschied zwischen den Menschen macht, aber noch mal mit besonderer Härte gezeigt hat, wie unterschiedlich es sich auswirken kann.
Die Tochter irakischer Christen aus Mossul, 1974 in Datteln geboren, hat an der Deutschen Sporthochschule in Köln Medien und Kommunikation studiert und begann 2007 als Moderatorin der »Heute«-Nachrichten beim ZDF. Im Sommer 2015 vertrat sie erstmals die Talk-Masterin Maybrit Illner mit dem »ZDF-Donnerstalk«, der seit 2017 unter dem Titel »Dunja Hayali« ausgestrahlt wird. Ab heute ist sie wieder fünf Donnerstage hintereinander mit ihrem Talkmagazin auf Sendung (22.15 Uhr). Mit der Journalistin sprach Jan Freitag.
In welcher Sesselbesetzung diskutieren Sie Ihr Herzensthema?
Wie immer mit Entscheidungsträgern und Entscheidungsträgerinnen, in der ersten Sendung mit Gesundheitsminister Jens Spahn sowie Fachleuten und Betroffenen. Anders ist ab sofort allerdings, dass ich nach der Runde ein - je nach Gast - intensives, kompaktes, streitbares, verständnisvolles, nachhakendes Einzelgespräch führe, das ans vorherige Thema anschließen kann, aber nicht muss.
Werden die Themen Ihres diesjährigen Talkmagazins herrschende Debatten aufgreifen oder davon abweichen, um nicht immer nur zu diskutieren, was ohnehin alle Welt bespricht?
Kommt auf den Zugang an, den mein Team und ich finden oder haben. Manche Themen scheinen oberflächlich betrachtet ausgelutscht, aber der Blickwinkel, der Perspektivwechsel, der Gast oder persönliche Erfahrungen von Menschen, mit denen wir reden, können plötzlich völlig neue Sichten eröffnen. Rassismus zum Beispiel hat mich natürlich schon vor George Floyd umgetrieben - und, ja, auch selbst getroffen. Umso gespannter, aber auch verschreckter beobachte ich, wie die Debatte sich jetzt entwickelt.
Inwiefern verschreckt?
Weil ich die Art und Weise, wie manche das Problem angehen, nicht mag. Sie schaffen ein Klima, in dem niemand mehr etwas fragen oder sagen darf. Damit stößt man Menschen, die sich erstmals intensiv mit Rassismus auseinandersetzen, womöglich vor den Kopf. Und was passiert dann? Derjenige oder diejenige macht dicht. Dabei wäre es so wichtig, die Offenheit jetzt zu nutzen und das Bewusstsein zu schärfen, dass fast alle unterbewusst Vorurteile haben. Sich dessen bewusst zu werden, ist der erste Schritt. Dagegen zu kämpfen, Gesicht und Solidarität zu zeigen, der zweite. Denn Rassismus ist grundsätzlich verachtenswert. Egal von wem, egal gegen wen.
Also einfach mal die Klappe halten? Erst recht als privilegierter alter weißer Mann?
Das stelle ich nicht in Abrede. Zuhören ist wichtig, verstehen wollen auch. Aber wieso darf man dann nicht etwas fragen, wenn man etwas nicht versteht? Warum darf man nicht etwas hinterfragen, wenn man es anders sieht, auch aus der eigenen Erfahrung heraus? Warum darf man nicht nachfragen, wie man nun, entsprechend neuen Standards, etwas formulieren soll und sich dabei aber unsicher ist?
Wahnsinnig kompliziert.
Ja und nein. Kompliziert wird es, weil es für vieles keine allgemeingültigen Regeln gibt. Ich zum Beispiel finde es völlig okay, jemanden zu fragen, wo er herkommt, woher sein Name stammt. Für mich kommt es auf die Intention an, den Ton und die Art und Weise, wie gefragt wird. Es gibt jedoch Menschen, die sich diese Frage mittlerweile generell verbitten, weil sie das Gefühl haben, dass ihr Gegenüber ihnen damit automatisch das Deutschsein abspricht. Manche meinen, schon diese Frage sei rassistisch. Ich finde es jedoch fast schon diskriminierend, Menschen zu verbieten, diese Frage zu stellen. Weil man ihnen automatisch Rassismus und nicht Interesse unterstellt.
Entscheidend ist, was daraus und darauf folgt. In der Regel entspinnen sich wundervolle Gespräche. Ich bin auch schön öfters gefragt worden, woher ich stamme. In der Regel erlöse ich mein Gegenüber und antworte: »Aus Datteln.« Und dann stelle ich meine Frage. Nochmals: Gestik und Ton machen die Musik. Das ist meine Meinung.
Und auch ein Credo Ihrer journalistischen Arbeit?
Ja. Die Regeln des Umgangs miteinander sind teils individuell; manchmal stößt man sich gegenseitig vor den Kopf. Das gehört aber auch zu einer gesunden Debatte, die oberhalb der Gürtellinie geführt wird. Grundsätzlich bin ich froh, dass sich in den Köpfen einst verschlossener Leute etwas bewegt. Wenn Stereotype - die sicher auch ich habe - aufweichen, öffnen sich auch für mich als Journalistin neue Fenster. Dennoch frage ich mich oft: Wird aus dieser Debatte etwas Konstruktives erwachsen, oder ist alles in drei Monaten wieder wie vorher?
Und, ist Ihre Antwort darauf eher optimistisch oder pessimistisch?
Meine Prognose ist, dass sich insgesamt nicht so wahnsinnig viel ändern wird, verbunden mit der Hoffnung, dass zumindest die Medien ihre Stereotype stärker reflektieren. Und nicht nur sie. Schauen Sie mal aufmerksam Werbung! Sie ist kein Spiegelbild der Gesellschaft: wenig Frauen mit Kopftuch, kaum Männer mit Kippa, People of Colour, Homosexuelle, Menschen mit Behinderung …
Wenn Haribo es mal wagt, gibt es einen Shitstorm inklusive Boykottaufrufen …
Und da zeigt sich dann, ob Unternehmen couragiert genug sind, sich davon nicht beeindrucken zu lassen. Das Wichtigste im Kampf gegen Rassismus sind nicht gute Vorsätze, sondern Taten.
Die Medien befinden sich derzeit in einer seltsam hybriden Lage: Einerseits wächst in der Coronakrise der Bedarf nach seriöser, sachlich fundierter, ausgewogener Berichterstattung, andererseits lässt diese sich in Zeiten wegbrechender Anzeigenerlöse kaum noch finanzieren. Wie kommt man aus diesem Dilemma wieder raus?
Zunächst einmal: Tatsächlich ist dieses Dilemma durch die wegen Corona ausgelöste Wirtschaftskrise größer als je zuvor, aber keineswegs neu. Und: Bei oder nach jeder Katastrophe steigt die Nutzung seriöser Medien massiv an, auch die der öffentlich-rechtlichen Sender. Das Bedürfnis nach verlässlicher Berichterstattung ist also offenbar vorhanden. Das sollte uns Mut machen. Und langsam wird der Geburtsfehler des Internets, alles kostenlos zur Verfügung zu stellen, ja auch ausgebügelt. Diesbezüglich stimmt mich aber noch etwas ganz anderes hoffnungsvoll.
Nämlich was?
Wie rücksichtsvoll wir als Gesellschaft nach dem Ausbruch der Pandemie miteinander umgegangen sind. Wie oft »Bitte« und »Danke« zu hören war. Wie viel Achtsamkeit und Hilfsbereitschaft herrschten. Es steckt also in uns drin. Was die Medien anbelangt, erinnert mich die Situation zu Beginn der Coronakrise ein wenig an den Sommer/Herbst 2015. Damals waren wir Journalisten und Journalistinnen nicht nur überrascht, sondern echt beeindruckt von der Hilfsbereitschaft der Menschen - aber auch unwissend in Bezug darauf, was das alles bedeutet, wo es uns hinführen wird. Heute wie damals gilt: zuhören, nachfragen, Fehler eingestehen, Meinungen revidieren, Unkenntnis akzeptieren und Erkenntnisse zulassen.
Das Prinzip der Falsifikation.
Toll! Das mag jetzt naiv klingen, aber wenn wir nur ein klein wenig von all dem in die Zeit nach der Krise retten, profitieren davon womöglich auch Qualitätsmedien.
Durch Ihre Sicht, aber auch Ihre Herkunft und Ihren Lebensentwurf sind Sie selber schon Opfer von verbalen und sogar tätlichen Angriffen geworden, vor allem von Hate Speech und Shitstorms im Netz. Hat sich das mit Corona gelegt?
Am Anfang der Pandemie gab es einen kleinen Shitstorm, weil ich zu einer Zeit, als Veranstaltungen bis 1000 Personen noch erlaubt waren, eine Lesung abgesagt hatte. Die habe ich dann auf Instagram verschoben. Daraus ist eine Reihe entstanden. Fast jeden Abend rede ich mit einem prominenten Gast über Gott und die Welt. Diese Gespräche haben viele Follower, weil sie ihnen - so sagen sie es jedenfalls - Struktur im Tagesablauf, Ablenkung und ein Gefühl von Normalität geben. Was will ich mehr?
Und während dieser ganzen Zeit blieben die üblichen Angriffe auf Sie als Journalistin und selbstbestimmt lebendes Individuum aus?
Natürlich nicht. Es gab zwar eine mehrwöchige Pause, dann kehrten die Angriffe aber auf gewohntem Niveau zurück. Wobei sich diese inhaltlich etwas änderten. Jetzt geht es weniger um meine Haltung, Herkunft oder meinen Arbeitgeber, sondern um Masken, Abstand und meine Äußerungen in Bezug auf diese unsäglichen »Hygiene-Demos«.
In welchem Biotop fühlen Sie sich als Journalistin wohler: Eintracht oder Zwietracht, Harmonie oder Streit?
Der blöde Satz »Bad news are good news« hat zwar seine Berechtigung, wird aber dadurch missverstanden, dass wir zu oft »only« davorsetzen. Mein Lieblingsbiotop wäre eine gut funktionierende, achtsame Gesellschaft mit allerlei Abseitigem, das wir als Journalistinnen beleuchten.
Sie haben es also doch gern harmonisch? Aber Disharmonie ist spannender.
Das klingt nach Entweder-oder. Ich finde, beides gehört zusammen und muss von uns abgebildet werden. Für Veränderung braucht es Reibung. Wenn sich immer alle grün sind, herrscht Stillstand. Reibung gehört dazu, um die Gesamtsituation zu reflektieren und über Alternativen nachzudenken.
Was vermissen Sie gerade mehr - die Zuschauer im Fußballstadion oder die Zuschauer im Fernsehstudio?
Am Fernseher waren die Geisterspiele echt eine Herausforderung, da muss man schon Hardcore-Fan sein. Aber als Moderatorin des »Aktuellen Sportstudios« fehlen mir beide Zuschauergruppen gleichermaßen: im Stadion und im Studio. In beiden Sphären braucht man Publikum, um Stimmungen zu erleben. Und das ist, für mich, elementar wichtig.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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