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Das gebeutelte Land
Eine Jahrhundertflut überschwemmt große Teile Chinas
Die Provinz Hubei kommt sprichwörtlich vom Regen in die Traufe: Zu Beginn des Jahres verbreitete sich von jener Region die Corona-Pandemie aus, die seine fast 60 Millionen Einwohner zu einer über zweimonatigen Quarantäne zwang. Nun wird Hubei und dessen Hauptstadt Wuhan erneut von einer Naturkatastrophe heimgesucht: den schlimmsten Regenfällen, wie sie laut Staatsmedien »nur einmal alle 200 Jahre stattfinden«. Der wirtschaftliche Schaden beläuft sich bereits jetzt auf mindestens 4,5 Milliarden Yuan, etwa 570 Millionen Euro.
»Ich finde das enorm tragisch. Das ist wie Öl ins Feuer gießen«, sagt Jürgen Ritter vom Deutsch-Chinesischen Agrarzentrum. Angefangen von der Afrikanischen Schweinepest, die die Zuchtbestände in China zeitweise halbiert hat, über die Corona-bedingten Lockdowns bis hin zu den nun zerstörerischen Fluten im Einzugsgebiet des Jangze-Fluss: Chinas Landwirtschaftssektor wird im Jahr 2020 gleich von drei schweren Krisen heimgesucht.
Besonders prekär: Ausgerechnet die »Kornkammern« Chinas sind am stärksten von den Hochwassern betroffen, allen voran die für den Reisanbau wichtige Provinz Jiangxi. Dort hat die Lokalregierung formal den »Kriegszustand« ausgerufen, um zusätzliche Ressourcen zur Bewältigung der Lage freizusetzen.
Die Sommermonate Juni und Juli sind zwar in Südchina traditionell Regenzeit, in der monsunartige Niederschläge über Wochen hinweg das Land heimsuchen. Dieses Jahr jedoch scheint sich eine Jahrhundertflut anzubahnen: Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua berichtet landesweit von 212 Flüssen mit alarmierend hohen Wasserständen, 19 davon befänden sich derzeit gar auf einem Allzeithoch.
Am Sonntag hat das chinesische Ministerium für Wasserwirtschaft das Notfallsystem für den Hochwasserschutz auf die zweithöchste Stufe gesetzt. Die Regierung hat zudem Notfallhilfen in Höhe von 309 Millionen Yuan - umgerechnet knapp 40 Millionen Euro - für die besonders schwer getroffenen Regionen bereitgestellt. Das Geld soll vor allem für den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur gehen. Bereits jetzt ist klar, dass die Fluten drastische Folgen für die diesjährigen Ernteerträge haben werden. In der Provinz Hunan hat die Lokalregierung die Bauern dazu angehalten, die Reisfelder frühzeitig zu ernten, um die Schäden in Grenzen zu halten. Belastbare Zahlen haben die Behörden jedoch bislang noch nicht herausgegeben.
»Sicherlich ist ein großer Ernteausfall zu erwarten«, sagt Landwirtschaftsexperte Ritter: »Aber die Ernährungssicherheit dürfte sicher gewährleistet sein, es sollten große Vorräte da sein.«
Unter Mao Tsetung zielte die Volksrepublik China noch darauf ab, in Bezug auf seine Ernährungssicherheit praktisch vollkommen autark zu sein. Wenn auch abgeschwächt, ist der Wille zur Selbstversorgung in Bezug auf Grundnahrungsmittel nach wie vor vorhanden. Laut einem aktuellen »White Paper« vom Informationsbüro des Staatsrats heißt es, China produziere derzeit 95 Prozent seines Eigenbedarfs an Getreide.
Für Millionen Landwirte in der Region dürften die Fluten massive wirtschaftliche Folgen nach sich ziehen. Allein in den Provinzen Anhui und Jiangxi wurden letzte Woche zudem insgesamt rund 300 000 Menschen evakuiert, mindestens 2000 Häuser wurden durch die Fluten zerstört. Auf sozialen Medien kursieren Tausende Videos von Rettungskräften auf Booten, die Anwohner aus den Fenstern in Sicherheit retten.
Da viele ländliche Gebiete im Zuge der Urbanisierung große Teile der Bevölkerung verloren haben, gibt es nun einige Aufrufe an die Binnenmigranten, zurückzukommen, um gegen die Flutkatastrophe zu kämpfen. Zum Beispiel hat die Insel Jiangzhou, die im Fluss Jangze liegt, in den vergangenen 20 Jahren 80 Prozent ihrer einst knapp 8500 Einwohner verloren. 3000 von ihnen folgten nun dem Aufruf, um ihre alte Heimat zu schützen.
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