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Bespuckt, beleidigt - angeklagt
Rassismus-Vorwurf: Junge Frau erhält Strafbefehl, nachdem sie rassistisch angegriffen wird und die Polizei ruft
Es ist schon dunkel, als eine junge Frau mit ihrem Fahrrad über einen Supermarkt-Parkplatz in Friedrichsfelde fährt. Plötzlich brüllt ihr jemand aus einem Auto hinterher. »Ziemlich frauenfeindlich und vulgär«, erzählt sie im »nd«-Gespräch. Sie nennt sich Mia Müller. Ihren richtigen Namen will sie in der Zeitung lieber nicht lesen.
Das Auto sei ihr immer weiter gefolgt. »Ich habe versucht, Abstand zu gewinnen und gesagt, dass die Beleidigungen und ein paar weitere Wörter bei mir nichts auslösen und der Angreifer mich in Ruhe lassen soll«, berichtet sie. Als sie ihr Fahrrad anschließen will, soll der Mann plötzlich mit erhobener Faust aus dem Wagen gesprungen sein. »Dann hat er mich angespuckt und rassistisch beleidigt«, erzählt Müller. Sie flüchtet sich daraufhin in den Laden und verständigt die Polizei.
Als die Beamten eintreffen, sprechen sie zuerst mit dem Täter. Nicht mit der jungen Frau, die den Notruf eigentlich abgesetzt hatte. »Sie können das alles gar nicht beweisen«, sei das erste gewesen, was die Beamten schließlich zu ihr sagten. Müller bittet die Polizisten deshalb darum, sich die Überwachungskameras des Supermarktes anzuschauen, weitere Zeugen im Laden zu vernehmen oder eine DNA-Probe des Speichels, der zu diesem Zeitpunkt noch immer an ihrer Wange klebte, zu entnehmen. »Über meinen Vorschlag haben sie nur gelacht und gesagt, das sei viel zu teuer. Dafür hätte ich schon ermordet werden müssen.« Sie lassen die junge Frau daraufhin allein im Laden zurück. Aus Angst vor dem Täter verständigt sie Freunde, die sie schließlich dort abholen.
Über acht Monate ist das nun her: Der Vorfall hatte sich bereits am 25. Oktober vergangenen Jahres ereignet. Ende Juni erhielt Müller nun eine Mitteilung über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen den von ihr Beschuldigten: Es bestehe »kein hinreichender Tatverdacht«, weil unbeteiligte Zeugen oder objektive Beweismittel nicht zur Verfügung stünden. »Beweismittel, die die Polizisten damals nicht aufnehmen wollten, obwohl ich sie darum gebeten hatte«, sagt Müller. Doch es kommt noch Schlimmer: Anfang Juli erhält sie selbst einen Strafbefehl – weil sie den Angreifer beleidigt haben soll. Als Zeugen sind dort auch die Polizisten aufgeführt, die sie selbst gerufen hatte. »Mir droht jetzt Gefängnis, weil ich angespuckt und rassistisch beleidigt wurde«, sagt sie. »Mir wird nicht geglaubt – nur weil ich Schwarz bin und er weiß«.
Es ist ein schwerer Vorwurf, zu dem sich die Polizei am Donnerstag auf »nd«-Anfrage nicht äußert. Am Freitagnachmittag erklärt ein Sprecher dann am Telefon, man habe »priorisieren müssen« und der Fall sei »deshalb nach hinten gerutscht.« Die Aufklärung von Rassismus in den eigenen Reihen scheint dort jedenfalls keinen Vorrang zu haben. Doch warum werden die Polizisten überhaupt als Zeugen gegen Müller, nicht aber als Zeugen für sie genannt? »Die Sachverhaltsdarstellung der Frau war für uns nicht überzeugend«, erklärt Stefan Stöhr von der Staatsanwaltschaft dem »nd«. Komme es jedoch zu einem Strafbefehl, dann seien die Beamten als Zeugen auch »zwingend erforderlich«, so Stöhr. Auch die Pressesprecherin des Amtsgerichts Tiergarten, Lisa Jani, bestätigt das. Den Polizisten werde der Sachverhalt oft direkt nach dem Streit »frisch« von den Beteiligten geschildert, erklärt sie dem »nd«. In einer Hauptverhandlung werde nun aber »die Wahrheit erforscht«, so Jani.
An solch eine »Wahrheit« glaubt Jeff Kwasi Klein von Each One Teach One e.V. (EOTO), einem Verein für das Empowerment Schwarzer Menschen in Deutschland, nicht. »Das ist ein sehr typischer Fall: Immer wieder werden Schwarze Personen, die die Polizei rufen, am Ende selbst angezeigt«, sagt er im Gespräch mit dem »nd«. Schwarzen Menschen würde häufig unterstellt, dass sie emotionaler reagieren und weniger glaubwürdig sind, sagt Klein. »Beamt*innen nutzen diese Vorurteile dann oft aus, um uns unsere Rechte zu verwehren.« Auch Rassist*innen sei bewusst, dass sie Gewalt gegen Schwarze Menschen anwenden können, ohne dafür belangt zu werden. »Sie wissen, dass sie die Anklage im Zweifel einfach umkehren können und dass ihnen von der Polizei oder vor Gericht eher geglaubt wird als einer Schwarzen Person«, so Klein. Diese Verstrickung von individuellen rassistischen Einstellungen einerseits und institutioneller Ignoranz andererseits führe letztendlich zur Straffreiheit rassistischer Täter*innen, erklärt Klein. Weil auch Schwarze Menschen das wüssten, würden sie es sich oft zwei Mal überlegen, ob sie überhaupt die Polizei rufen, sagt er. »Nicht nur, weil die Aussicht auf Erfolg verschwindend gering ist. Sondern weil wir in solchen Fällen auch immer Gefahr laufen, plötzlich selbst auf der Anklagebank zu sitzen.«
Es sind Erfahrungen wie diese, von denen Schwarze Menschen in Deutschland in den vergangenen Wochen vermehrt berichtet hatten. Eine, wie Klein es nennt »kollektive Lebenserfahrung«, der nach dem Tod George Floyds vielleicht zum ersten Mal mehr Gehör geschenkt wurde, die aber auch immer wieder heftig dementiert wurde, nicht zuletzt durch Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der für eine Studie über Rassismus in der Polizei derzeit keinerlei Anlass sieht.
Immerhin: In Berlin wurde Anfang Juni das Landes-Antidiskriminierungsgesetz (LADG) verabschiedet. Auch dagegen hatte sich Seehofer ausgesprochen. Das Gesetz soll Menschen ermöglichen, einfacher gegen Diskriminierung durch öffentliche Stellen vorzugehen. Wie hilfreich das LADG wirklich ist, wird sich noch zeigen, meint Klein. Bisher habe es keinen Fall gegeben, auf den das neue Gesetz erfolgreich angewendet werden konnte. Der Vorfall auf dem Aldi-Parkplatz sei aber ganz klar ein Fall für das LADG und seine Hoffnung groß, »dass solche Fälle damit in Zukunft endlich Gerechtigkeit erfahren.« Darauf hofft auch die junge Frau. Notfalls wolle sie sich sogar an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wenden: »Ich werde nicht aufhören, bevor sich endlich etwas getan hat!«
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