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Das Gespenst der Verödung

Es heißt, Berlin-Hohenschönhausen droht ohne die Kaufhof-Filiale den Bach herunter zu gehen.

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 7 Min.
Nicht unbedingt eine architektonische Perle, aber das wichtigste Nahversorgungszentrum weit und breit: Das Linden-Center am Prerower Platz im Lichtenberger Ortsteil Neu-Hohenschönhausen
Nicht unbedingt eine architektonische Perle, aber das wichtigste Nahversorgungszentrum weit und breit: Das Linden-Center am Prerower Platz im Lichtenberger Ortsteil Neu-Hohenschönhausen

Ob in Berlin, Neubrandenburg oder Iserlohn: Seit Bekanntwerden der großflächigen Filialschließungspläne der Warenhauskette Galeria Karstadt Kaufhof läuft in vielen Städten bundesweit eine Diskussion um die drohende Komplettverödung von Einkaufsmeilen und Shoppingcentern. In der Hauptsstadt sollen im Zuge der Portfoliobereinigung bei bis zu fünf der insgesamt elf Kaufhäuser spätestens im Herbst die Lichter ausgehen. Eines davon im Linden-Center im Lichtenberger Ortsteil Neu-Hohenschönhausen.

Die Warenhausfiliale nimmt in dem Einkaufszentrum unweit des S-Bahnhofs Hohenschönhausen über ein Drittel der gesamten Verkaufsfläche ein. Dementsprechend groß sind die Befürchtungen. »Wenn Kaufhof hier dichtmacht, dann geht das ganze Einkaufszentrum den Bach runter«, hatte Erika Ritter, Leiterin des Landesfachbereichs Handel bei der Gewerkschaft Verdi, vor wenigen Tagen zu »nd« gesagt.

Gabriele Starker sieht das nicht so dramatisch. In den zehn Jahren, in denen sie als Verkäuferin in dem Tee-Laden gegenüber einem der Eingänge zur Kaufhof-Filiale arbeitet, hat sie schon mehrere »Ankermieter« des Linden-Centers kommen und gehen sehen. »Wir hatten schon deutlich mehr Leerstand«, sagt Starker, und ergänzt: »Für uns kleine Geschäfte ist die Lage ohnehin schwierig.«

Es ist Donnerstagmittag, und das Einkaufszentrum in Neu-Hohenschönhausen ist erstaunlich gut besucht. Über 50 000 Menschen leben im näheren Einzugsbereich. Und hört man sich im Linden-Center um, dann bekommt man immer wieder ähnliche Antworten wie von Rentnerin Beate. »Das ist der einzige Ort weit und breit, wo man ein bisschen bummeln kann. Ansonsten ist doch hier in den Straßen tote Hose«, sagt Beate, die ihren Nachnamen nicht in der Zeitung lesen will. Sie sitzt in einem Eiscafé im Obergeschoss und isst gerade ein Erdbeertörtchen mit Sahne, um die Zeit bis zu einem Arzttermin zu überbrücken. Sie fühle sich wohl hier, sagt Beate, die seit über 30 Jahren in der Großwohnsiedlung am Ostberliner Stadtrand lebt. Auch Karin Fischer, Verkäuferin im Dessous-Shop, lässt nichts auf das Linden-Center kommen. »Hier ist alles drin, was sich der Mensch wünscht. Und nicht nur das, ich finde das Center einfach schön.«

Nun ja. Zur Wahrheit gehört auch, dass das 1995 eröffnete Einkaufszentrum mit seinen auf drei Etagen verteilten 25 000 Quadratmetern Verkaufsfläche, wie Rentnerin Beate sagt, das einzige in der »Kleinstadt« Neu-Hohenschönhausen ist. Und Architekturkritiker würden wohl eher von einem schmucklosen Betonklotz denn von einer städtebaulichen Perle sprechen - mithin ein Center, wie es in vielen Orten zu finden ist. Auch das Angebot gleicht dem unzähliger anderer Einkaufszentren: Supermärkte, Drogerien, Imbisse, das unvermeidliche Nagelstudio, Cafés, Mode- und Elektrofilialen der üblichen Ketten, kleine Krauter - und eben die akut von Schließung bedrohte Kaufhof-Filiale.

Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) verhandelt seit Wochen mit dem Konzerneigner von Galeria - der Signa Holding des österreichischen Immobilienmilliardärs René Benko - und den Vermietern der Filialen. Zuletzt betonte Pop, dass sie »vorsichtig optimistisch« sei, dass »nicht alle auf der Schließungsliste stehenden Häuser und Filialen für Berlin auch wirklich geschlossen werden«. Schließlich sickerte am Freitag durch, dass die ursprünglich ebenfalls auf der Abschussliste stehende Lichtenberger Filiale im Ring-Center an der Frankfurter Allee gerettet ist. Die betroffenen Häuser in Tempelhof-Schöneberg, Charlottenburg-Wilmersdorf, Neukölln und ebenjenes am Prerower Platz in Neu-Hohenschönhausen bleiben indes heiße Schließungskandidaten.

»Natürlich freuen wir uns sehr, dass der Standort im Ring-Center gerettet scheint, aber wir kämpfen weiter dafür, dass auch die Filiale im Linden-Center erhalten bleibt«, sagt die Lichtenberger Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch. Zu groß sei in Neu-Hohenschönhausen die Gefahr, dass mit dem Verschwinden des größten Mieters »der gesamte zentrale Treff- und Marktpunkt« des Ortsteils kippt, so die Linke-Politikerin.

Auch Lichtenbergs Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Linke) spricht mit Blick auf die Galeria-Filiale Ring-Center von einem »wichtigen Zwischenerfolg«. »Ich hoffe, es gelingt, weitere Filialen von der Schließungsliste zu bekommen, besonders Kaufhof im Linden-Center«, so Grunst. Dies um so mehr, als beide Lichtenberger Einkaufszentren von der ECE Projektmanagement betrieben werden. Wenn der Vermieter ECE, der zum Firmenimperium der milliardenschweren Hamburger Unternehmerfamilie Otto gehört, bei der Filiale im Ring-Center zu »Zugeständnissen« beim Mietpreis in der Lage sei, dann sollte dies beim Linden-Center ebenfalls möglich sein.

Wie die Bundestagsabgeordnete Lötzsch sieht auch der Bürgermeister im Falle des Shoppingcenters in Neu-Hohenschönhausen vor allem »die Gefahr eines Dominoeffektes«. Soll heißen: Verschwindet die Kaufhausfiliale, könnten insbesondere andere Filialen größeren Ketten nachziehen und ebenfalls die Segel streichen. Das freilich wäre, so Grunst, eine »Katastrophe« für das Einkaufszentrum. Und da ist sie dann wieder, die Debatte um die Verödung der Stadt- und Stadtteilzentren - und wie ihr begegnet werden kann.

Seitens der Opposition zielen etwaige Nachnutzungsideen dabei zuvorderst auf den innerstädtischen Galeria-Filialen, etwa denen in Charlottenburg-Wilmersdorf oder Tempelhof-Schöneberg. Man könne doch die Kaufhäuser »zu studentischem Wohnen oder Co-Living-Spaces« umbauen, schlug unlängst Sebastian Czaja, FDP-Chef im Abgeordnetenhaus, vor. Christian Gräff von der CDU-Fraktion im Berliner Parlament, sinnierte wiederum im »Tagesspiegel« darüber, ob die frei werdenden Flächen nicht am besten für Bio-Markthallen-Konzepte genutzt werden könnten, wie es sie unter anderem in Kreuzberg gibt. Das Einkaufszentrum am Prerower Platz - im tiefsten Osten der Stadt - haben Christdemokraten und Liberale mit solchen Fantasien offenbar nicht auf dem Schirm.

Lichtenbergs Wirtschaftsstadtrat Kevin Hönicke (SPD) verweist in diesem Zusammenhang auf die hohe Zahl an Menschen, die in Neu-Hohenschönhausen von Transferleistungen leben oder nur über ein geringeres Einkommen verfügen. Eine Markthalle mit gesunden, aber hochpreisigen Lebensmitteln sei natürlich löblich, dürfte hier aber angesichts der niedrigen Kaufkraft der Bevölkerung nur auf wenig Resonanz stoßen. Auch die Idee mit den Wohnungen hat einen entscheidenden Haken, sagt Hönicke: »Das wird zu erschwinglichen Mieten nicht zu machen sein und schafft nur zusätzliche Probleme.«

Tatsächlich müsste ein Investor viel Geld in die Hand nehmen, um den entsprechenden Teil des riesigen Baukörpers am Prerower Platz zu einem lichtdurchfluteten Wohnhaus umzubauen. Einfach ein paar Wände einziehen, Toilette und Einbauküche rein - und fertig ist die Bude: Das wird nicht reichen. Auch Bürgermeister Grunst winkt daher ab: »Ich denke, für eine Nachnutzung kommt Wohnen nicht in Frage. Wir wollen hier weiterhin Einzelhandel haben.« Wer das sein wird, weiß auch Grunst nicht mit Bestimmtheit zu sagen.

Das Management des Linden-Centers sieht sich aus terminlichen Gründen nicht in der Lage, näher auf die Frage nach der Zukunft der über 7000 Quadratmeter Verkaufsfläche einzugehen. Nur so viel: »Wir sind optimistisch, aber das sind wir ja immer.« Glaubt man den Gerüchten, die derzeit in der Lichtenberger Politik, aber auch im Shoppingcenter selbst kursieren, könnte die Alternative zur Galeria-Filiale ganz schnöde aussehen und Primark heißen. Jene Billigst- und Wegwerf-Modekette, über die nicht nur Dessous-Verkäuferin Karin Fischer sagt: »Das wäre schlimm.«

Was die Zukunft von Neu-Hohenschönhausen generell betrifft, so verweisen Bürgermeister Grunst und Stadtrat Hönicke ohnehin viel lieber auf das Stadtentwicklungsprojekt, das in den kommenden Jahren auf der 60 000 Quadratmeter großen Freifläche zwischen dem Linden-Center und dem S-Bahnhof Hohenschönhausen entstehen soll. Arbeitstitel: »Urbanes Zentrum Neu-Hohenschönhausen«.

Großes hat der Bezirk hier vor. In Kooperation mit der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Howoge sollen mehrere Hundert Wohnungen errichtet werden, dazu ein Kunst-, Kultur-, Dienstleistungs- und Verwaltungszentrum. Das Standesamt soll hier ebenso einziehen wie die Volkshochschule, ein Bürgeramt, eine Musikschule und die derzeit noch im Linden-Center untergebrachte Anna-Seghers-Bibliothek. Kurzum: ein ambitioniertes Projekt jenseits des kuratierten Konsums im benachbarten Einkaufszentrum.

»Es gab nie ein richtiges Zentrum in Hohenschönhausen«, sagt Bürgermeister Grunst. Das gelte es nun nachzuholen. Planungen aus der DDR, auf der Fläche das Rathaus des damals neu gegründeten Stadtbezirks Hohenschönhausen zu errichten, seien nach der Wende versandet. Seit Jahren dient das betreffende Areal somit als Parkplatz, am Rand des Platzes steht ein trostloser Brunnen, der zumindest an diesem Donnerstagmittag abgestellt ist. Die drei Männergruppen, die sich drum herum auf den unbequemen Metallbänken mit Bier und Schnaps die Zeit vertreiben, scheint das nicht zu stören. Um es auf den Punkt zu bringen: Wenn jemand in Neu-Hohenschönhausen ein gutes Beispiel für eine öde Stadtlandschaft sucht - hier wird sie oder er fündig. »Ein trauriger Ort«, wie Grunst sagt. Wirtschaftsstadtrat Hönicke spricht von »gravierenden stadträumlichen Defiziten«, die mit dem Projekt endlich beseitigt werden könnten. »Uns ist es wichtig, dass die Mitte von Neu-Hohenschönhausen weiterentwickelt wird«, sagt die Linke-Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch.

Nach derzeitigem Planungsstand soll der städtebauliche Wettbewerb im Dezember dieses Jahres starten, 2024 könnte es dann losgehen mit den Bauarbeiten. Es wird also noch einige Zeit verstreichen, bis aus dem »gravierenden Defizit« ein »urbanes Zentrum« geworden ist.

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