Konzepte gegen Missbrauch
Der Turnweltverband muss sich mit Gewalt im Sport auseinandersetzen, in Deutschland startet ein Projekt nun früher als geplant
Alfons Hölzl ist selbst im Besitz der A-Lizenz als Trainer, entsprechend ernst nimmt der Präsident des Deutschen Turner-Bundes (DTB) das Engagement des zweitgrößten deutschen Sportfachverbandes gegen sexuelle Übergriffe und körperliche Gewalt. Das scheint auch notwendig. Nach dem Riesenskandal um den langjährigen Arzt des US-amerikanischen Turnteams, Larry Nassar, stehen nun auch in der Schweiz und Großbritannien Vorwürfe im Raum, dass Trainer ihre zumeist jungen Athletinnen verbal beleidigt haben und körperlich übergriffig geworden sein sollen.
»Die neuesten Vorfälle zeigen uns einmal mehr, wie wachsam wir sein müssen und wie wichtig die richtige Handlungsweise bei jeglicher Form von Gewalt im Sport ist«, sagte Hölzl, der am vergangenen Sonntag 52 Jahre alt wurde. Ein in Zusammenarbeit mit der Deutschen Turnerjugend erarbeitetes Präventionskonzept ist deshalb früher als geplant in Kraft getreten. Zentrale Bedeutung in diesem Konzept hat die Berufung einer ehrenamtlichen Ombudsperson. Diese Rolle übernimmt die Kölnerin Britt Dahmen. Die Leiterin des Referats »Gender & Diversity Management« an der Universität zu Köln fungiert als zentrale Anlaufstelle für Sportler und Sportlerinnen, die sich unter Druck gesetzt und missbraucht fühlen und deshalb nach einem unabhängigen Gesprächspartner suchen.
Den Kunstturnerinnen in Großbritannien und den Sportgymnastinnen aus der Schweiz hingegen blieb zuvor scheinbar nur der Weg in die Öffentlichkeit, um auf die massive Missbrauchsproblematik aufmerksam zu machen. Zumindest im Fall der mittlerweile entlassenen Schweizer Cheftrainerin Iljana Dinewa hat sich bereits der Weltverband FIG eingeschaltet. »Verbaler oder physischer Missbrauch jeglicher Art darf schlicht nicht toleriert oder geduldet werden«, erklärte die Schweizerin Micheline Calmy-Rey, Präsidentin der FIG-Ethikkommission. Das Gremium wird Ermittlungen über die Trainingsmethoden der Bulgarin aufnehmen, aber auch die Rolle des nationalen Verbandes untersuchen.
Beim DTB ist man indes zuversichtlich, gegen massives Fehlverhalten gegenüber Sportlern und Sportlerinnen gewappnet zu sein. »Ich glaube, dass das in unserem System so nicht passieren kann. Kein Arzt oder Physiotherapeut unternimmt etwas mit einer Athletin ohne Absprache mit mir, dem Heimtrainer oder den Eltern«, sagte Ulla Koch, die seit 2005 Cheftrainerin der deutschen Kunstturnerinnen ist. Von den besseren Voraussetzungen in Deutschland ist auch Kim Bui überzeugt. Die Aktivensprecherin glaubt, »dass die richtigen Vorkehrungen getroffen wurden«. Sie begrüße das Konzept des Verbandes sehr. Allerdings: Mit ihren 31 Jahren ist die Studentin der Technischen Biologie nicht nur ihren Teamkolleginnen in der Nationalriege an Erfahrung und gesundem Selbstbewusstsein naturgemäß weit überlegen.
Auch deshalb kann eine unabhängige Beobachterin den Optimismus in den Reihen des DTB nicht so recht teilen. Im Gespräch mit dem Deutschlandfunk schlug die niederländische Sportwissenschaftlerin Annelies Knoppers daher unter anderem vor, das internationale Startalter von derzeit 16 auf 18 Jahre zu erhöhen. »Das wäre eine erste, aber natürlich nicht die einzige Maßnahme«, sagte die Professorin für Sport und körperliche Erziehung an der Universität Utrecht. Was die Nachwuchsathleten angeht, würde Knoppers gern die Erziehungsberechtigten in die Pflicht nehmen: »Bei jedem Training sollte mindestens ein Elternteil dabei sein.« SID/nd
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