Wann ist ein Deutscher ein Deutscher

DER FEIND STEHT RECHTS: Über Stammbaumabfragen, Migrationsnachweise und eine Errungenschaft, die bröckelt.

  • Stephan Anpalagan
  • Lesedauer: 7 Min.

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Deutsche führen Kriege
Deutsche sind schon als Baby blau
Deutsche rauchen Pfeife
Deutsche sind furchtbar schlau

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Die Aufregung war groß. Ausschreitungen, Randale, zerstörte Fensterscheiben, Angriffe auf Polizist*innen, im beschaulichen Stuttgart war man fassungslos. Wer die LIVE-Berichterstattung aus den Newsrooms und auf Twitter aufmerksam verfolgte, hätte auf die Idee kommen können, die Hunnen wären mordend und brandschatzend durch das Ländle gezogen.

Stephan Anpalagan
Stephan Anpalagan ist Journalist und Musiker. Seine Texte haben den Schwerpunkt Rechtsextremismus. Anpalagan ist zudem Geschäftsführer der gemeinnützigen Unternehmensberatung „Demokratie in Arbeit“. Für "neues deutschland" schreibt er die monatliche Kolumne „Der Feind steht rechts“.

Am nächsten Tag allerdings war von der kollektiven Zerstörungswut derart wenig zu sehen, dass der eigens angereiste Horst Seehofer zerstörte Polizeiautos vom anderen Ende der Stadt anrollen lassen musste, um sein Entsetzen zu bebildern. Mitglieder der Presse und Photojournalist*innen, eingerichtet auf ein Hölleninferno, mussten enttäuscht wieder abreisen, weil die Schwaben ihrer Gewohnheit entsprechend (»Schaffe, Schaffe, Zusamme’kehre«) die größte Unordnung bereits beseitigt hatten und frühmorgens wieder ihren Geschäften nachgingen. Als der Politik- und Pressetross nach Stuttgart kam, schien die Sonne, spielten Kinder, die Bienen summten in der Luft, erfüllten sie mit Honigduft.

Das war natürlich etwas blöd.

Immerhin hatten Politiker*innen aller Parteien und Journalist*innen aller Blätter am Abend zuvor und noch am Tag danach, unbeeinflusst von polizeilichen Ermittlungen, kriminalistischen Erkenntnissen und gesundem Menschenverstand, die Geschehnisse in Stuttgart als »bürgerkriegsähnliche Zustände«, als »Zivilisationsbruch« und als »Kristallnacht« beschrieben.

Nur um die Sache einmal richtig einzuordnen: »Zivilisationsbruch« und »Kristallnacht« sind seit Jahrzehnten der unzureichende Versuch die Menschheitsverbrechen der Nazis zu umfassen. Ein Verbrechen, das in der Vernichtung der europäischen Juden und Sinti und Roma mündete. Ein Verbrechen, das bis heute derart unbegreiflich und unaussprechlich ist, dass wir dafür keine Worte haben.

Und was die »Bürgerkriegsähnlichen Zustände angeht«: Ein Bürgerkrieg ist das, was gerade in Syrien passiert. Wo 400000 Menschen getötet wurden und wo sich 11 Millionen Menschen auf der Flucht befinden. Wo ein Staatspräsident sein eigenes Volks aushungert und ermordet. Wo sich eine Flüchtlingskrise epischen Ausmaßes in die Geschichte der Menschheit einfräst, die von der UNO als schlimmste Katastrophe seit dem Völkermord in Ruanda bezeichnet wird. Das (!) ist ein Bürgerkrieg.

In diesen Bürgerkrieg möchten CDU-Politiker übrigens Menschen abschieben, weil sie der Meinung sind, dass ein bisschen Bürgerkrieg nun so schlimm nicht sei. Dass man sich nicht anstellen soll. Überhaupt, wer sich hier nicht benimmt, hat hier auch nichts zu suchen. Man könnte auch sagen, wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen.

Das meinte beispielsweise ein gewisser Thomas Strobl, der seines Zeichens Innenminister ist. In Baden-Württemberg. Und somit auch in Stuttgart.

Dieser Strobl ist nun für die Aufklärung der Ausschreitungen in seiner Stadt verantwortlich. Nur, wenn nun die Zustände in Syrien nicht ausreichend schlimm sind, dass man Menschen vor einer Abschiebung dorthin bewahren wollte, wie schlimm sind dann die zerstörten Schaufensterscheiben in Stuttgart? Und warum setzt man das eine mit dem anderen gleich? Und wenn man zudem die Verwüstungen einer deutschen Innenstadt gleichsetzt mit den Menschheitsverbrechen im Dritten Reich, was sagt das über uns und unser Geschichtsverständnis aus?

Wenn Strobl in den Ausschreitungen ein »bislang unbekanntes Gewalt- und Eskalationspotential« der Beteiligten zu erkennen glaubt, in welchem Verhältnis stehen dann die Randale der VfB-Stuttgart-Fans, die nach einem Heimspiel gegen Herta BSC Berlin die halbe Innenstadt verwüsteten und 12 Polizisten verletzten?

Und welche Erkenntnisse hat man aus dem bislang bekannten Gewalt- und Eskalationspotential der Stuttgarter Polizei gewonnen, die vor wenigen Jahren noch, im Rahmen der Stuttgart21-Demos friedliche Renter*innen und Schüler*innen verprügelte und einem Menschen das Auge unwiederbringlich zerschoss?

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Deutsche haben's schwer, nehmen's leicht
Außen hart und innen ganz weich
Werden als Kind schon auf Deutsch geeicht
Wann ist ein Deutscher ein Deutscher?

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Wann immer Menschen an Straftaten oder gar Verbrechen beteiligt sind, die nicht dem Leni-Riefenstahl’schen Idealbild eines rassereinen Überdeutschen entsprechen, springt in politischen und journalistischen Kreisen eine gut geölte Maschinerie an, um das furchtbare Geschehen in Wählerpotenzial und Auflagensteigerung umzumünzen. Befeuert werden Diskurs und Debatte dabei von CDU, AfD, BILD, rechten Publizisten und rassistischen Gruppierungen auf Facebook und am Stammtisch.

  • Wird ein Mädchen von Deutschen vergewaltigt, war es ein bedauerlicher Einzelfall. Wird ein Mädchen von Syrern vergewaltigt, wird die gesamte Flüchtlingspolitik infrage gestellt.
  • Wird ein Mensch von einem Deutschen auf die Gleise geschubst, war es ein bedauerlicher Einzelfall. Wird ein Mensch von einem Eritreer auf die Gleise geschubst, unterbricht der Innenminister seinen Urlaub und spricht sich für eine Verschärfung der Asylpolitik aus.
  • Tötet ein Deutscher seine Frau und seine Kinder, war es ein bedauerliches Familiendrama. Tötet ein Ausländer seine Frau und seine Kinder, war es ein furchtbarer Ehrenmord.
  • Randalieren Fußballfans, Junggesellen, Stadtfestbesucher und Vatertagsbetrunke in der Innenstadt, gehört das zum deutschen Kulturgut und ist eben Teil einer deutschen Folklore. Randalieren Ausländer als Teil einer skurrilen »Partyszene« in der Innenstadt, sind das »bürgerkriegsähnliche Zustände«, »Zivilisationsbruch« und »Kristallnacht«. Und ein Beweis dafür, wie wenig »die« zu »uns« passen.

Nun ist es ja so, dass Ausländer nicht gleich Ausländer und Deutsche nicht gleich Deutsche sind. Ersteres ist eine Binse, letzteres eine verfassungsfeindliche Bedrohung unseres freiheitlich-demokratischen Zusammenlebens.

Das Grundgesetz kennt nur Deutsche und Nichtdeutsche. Deutscher ist laut Verfassung wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Ein Migrationshintergrund ist für das Deutschsein ungefähr so relevant wie Intelligenzquotient, Rechtstreue oder Arbeitslosigkeit. »Zum Glück!« möchte man sagen, da man ansonsten einen Großteil der Bevölkerung ausbürgern müsste. Es ist für das Deutschsein übrigens auch vollkommen unerheblich, ob man aus Ost- oder Westdeutschland stammt, Schwabe, Bade oder Franke ist. Auch wenn man das in Ost- und Westdeutschland und im Ländle ein wenig anders sehen mag.

Das ist vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte, als man das Deutschtum nur den Ariern zusprach, eine große Errungenschaft. Eine Errungenschaft, die allerdings bröckelt.

Immer häufiger geben sich Medien, Politiker*innen und interessierte Öffentlichkeit nicht mehr damit zufrieden, dass eine Straftat von einem Deutschem begangen wurde, sondern fordern Vornamen, Einwanderungsgeschichte und Migrationshintergrund von Eltern, ja sogar Großeltern ein. Die Polizei wiederum spielt dieses Spiel der Entgrenzung mit und veröffentlicht mal mehr, mal weniger genüsslich Vornamen, Einwanderungsgeschichte und Migrationshintergrund. Wofür das gut sein soll? Man weiß es nicht. In welchem Zusammenhang die Einwanderungsgeschichte zur Tat stehen soll? Man weiß es nicht. Welche Schlüsse man aus alledem ziehen und in welcher Form man Präventionsmaßnahmen aufsetzen könnte? Interessiert niemanden. Erst recht nicht diejenigen, die sich selbst mit Law-and-Order-Kraftmeierei in ihre Ämter gehievt haben. Die häufig auch dieselben sind, die Geld aus Prävention, Sozialarbeit und Bildung abziehen, um damit Polizei und Sicherheitsbehörden mit Panzern und Militärausstattung zu beglücken. Wegen der Terrorgefahr und so. Wobei damit ausdrücklich nicht der rechte Terror gemeint ist. Aber das wiederum ist ein anderes Thema.

Nun lernen angehende Polizist*innen bereits im ersten Semester im Fach Kriminologie einen ganz ganz wichtigen Nicht-Zusammenhang: Herkunft und Kriminalität stehen in keiner (!) Verbindung zueinander. Deutsche vergewaltigen genauso wie Syrer. Deutsche schubsen Menschen genauso auf Gleise wie Eritreer, Deutsche ermorden ihre Ehefrau genauso wie Türken, Deutsche randalieren in der Innenstadt genauso wie alle andere Völker dieser Welt. Nichts von alledem hat mit Herkunft oder Kultur zu tun, dafür umso mehr mit Geschlecht, Alter, Bildung, Sozioökonomie und Lebensperspektive. Letztere könnte man fundamental verbessern, indem in Prävention, Sozialarbeit und Bildung investiert wird. Aber nun ja. Siehe oben.

Stattdessen werden nun unter den Argusaugen von Thomas »Sicheres-Syrien« Strobl bundesweite Standesamtabfragen durchgeführt, um festzustellen, ob die Tatverdächtigen einen Migrationshintergrund haben. Ob sie Vierteltürken, Geltungsrumänen oder indische Mischlinge ersten und zweites Grades wären. Es würde an dieser Stelle nun wirklich nicht mehr verwundern, wenn die nächste Bundesregierung die Einführung eines Migrationsnachweises vorantreiben würde. Das würde zumindest den CDU-geführten Innenministerien, im Sinne des Bürokratieabbaus, die Arbeit erleichtern.

Angesichts der Art und Weise, wie schnell Politik und Polizei auf den Medienzug um ausländische und migrantische Täter aufsteigen, wäre das zumindest der nächste logische Schritt.

In den Abgrund.

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Deutsche sind auch Menschen
Deutsche sind etwas sonderbar
Deutsche sind so verletzlich
Deutsche sind auf dieser Welt einfach unersetzlich

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