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Studieren oder durchwurschteln?

Die Corona-Einschränkungen waren besonders für Studierende aus Arbeiterfamilien schwierig, meint Wolf Dermann.

  • Wolf Dermann
  • Lesedauer: 3 Min.

Ein »Kreativsemester« nennt der Präsident der Freien Universität Berlin, Günter Ziegler, das zu Ende gegangene Semester während der Corona-Pandemie. Und kreativ müssen in diesen Zeiten nicht nur die Lehrenden, sondern in vielen Lebensbereichen auch die Studierenden sein. Auch sie mussten sich auf Online-Vorlesungen und virtuelle Seminare einstellen. Dafür braucht es die passende Technik zu Hause, und wenn dann auch noch der Studi-Job weggefallen und das Geld vor dem Monatsende aufgebraucht ist, haben Studierende schnell keinen Kopf mehr für die akademische Welt. Dann heißt es: kreativ sein oder sich irgendwie durchwurschteln. Und das kann vor allem für den Studienerfolg von Kindern aus Arbeiterfamilien gefährlich sein: Viele von ihnen wurden durch die Corona-Einschränkungen in den vergangenen Monaten abgehängt.

Denn gerade Studierenden aus Elternhäusern ohne Hochschulerfahrung fehlt oft der Rückhalt der Familie für ihr Studium. Das war schon vor Corona so. Läuft etwas nicht rund, wird dann schnell das Studium an sich infrage gestellt. Das hören wir bei Arbeiterkind.de, einer Organisation, die dieser Gruppe im Studium helfen will, immer wieder.

Weil ihre Lebenswelt außerhalb von Uni und Mitstudierenden mit den akademischen Herausforderungen oft wenig anfangen kann, sprechen viele, die in der Familie die Ersten sind, die studieren gehen, über die Inhalte ihres Studiums nur an der Hochschule. Die Uni ist für sie ein wichtiger Treffpunkt mit anderen Mitstreiter*innen, wie es das aus dem lateinischen stammende Wort Kommilitone auch ausdrückt.

Dass dieser Austausch während Deutschlands »Kreativsemester« plötzlich schlichtweg nicht mehr möglich war, hat das Studieren für viele Arbeiterkinder in den vergangenen Monaten weiter erschwert: Ohne das Mitziehen durch andere Studierende musste man sich nun also alleine durchschlagen in der neuen virtuellen Hochschulwelt.

Statt Klausuren mussten viele Studierende regelmäßig Hausaufgaben zur Bewertung einreichen. Dafür braucht es eine Menge Selbstorganisation und Eigenmotivation, wofür man vor allem eines benötigt: einen klaren Kopf ohne ständige Sorgen!

Doch vierzig Prozent der Studierenden hatten durch die Corona-Maßnahmen ihre Jobs verloren. Gerade Studierende aus einem nicht-akademischen Elternhaus haben überdurchschnittlich häufig einfache Jobs: Babysitten oder Kellnern etwa. Sie waren in der Zeit der Corona-Einschränkungen oftmals weggefallen, über Monate hinweg mussten dann Ausfälle im ohnehin knappen Budget verkraftet werden. Seit wenigen Wochen erst werden diese nun durch ein Programm der Bundesregierung aufgefangen. Die Hilfen kommen also spät - und für manche kommen sie zu spät.

Gerade in kleinen Städten hatten Studierende ihre Wohnungen da bereits gekündigt und waren zu den Eltern nach Hause zurückgezogen, um Geld zu sparen. Auf der Strecke blieb das Ankommen in der neuen, akademischen Welt. Das Studium rückte dafür in die Ferne. Durch diese Geldsorgen sowie Eltern, die das Projekt Studium zu Hause infrage stellen, droht jetzt für viele womöglich auch die Entscheidung für einen Studienabbruch, obwohl die Leistungen gereicht hätten.

Und das kann nicht die Lösung sein. Statt also die »Kreativität« der Studierenden zu fordern, wäre etwas weniger gesetzgeberische »Kreativität« von Land zu Land wünschenswert: Denn die unterschiedlichen Haltungen der Bundesländer zu den Regelstudienzeiten stellen immer noch einen Flickenteppich dar. Nur vier Bundesländer haben bereits geregelt, dass das aktuelle Semester nicht dazu zählt. Für Bafög-Empfänger*innen kann das entscheidend werden, denn noch immer ist die Dauer der finanziellen Förderung des Lebensunterhalts an diese Idealstudienzeit gebunden.

Was fehlt, ist außerdem eine Gesellschaft, die Bildungsaufsteiger*innen auf ihrem Weg den Rücken stärkt. In akademisch geprägten Elternhäusern wird das Projekt Studium fast nie infrage gestellt. Bei Arbeiterkindern müssen wir als Gesellschaft diese Botschaft senden. Das ist mindestens genauso wichtig wie das Geld. Damit sich in Zukunft hoffentlich niemand mehr durchwurschteln muss.

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