Blutende Augäpfel
Pandemie und Paradigmenwechsel: Die Serie »Sloborn« zeigt, wie sich unser Bild von Infektionen ändert
Eigentlich hätte es ein Renner werden müssen: Mit »Sloborn« läuft eine Serie über den Ausbruch einer Pandemie an einem Nordseetourismus-Hotspot an. Klingt fast wie bestellt für die Ferienkrisen- und Coronazeit. Im öffentlich-rechtlichen Opus auf der fiktiven, Titel gebenden Nordseeinsel Sloborn bricht die tödliche Taubengrippe aus, die zuvor schon Asien und Lateinamerika heimgesucht hat und nun auch in den hiesigen Breiten mit voller Wucht zuschlägt. Gedreht wurde die Serie im vergangenen Jahr, lange vor Corona. Deshalb mag der eine oder andere Aspekt dieser Serie verwundern: Es wird nicht nur nie Abstand gehalten, sondern auch viele, eigentlich kreuzbrave Nordseetouristenparadies-Bewohner sind vor allem damit beschäftigt, sich gegen die Zumutungen der Seuchenbehörde zu wehren - denn in der Fiktion belügt eine überforderte und rücksichtslose Regierung ihre Bürger.
Angesichts der Mobilisierung von Aluhüte tragenden »Virusskeptikern« und anderen Rechten ist so ein Plot schon mehr als fahrlässig. Zumindest wird aber das Grundproblem mangelnden Vertrauens im Moment einer Pandemie thematisiert - wenngleich auch ziemlich platt.
»Sloborn« macht klar, dass nach der aktuellen Pandemie derartige Stoffe eine andere und weitaus differenziertere Fiktionalisierung erleben werden. Denn Seuchenfilme und -serien wird es im Lauf der nächsten Jahre jede Menge geben. In der öffentlich-rechtlichen Version hat das fiktive Virus ganz hollywoodesk - ähnlich dem Blockbuster »Contagion« (2011) - eine Mortalitätsrate von 90 Prozent, inklusive hämorrhagischem Fieber mit blutenden Augäpfeln. Dreimal husten heißt, dass jemand fünf Minuten später qualvoll stirbt. In der Tat ist Science-Fiction noch weit von der Realität entfernt.
Die heute interessant erscheinenden Fragen im Zusammenhang mit einer Pandemie, beispielsweise wie eine neue Gesundheitsmoral implementiert wird oder welche ökonomischen und politischen Konsequenzen so ein Ereignis mit sich bringt, wird in »Sloborn« gerade einmal angekratzt. Und dass das Virus dann ausgerechnet auf die Insel kommt, weil ein paar US-amerikanische Touristen auf einem Segelboot vom Südatlantik in die Nordsee schippern, unterwegs auch noch sterben, das Segelboot trotzdem ankommt und eine Gruppe renitenter Jugendlicher inmitten ihrer Leichen wühlt, wirkt reichlich aufgesetzt. Heute wissen wir, dass der Skiurlaub in Österreich genügt, um halb Europa zu infizieren. Vielleicht sollte man »Sloborn« aber auch nicht zu streng vor dem Hintergrund des aktuellen Wissensstandes in Sachen Pandemie beurteilen.
Aber die Serie beschäftigt sich doch zu sehr damit, »Bild«-kompatible Schreckensbilder zu produzieren, um sie dann in eine Coming-of-Age-Geschichte einzuweben. Emily Kusche als 15-jährige Insulanerin, die konsequent gegen alle Zwänge anrennt, gibt da zwar eine sehr überzeugende Vorstellung. »Sloborn« entwirft auch ein ganzes gesellschaftliches Panorama, das von kommunalpolitischen Ränkespielen inklusive Immobilienspekulation bis hin zu einer Gruppe straffälliger Jugendlicher reicht, die einen abgewrackten Bauernhof aufbauen sollen. Die Dorfnazis, die sich dann im Zuge des Ausnahmezustands sogar bewaffnet in der Kirche verschanzen, um der Bundeswehr zu trotzen, runden die Nordseegemeinde ab, in der es eine Vielzahl Christen gibt, von denen einige sogar begeistert die Apokalypse herbeibeten, während emotional derangierte Eltern ihre Kinder schlagen. Dass hinter den bürgerlichen Fassaden des touristischen Vorzeige-Küstenstädtchens (gedreht wurde auf Norderney und im polnischen Sopot) so einiges im Argen liegt, ist erwartbar. Dass im Zuge der Seuche diese Bilderbuchwelt in sich zusammenfällt und zum Alptraum mutiert, überrascht ebenfalls nicht. Insofern funktioniert »Sloborn« wie der »Tatort«: Man weiß immer schon vorher, was als nächstes passiert. Zumindest gibt es kein aufgesetztes Happy End in dieser Serie, die den Moment einer alles mit sich reißenden Pandemie zwar zu brachial in Szene setzt, aber angesichts der Coronakrise definitiv sehenswert ist.
»Sloborn«, zu sehen am 24. Juli auf ZDF.Neo und in der ZDF-Mediathek.
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