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Seehofers Gier nach Daten
Innenminister Horst Seehofer will eine sechsmonatige Vorratsdatenspeicherung durchsetzen
Justizministerin Christine Lambrecht hat kürzlich Post erhalten, über die sie sich nicht sonderlich gefreut haben dürfte. In dem Schreiben an die Sozialdemokratin plädiert Innenressortchef Horst Seehofer für eine Verlängerung der Vorratsdatenspeicherung von zehn Wochen auf sechs Monate. Auch die »Bild am Sonntag« durfte den Inhalt des Briefs lesen und zitierte nun daraus. Das Springerblatt steht dem CSU-Mann Seehofer politisch nahe und wird von ihm immer wieder mit exklusiven Informationen versorgt.
Das Thema Vorratsdatenspeicherung ist für die SPD heikel. Der damalige Parteichef Sigmar Gabriel und Heiko Maas, der zu diesem Zeitpunkt Justizminister war, hatten sie nach den Terroranschlägen von Paris im November 2015 gegen heftige interne Widerstände durchgesetzt. Nun kann sich SPD-Familienministerin Franziska Giffey ebenso wie Seehofer die Wiederbelebung der Vorratsdatenspeicherung vorstellen. Parteichefin Saskia Esken ist dagegen und verwies kürzlich auf Gerichtsurteile, wonach Datenschutz und Privatsphäre wichtiger seien als die Forderungen der Strafverfolger nach einer anlasslosen Speicherung von Verbindungsdaten aller Bürger eines Landes.
Der Rechtsstreit um das Instrument ist allerdings noch nicht endgültig entschieden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hatte im Jahr 2016 das deutsche Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung gekippt. Seitdem speichern Internetprovider die IP-Adressen von Nutzern nur wenige Tage. Die endgültige Klärung, ob die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland angewendet werden darf, hatte das Bundesverwaltungsgericht im September 2019 zurück an den EuGH gegeben.
Seehofer hofft, dass das Urteil des Gerichts zu seinen Gunsten ausfällt. Danach könnten seine Vorstellungen der Vorratsdatenspeicherung sofort angewandt werden. Im von Lambrecht geführten Justizministerium ist man hingegen zurückhaltender. Dort heißt es, mann wolle zunächst die Gerichtsentscheidung abwarten, bevor Gesetze angepasst werden.
Woher der Optimismus von Seehofer kommt, ist fraglich. Im Januar hatte Generalanwalt Manuel Campos Sánchez-Bordona vom Europäischen Gerichtshof erklärt, dass im Kampf gegen den Terrorismus keine anlasslose, sondern nur ein »begrenzte und differenzierte« Speicherung von Daten richtig sei. Außerdem sollten die Daten nur für einen begrenzten Zeitraum gesichert werden dürfen. Mittel und Methoden der Terrorismusbekämpfung müssten den Erfordernissen des Rechtsstaats entsprechen.
Einzige Ausnahmen für eine weitgehende und allgemeine Pflicht zur Vorratsdatenspeicherung sind aus Sicht von Sánchez-Bordona eine unmittelbar bevorstehende Bedrohung oder eine gefährliche Ausnahmesituation, die eine offizielle Erklärung des Notstands in einem Land rechtfertige. Sánchez-Bordona ist ein wichtiger EuGH-Gutachter, dessen Ergebnisse mit Sicherheit auch Einfluss auf das Urteil des Gerichts haben werden.
Zumal der Anlass für den Vorstoß von Seehofer zur Vorratsdatenspeicherung weder eine terroristische Bedrohung noch eine gefährliche Ausnahmesituation ist, sondern die Ermittlungen zu Fällen sexualisierter Gewalt gegen Kinder. Zuletzt hatten Netzwerke und Täterringe wie in den Missbrauchskomplexen von Münster und Bergisch Gladbach für Schlagzeilen gesorgt. Die Ermittler könnten mithilfe der Vorratsdatenspeicherung auf Daten zugreifen, die zeigen, wer kinderpornografisches Material verbreitet hat. Die betreffende Person kann über ihre IP-Adresse ermittelt werden.
Das klingt zwar in der Theorie danach, als würde das die Ermittlungserfolge der Polizei steigern. Doch so einfach ist es nicht. Denn zahlreiche Täter wissen, wie sie ihre Spuren im Internet verwischen können. Viele von ihnen benutzen das Darknet, um etwa Bilder und Videos zu verbreiten. Dort können die IP-Adressen verschleiert werden. Auch die Verschlüsselung bei Nachrichten über Messengerdienste bereitet den Ermittlern Probleme.
Vor diesem Hintergrund hat sich am Freitag auch die Europäische Kommission mit dem Kampf gegen sexuellen Missbrauch von Kindern befasst. Dabei ging es hauptsächlich um die Frage, wie man trotz der Verschlüsselung die Täter ausfindig machen kann. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson kündigte Rechtsvorschriften an, mit denen Online-Plattformen verpflichtet werden, die Weitergabe der illegalen Inhalte aufzudecken und zu melden.
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