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Der Mann, der Kreditkarten mied

War Wirecard-Vorstand Jan Marsalek Agent Moskaus?

  • René Heilig
  • Lesedauer: 5 Min.

München, Prinzregentenstraße 61. In dem von Seiner Königlichen Hoheit Prinz Alfons von Bayern errichteten repräsentativen Kuppelbau, der - wie ein Reiseführer sagt - an ein französisches Schlösschen erinnert, lebte einst der Physiker Wilhelm Conrad Röntgen. Nach der Revolution meldeten die Wittelsbacher 1919 Eigenbedarf an, nach dem Zweiten Weltkrieg nahmen unter anderem das Stuttgarter Kunstkabinett und eine Niederlassung der Credit Suisse hier Quartier. Vor Tagen noch soll Jan Marsalek (40), Manager des Finanzdienstleisters Wirecard, in der Villa residiert oder zumindest Gäste empfangen haben.

Das Anwesen hat zwei Tore, eines öffnet sich in Richtung russisches Generalkonsulat. Keine Frage, dass nicht wenige der Büros von russischen Nachrichtendiensten genutzt werden. Offenbar hat Marsalek, der mit 30 Jahren begann, die operativen Geschäfte des inzwischen tief gefallenen Dax-Konzerns Wirecard zu managen, dieses Gebäude niemals betreten. Was keineswegs ausschließt, dass der Österreicher - wie vielfach behauptet wird - in Diensten des russischen Militärgeheimdienstes GRU steht und jetzt irgendwo von seinem Zweitarbeitgeber versteckt wird.

In Moskau ist der »Fall Marsalek«, der im Westen Wellen schlägt, offiziell kaum eine Notiz wert. Kremlsprecher Dmitri Peskow gab die Losung aus, dass dazu »nichts bekannt« sei; die Staatsanwaltschaft ergänzt, es gebe weder ein Strafverfahren gegen den Manager in Russland noch ein Auslieferungsersuchen an Russland. Die Medien haben andere Themen, lediglich die Website newsru.com übersetzte einen Artikel aus dem deutschen »Handelsblatt«.

Schon als der von Wirecard am 18. Juni freigestellte und dann fristlos gefeuerte Vorstand der Finanzfirma aus Aschheim bei München noch im Amt war, hielt er sich im Hintergrund. Nur bei offiziellen Terminen wie Hauptversammlungen sah man ihn. Zumeist an der Seite von Konzernchef und Wirecard-Mitbegründer Markus Braun, der gleichfalls der Bilanzfälschung beschuldigt wird.

Umso bizarrer sind Berichte mit zumeist anonymer Quelle. Darin geht es weniger um das Finanzgenie, das für Wirecard in Singapur, Dubai und Manila Netze geknüpft hat, die so löchrig (oder so clever angelegt) waren, dass 1,9 Milliarden Euro durchrutschten. Falls sie je existiert haben. Stattdessen zeichnen angebliche Insider ein Bild von Marsalek als Topagent. Umso problematischer ist es, dass ehemalige und aktive deutsche Regierungsmitglieder, samt der Kanzlerin, bei Auslandsreisen Werbung für Wirecard gemacht haben. Selbst Angela Merkels einstiger und langjähriger Geheimdienstaufseher Klaus-Dieter Fritsche musste Lobbydienste für den Schummelkonzern zugeben. Hat der CSU-Mann, der mit allen nachrichtendienstlichen Wassern gewaschen ist, in Marsalek etwa seinen Meister gefunden?

Dass Finanzprofis als Geheimagenten arbeiten, ist nicht so ungewöhnlich, wie man meinen möchte. Der britische MI6 hat sogar gezielt Banker angesprochen, weil die in Zeiten der Globalisierung beste Voraussetzungen für den Schnüffeljob mitbringen. Sie sind in gesellschaftlichen Schlüsselstellungen, bestens vernetzt, exakt und skrupellos. Womöglich beschreitet der russische GRU ähnliche Rekrutierungswege. Die mit westlichen Diensten verbandelte Enthüllungs- und Verlautbarungsplattform Bellingcat, die Marsaleks angeblichen Fluchtweg über Tallinn und Minsk mit allerlei Verästelungen und falschen Spuren beispielsweise auf die Philippinen nachzeichnete, will Beweise dafür haben, dass sich der Topmanager mit verschiedenen österreichischen Pässen auffällig oft in Russland aufgehalten hat.

Ab 2015 häuften sich demnach diese Abstecher. Marsaleks Reisen, so heißt es auf Bellingcat, zeigten »ein nahezu monatliches Muster von Besuchen«. Ein Beispiel: Am 29. September 2016 flog der Manager mit Kurzhaarfrisur und Vorliebe für Maßanzüge um 1.55 Uhr von München nach Moskau, dann um 7.58 Uhr weiter nach Athen. Tags darauf jettete er von Griechenland nach St. Petersburg, wo er nur anderthalb Stunden blieb, bevor er erneut nach Griechenland flog - diesmal auf die Ferieninsel Santorin. Während dieser Reise wechselte er dreimal die Privatjets. Waren das Reisen im Auftrag von Wirecard? Es gibt jede Menge Erklärungsbedarf. 2017, so heißt es, habe er einen Aufenthalt in Russland um Tage verlängern müssen. Brauchten die GRU-Führungsoffiziere Zeit für ein gründliches Update ihres Agenten?

Angeblich umfasst das Marsalek-Einwanderungsdossier des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB 597 Seiten - »viel mehr als jede Ausländerdatei, auf die wir in mehr als fünf Jahren Ermittlungen gestoßen sind«, behauptet Billingcat, wo entgegen eigener Darstellung keineswegs unabhängig recherchiert wird. Gibt es dieses Dossier tatsächlich und kommt man so simpel an die Daten heran, spräche das nicht für einen Einsatz Marsaleks als Top-GRU-Agent. Selbst dann nicht, wenn man in Rechnung stellt, dass der GRU schlampiger arbeitet als zu Sowjetzeiten und die Konkurrenz zum FSB vieles erschwert.

Zu fragen ist indessen, warum sich der Agent mit Prahlereien über seine guten Geheimdienstkontakte vor Freunden und Geschäftsleuten selbst ans Messer liefern sollte. Marsalek soll beispielsweise damit angegeben haben, die Formel für das tödliche Nervengift Nowitschok zu kennen, mit der der russische Geheimdienst angeblich Gegner umbringt. 2018 soll der Wirecard-Vorstand geheime Berichte der Organisation für das Verbot chemischer Waffen feilgeboten haben, die sich mit dem Mordversuch an dem russischen Ex-Agenten Sergei Skripal in Großbritannien befassten. Ein Jahr zuvor bereits soll Masalek geprahlt haben, die kurz zuvor von der Terrorgruppe »Islamischer Staat« zurückeroberte antike Ruinenstadt Palmyra in Syrien besucht zu haben, auf Einladung des russischen Militärs. Im Februar 2018 schließlich soll der angebliche Agent laut der »Financial Times«, die sich seit Jahren mit Wirecard-Betrügereien befasst, behauptet haben, eine 15 000 Mann starke Söldnermiliz für Libyen zu rekrutieren, die die Grenze für Flüchtlingsströme aus Afrika dicht macht und russische Investitionen sichert. Behauptet wird auch, dass Marsalek eine Fabrik in Libyen gehört, die russischen Söldnern als Stützpunkt dient. In seiner Heimat, wo Marsalek dem Österreichisch-Russischen Freundschaftsgesellschaft angebört, hat er angeblich geheimes Verfassungsschutzmaterial an die rechtspopulistische FPÖ weitergereicht.

Gerüchte, Vermutungen, falsche Fährten? Wenn wirklich etwas stutzig machen kann, dann das: Jan Marsalek, Chief Operating Officer eines Unternehmens, das Lösungen für den globalen elektronischen Zahlungsverkehr anbietet, soll darauf bedacht gewesen sein, so selten wie möglich Kreditkarten zu benutzen. Denn die können extrem verräterisch sein.

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