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G20: Polizei räumt Fehlverhalten ein
Als 32 Journalisten ausgesperrt wurden - spät entschuldigt sich Hamburgs oberster Ordnungshüter
Um zu erleben, wie rigide und verfehlt ein Land und seine Ordnungshüter mit der Pressefreiheit umgehen und gegen dieses hohe Gut verstoßen, sind keine Reisen in »Schurkenstaaten« und Diktaturen erforderlich. Ein beruflicher Termin in Deutschland kann genügen, um solch bittere Eindrücke zu gewinnen. Diese Erfahrung machten 32 Journalistinnen und Journalisten, die im Juli 2017 aus Hamburg vom Treffen der 20 wichtigsten Industrieländer berichten wollten - vom G20-Gipfel. Jenen Medienleuten wurde der Zutritt zum Pressezentrum verwehrt, auch mussten sie ihre Akkreditierungsausweise wieder abgeben. Bei einem der Betroffenen hat sich die Hamburger Polizei jetzt, gut drei Jahre nach dem Geschehen, für ihr Vorgehen zu entschuldigen versucht.
Der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer bedauert in einem Schreiben an den Journalisten Ertugrul »Adil« Yigit das »unbeabsichtigte Fehlverhalten der eingesetzten Polizeibediensteten«. In der Kommunikation mit dem Bundeskriminalamt und dem Bundespresseamt sei es zu Missverständnissen und Fehlern gekommen, so zitiert der NDR aus dem Brief, der dem Sender vorliegt. Nach Informationen der Rundfunkleute soll durch die Zeilen des Präsidenten ein Rechtsstreit zwischen Yigit und der Polizei beendet werden. Sie möge ihr Fehlverhalten eingestehen, so hatte der Journalist gefordert.
Gegen den Umgang der Polizei mit Pressevertretern während des G20-Treffens, das aufgrund von Ausschreitungen protestierender Menschen auch als »Krawallgipfel« bezeichnet worden war, hatte sich nicht allein Adil Yigit gewehrt. So waren zwei Journalisten gegen den Entzug der Presse-Akkreditierung vor das Verwaltungsgericht in Berlin gezogen und hatten Recht bekommen. Im November 2019 fiel das Urteil: »Die Voraussetzung für einen rechtmäßigen Widerruf der Akkreditierungen (hat) nicht vorgelegen.«
Eine Klatsche gegen das Bundespresseamt, dessen Anwälte stets betont hatten: Nach den Krawallen habe es eine Neubewertung seitens der Sicherheitsbehörden gegeben, die nur eine Möglichkeit des Handels offengelassen habe: den Entzug der Akkreditierungen. Eine Maßnahme, die 32 Medienleute traf. Berichterstatter, die als potenzielle Gefährder auf einer Art schwarzer Liste landeten.
Fraglich ist nach wie vor, aufgrund welcher Erkenntnisse sich bundesdeutsche Sicherheitsbehörden dazu versteigen, Journalistinnen und Journalisten so einzustufen. Im Fall Hamburg 2017, so hieß es, habe das Berichten von andernorts gelaufenen Demonstrationen ausgereicht, um in die Schublade »möglicherweise gefährlich« gesteckt zu werden. Auch Recherchen zum Rechtsextremismus, enge Kontakte zu Umweltaktivisten oder eine »linke Tendenz« sollen zu einer entsprechenden Kategorisierung beigetragen haben.
Zu denjenigen, die so eine Einordnung traf und die deshalb von dem G20-Gipfel in Hamburg ausgesperrt worden waren, gebe es Sicherheitsbedenken. So hatten die verantwortlichen Stellen ihren Eingriff in die Pressefreiheit pauschal rechtfertigen wollen. Ein Verstoß, durch den zum Beispiel der nd-Redakteur Simon Poelchau bei der Berichterstattung vom G20-Gipfel behindert worden war.
Poelchau verlangte von den Behörden, sie sollten den Entzug der Akkreditierung begründen. Vom Bundeskriminalamt kam noch im August 2017 die Antwort: Im polizeilichen Informationssystem INPOL gebe es zwar keine Eintragung zu Simon Poelchau, wohl aber liege eine Warnung des Berliner Verfassungsschutzes vor, die besage: Er sei 2015 bei einer Protestaktion vorläufig festgenommen worden. Der Redakteur wusste allerdings nichts von einer Festnahme und schrieb dies den Schlapphüten. Die antworteten zwei Jahre (!) später, schrieben nur von einer »Teilnahme« an der Demo, erwähnten jedoch keine Festnahme. Weitere Einträge der Geheimdienstler erschienen Poelchau derart fragwürdig, dass er sich entschloss, gegen die Verfassungsschützer zu klagen.
All dies mag darüber nachsinnen lassen, wie weit auch diejenigen Erkenntnisse und Eintragungen der Behörden fragwürdig sind, die zum Einzug der Akkreditierungen in Hamburg führten. Zu einem Handeln, das bei Journalistinnen und Journalisten auch nach drei Jahren noch Magendrücken verursacht. Ein Brief von Polizeipräsident Meyer kann das nicht heilen. Kommentar Seite 8
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