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Aufmarsch der Corona-Leugner
Rechte und rechtsoffene Demonstranten versuchen ihre bröckelnden Proteste zu reaktivieren
Zuletzt war fast nur noch vom rechtsextremen Koch Attila Hildmann zu lesen. Hildmann machte mit Morddrohungen und Holocaust-Leugnung Schlagzeilen. Am kommenden Wochenende soll nun wieder eine breite Bewegung, ausgehend vom Umfeld der rechtsoffenen »Hygiene-Demos«, auf die Straße gehen. Für Samstag rufen die sogenannten Querfrontler der »Nicht ohne uns«-Veranstaltungen vom Frühjahr zu einem »Tag der Freiheit« auf. Auch andere verschwörungsideologische Organisationen sowie die Berliner NPD haben sich angekündigt.
Für die Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) zeigt sich daran, wes Geistes Kind die Corona-Proteste sind. Zusammen mit dem Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus« wollen sie deshalb dagegen demonstrieren.
Ausgangspunkt ist das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma am Tiergarten. Aus zwei Gründen, erklärt Geschäftsführer Markus Tervooren: Erstens sei man dort in der Nähe der Route, und zweitens könne man für den Erhalt des Denkmals einstehen. Es wird befürchtet, dass es durch die Bauarbeiten für einen geplanten S-Bahntunnel beeinträchtigt werden könnte.
Für Tervooren ist es nicht die erste Aktion gegen die Verschwörungsanhänger. Die letzten Monate hätten gezeigt, dass vielfach Rassisten und Antisemiten an den Demonstrationen teilnehmen und auch eine führende Rolle spielen, sagt er. Inhaltlich kann Tervooren einige Punkte der Proteste nachvollziehen, etwa die Kritik an der Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Durch die rechte Vereinnahmung hätten sich die Organisatoren allerdings klar diskreditiert. »Sie können das nicht, wollen das nicht, und deswegen sollen sie zu Hause bleiben«, sagt der Antifaschist zur fehlenden Abgrenzung nach rechts.
Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) Berlin hält die Demonstration in Mitte für den »bundesweiten Versuch, den schwächelnden Protesten wieder größere Aufmerksamkeit zu verschaffen«. »Es bröckelte«, sagt MBR-Mitarbeiterin Manja Kasten dem »nd« zur Entwicklung der Corona-Proteste. Das Spektrum der Teilnehmer habe sich zuletzt nicht mehr verändert. Laut den Expert*innen für Rechtsextremismus sind die Veranstaltungen von gemeinsamen verschwörungsideologischen Vorannahmen geprägt, die auch offen sind für rechtspopulistische und -extreme Auslegungen. Es sei dennoch schwierig einzuschätzen, was am Samstag passiere, so Kasten. Da bundesweit mobilisiert werde und man sich mit anderen Akteur*innen zusammengeschlossen habe, sei eine deutlich größere Zahl von Teilnehmer*innen als in den letzten Wochen möglich. Denkbar sei ein höherer vierstelliger Bereich, so Kasten. Die Organisator*innen selbst sprachen zunächst von einer halben Million, korrigierten die Zahl zuletzt dann aber doch auf 10 000.
Die MBR kritisiert vor allem die fehlende Abgrenzung nach rechts. »Das sind bisher eher Lippenbekenntnisse«, sagt Manja Kasten. Praktisch teile man sich jedoch eine Bühne. Wörtlich distanzieren sich die Mitorganisator*innen der Veranstaltungen gegen die Corona-Maßnahmen durchaus hartnäckig von rechtsextremen Teilnehmer*innen. Anselm Lenz, Führungsperson bei den sogenannten Hygiene-Demos, grenzt sich auf nd-Anfrage zwar vom rechten Volkslehrer Nikolai Nerling ab. In seiner vor Beleidigungen gegen diese Zeitung und ihre Redakteur*innen nur so strotzenden Antwort gibt er jedoch an, mehr Angst vor einem »Faschismus der Mitte« als vor »Clowns« zu haben.
Das passt zu den Befürchtungen der Gewerkschaft Verdi: In einer Mitteilung warnt der Bezirksverband Berlin Brandenburg vor Einschränkungen der Pressefreiheit und körperlichen Angriffen auf Journalist*innen am Wochenende. Ziel der Proteste seien auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk und zahlreiche Pressehäuser. »Wir rechnen am Wochenende mit einer hohen Gewaltbereitschaft«, sagt Jörg Reichel, Landesgeschäftsführer der Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju). Zudem würden sich zahlreiche Rechte mit gefälschten Ausweisen als Journalist*innen ausgeben.
Auch Lenz und seine Redaktion des »Demokratischen Widerstands« möchten als Zeitung anerkannt werden. Sie haben schon seit einer Weile ihr neues Büro im Wedding bezogen. Ein Immobilienunternehmer aus München hatte ihnen dies zur Verfügung gestellt. Das gefällt nicht allen Anwohner*innen: Am Freitagabend soll es eine Demonstration vor den Räumlichkeiten geben.
Diese findet statt, weil Antifaschist*innen den Darstellungen von Lenz vehement widersprechen. Auf Twitter legt die North-East Antifa (NEA) offen, wer auf der Demonstration am Wochenende zu erwarten ist. So bewirbt der schon erwähnte Volkslehrer Nerling die Aktion und wird auch vom Bündnis Querdenken 711 aus Stuttgart hofiert. Ihr Pressesprecher Stephan Bergmann warnt nach Recherchen der NEA auf Facebook vor der »Vermischung der Rassen«. Querdenken und die Koordinationsstelle Demokratischer Widerstand sind die Hauptorganisatoren des »Tags der Freiheit«.
Die Koordinationsstelle Demokratischer Widerstand stelle damit erneut das Bindeglied zwischen Querfront und Rechtsextremen, so die NEA. Für Letztere sei sie eine Art Türöffner. »Faschist*innen nutzen deren Bühnen und Veranstaltungen«, schreibt die Antifa-Gruppe. Deswegen müsse man gegen Anselm Lenz und seine Redaktion vorgehen.
Nicht nur am Freitag werden die Corona-Demonstrationen mit Gegenprotest konfrontiert sein. Das Koordinationsprojekt Berlin gegen Nazis zählt acht Veranstaltungen, die von Freitag bis Sonntag die verschwörungsideologischen Erzählungen kritisieren und aufdecken wollen. Aufklärung gegen rechts soll dort praktisch umgesetzt werden.
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