Davids Steinschleuder und das Meinungspatt in den Kirchen
Militärtaktik siegt über ethische Grundsätze: Die von der Regierung versprochene Diskussion über die Bewaffnung deutscher Drohnen hat nicht stattgefunden
Syrien, Libyen, Jemen, Afghanistan ... - der Einsatz überlegener Killerdrohnen ist längst Normalität. Die USA nutzen die High-Tech-Geräte ebenso wie Russland und China, Israel ist eine ebenso erfahrene wie skrupellose Killerdrohnenmacht, die Nato-Partner Großbritannien und Frankreich scheuen nicht davor zurück, unbemannt zu morden, die Türkei setzt Drohnen ein, der Iran ebenso. Die vor Jahren noch hörbare Kritik am Bau und Einsatz solcher Waffen ist leiser geworden. Auch die vor über sieben Jahren vom damaligen Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) versprochene und sogar im Koalitionsvertrag festgeschriebene Debatte über die Beschaffung bewaffneter Drohnen plätscherte letztlich nur noch dahin. Alle Argumente schienen schon ausgetauscht.
Das liegt gewiss nicht nur daran, dass die Union ungestört Fakten schaffen und die SPD sich so lange wie möglich vor klaren Aussagen drücken wollte. Es kam wie erwartet: Sie stimmte der Bewaffnung der Heron TP zu. Klare Ablehnung betont weiter die Linkspartei, die Grünen suchen eine Position. Mit halber Kraft.
Unklar agierten auch die Kirchen, von denen nicht wenige im Land eine friedenspolitische Vorreiterrolle erwartet hatten. Das liegt unter anderem daran, dass hinter der Entscheidung für oder gegen eine Bewaffnung unbemannter Flugmaschinen im Kern die viel tiefer gehende Frage nach der Legitimität militärischer Gewalt und den Ursachen von Kriegen steht. Mit den dazu fälligen Antworten hatten fast alle Religionen dieser Welt zu fast allen Zeiten Probleme.
Wer kennt nicht die biblische Legende von David und Goliath?! In einer entscheidenden Schlacht standen sich Philister und Israeliten gegenüber. Die Philister schickten den riesenhaften Goliath vor. Gegen ihn trat David an. Erwartet wurde ein ehrenhafter Zweikampf. Mann gegen Mann mit dem Schwert in der Hand. Gewinnt David, treten die Philister in den Dienst der Israeliten. Sollten die siegen, wären die Israeliten deren Knechte.
Doch David mied den Kampf Aug’ in Aug’. Er, so steht es in der Bibel, »tat seine Hand in die Tasche und nahm einen Stein daraus und schleuderte ihn und traf den Philister an der Stirn, dass der Stein in seine Stirn fuhr und er zur Erde fiel auf sein Angesicht. So überwand David den Philister mit Schleuder und Stein und traf und tötete ihn.«
Hinter dieser Episode verblasst Davids späterer Hang zu Mord und Krieg. Er wird noch immer gelobt ob seiner Klugheit, mit der er jegliche seit jeher verlogene Ritterlichkeit missachtend, eine - wie man heute sagen würde - eine effektive Abstandswaffe einsetzte. Kann man da - bibeltreu - einfach moderne Steinschleudern verdammen?
Wie die Antwort darauf ausfällt, hängt auch von der eigenen Betroffenheit ab. Schon 2013 hat sich die »Gemeinschaft Katholischer Soldaten« (GKS) für eine Bewaffnung deutscher Drohnen ausgesprochen. 2019 bekräftigte man diese Position und behauptete - siehe David -, »bewaffnete Drohnen ermöglichen eine bessere Umsetzung der ethischen Forderung nach Gewaltminimierung«. Die GKS wirbt vor allem für einen größeren Schutz der eigenen Soldaten.
Andere für die ethische Bewertung wichtige Aspekte kämen dabei zu kurz, wirft der Ethiker Bernhard Koch ein. Er ist Vizechef des Instituts für Theologie und Frieden in Hamburg. Das ist eine Einrichtung in Trägerschaft der Katholischen Militärseelsorge, die in Erwartung zusätzlicher psychologischer Probleme bisweilen bedacht umgeht mit dem Thema Drohneneinsatz. Man müsse, so Koch, »die ganze Situation in den Blick nehmen« und fragen, was der Schutz der einen für andere bedeutet.
Geht das im Krieg? Da heißt es: Wer - wen? Ich oder du! Koch und andere betonen, dass man mithilfe der überlegenen Drohnentechnik womöglich einen negativen, also einen durch Gewalt erzwungenen Frieden erreichen kann. Doch zu einem positiven Frieden, der herrscht, wenn sich die Menschen kooperativ in einem Sozialverbund bewegen, einander unterstützen und vertrauen, können auch High-Tech-Waffen wohl kaum etwas beitragen.
Bedenken an kurzschlüssigen Betrachtungen hatten bereits 2013 auch der Militärbischof Franz-Josef Overbeck und der damalige Vorsitzende der Kommission Justitia et Pax, Stefan Ackermann, erhoben. Sie fragten, wie kann verhindert werden, dass die derartige Kriegsführung politische und psychologische Gewaltschwellen senkt? Wie kann man auf einem Monitor Kämpfer von Unbeteiligten unterscheiden, zumal die Grenze zwischen ihnen in den aktuellen Kriegen ohnehin verschwimmt. Auch andere Kirchenleute warben pauschal für die Einhaltung des Völkerrechts, fragten nach der Kompetenz dessen, der letztlich den Feuerbefehl gibt, und warnten vor der Gefahr neuen Wettrüstens.
Doch allzu leicht haben sich Kirchgänger schon mit Versprechen aus dem Koalitionsvertrag zufriedengegeben: »Wir lehnen die völkerrechtswidrigen Tötungen oder rechtswidrigen Tötungen ab«, heißt es da. Das ist gerade angesichts der Debatten um eine notwendige Weiterentwicklung, zumindest aber Bewahrung des aktuellen Völkerrechts gewollt ungenau. Zudem: Inzwischen wird sogar das eine oder andere extralegale Töten mutmaßlicher Terroristen durch die USA von der sogenannten und viel zitierten Völkergemeinschaft toleriert. Eines der jüngsten Beispiele ist der Mord an dem iranischen General Qasem Soleimani im Januar 2020.
Auch die evangelische Kirche bietet - anders als noch vor vier, fünf Jahren - nur noch verhaltenen Widerstand. Sie ist offenbar in einem beständigen Patt zwischen Befürwortern und Gegnern von bewaffneten Drohnen für die Bundeswehr gefangen. Der Schrecken, den der Islamische Staat verbreitet hat, lähmte viele, die sich um eine friedliche Weltsicht bemühen. Der evangelische Sozialethiker Wolfgang Huber und andere betonen, dass es Situationen gebe, in denen es »zur Gegengewalt« keine Alternative gibt. »Du sollst nicht töten« gebiete dann, nicht töten zu lassen. Allerdings sei es notwendig, dass die rechtserhaltende Gewalt international autorisiert ist, die eingesetzten Mittel verhältnismäßig sind und die Grundsätze des humanitären Völkerrechts eingehalten werden.
Tag für Tag wird dagegen verstoßen. Immer öfter per Drohneneinsatz. Und doch kann die evangelische Kirche nicht zu gemeinsamen Positionen finden. Im sogenannten Afghanistanpapier ihrer Kammer für Öffentliche Verantwortung von 2015 wird vielsagend nichts gesagt: »Drängende Fragen ergeben sich durch den Einsatz der Drohnentechnologie«, heißt es da. »Eine sorgfältige ethische Bewertung«, so weiter, stehe noch aus. Daran hat sich nichts geändert - außer dass Regierung, Industrie und Militärs Fakten geschaffen haben. Man darf auf Reaktionen gespannt sein, wenn die erste deutsche Drohnenrakete menschliche Leiber zerfetzt.
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