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Grabenkrieg auflösen
Für Peter Ullrich ist der Antisemitismusbeauftragte Felix Klein Problem und Symbol der deutschen Antisemitismusdebatte.
Die seit einigen Monaten mit neuer Virulenz geführte Debatte um (israelbezogenen) Antisemitismus hat einen neuen Aufhänger. Erneut steht Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, im Zentrum. Israelische und deutsche Intellektuelle beklagen in einem offenen Brief an die Bundeskanzlerin unter anderem den auch durch Klein verkörperten »inflationären, sachlich unbegründeten und gesetzlich unfundierten Gebrauch des Antisemitismusbegriffs, der auf die Unterdrückung legitimer Kritik an der israelischen Regierungspolitik zielt«. Den Anlass zum Brief bot nicht nur die geplante Annexion von Teilen des Westjordanlandes, sondern auch die Finanzierung einer Veranstaltungsreihe durch Kleins Behörde, in der ein israelischer Ex-Militär und hochrangiger Mitarbeiter in Netanyahus Ministerium auftrat. Ebenjener Autor, Arye Sharuz Shalicar, hatte zuvor in seinem Buch »Der neu-deutsche Antisemit« den Münchner Historiker Reiner Bernstein als »Alibijuden« und »Judenhasser« bezeichnet. Das Berliner Kammergericht befand die Äußerung nach einer von Bernstein angestrengten Verleumdungsklage jüngst sogar durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Abgesehen von Shalicars fälschlicher Annahme, dass Bernstein Jude sei (er ist nur mit einer Jüdin verheiratet), ist das durch den israelischen Autor, sein Buch und das Gerichtsurteil gesendete Signal fatal, weil es den Falschen trifft. Und damit ist es wiederum symptomatisch für die Antisemitismusdebatte.
Bernstein ist Initiator der Münchner Stolpersteininitiative, Friedensaktivist und in der Palästinasolidarität eine Ausnahmeerscheinung. Denn er ist nicht nur wütender Kritiker der Besatzung und Streiter für die Rechte der Palästinenser*innen, sondern – das ist alles andere als selbstverständlich – auch sensibel gegen falsche, auch antisemitische, Ober- und Untertöne im eigenen politischen Umfeld. Der auf Ausgleich der Konfliktparteien Bedachte eigentlich ein Antisemit?
Klein hatte wohl mit der Veranstaltungsreihe, in der Shalicar sprach, wenig konkret zu tun – er hat wohl nur der Veranstalterin Geld gegeben. Aber Klein ist Exponent einer politischen Tendenz. Die wurde in seiner Berufung vor einigen Jahren ebenso sichtbar wie in der am Montag erfolgten Ernennung von Samuel Salzborn zum Berliner Antisemitismusbeauftragten. In dieser Tendenz – und diesen Personen – bündeln sich verschiedene Entwicklungen: die Etablierung eines sehr weiten und unscharfen Begriffs von Antisemitismus mit Hilfe der »Arbeitsdefinition der IHRA«, eine dezidiert pro-israelische Orientierung, auf dieser Basis die Bereitschaft israelfeindliche Vorfälle und Meinungen primär als antisemitisch zu verstehen, die Schwerpunktsetzung auf israelbezogenen Antisemitismus und die Stigmatisierung (pro-)palästinensischer Interessensartikulation als antisemitisch, wenn nicht gar nationalsozialistisch. Ihr Furor zielt besonders auf die faktisch sehr heterogene und auch politisch-moralisch durchaus widersprüchliche BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen). Daraus resultiert aber ein Dilemma für den Kampf gegen Antisemitismus.
Die Einrichtung solcher Beauftragten, aber auch die Durchsetzung einer einseitigen Arbeitsdefinition, werden von sehr vielen Jüdinnen und Juden und ihren Vertretungen positiv bewertet. Nicht ganz zu Unrecht sehen sie beides als Signal, dass sie und ihre wachsenden Sorgen vor antisemitischen Übergriffen tatsächlich Beachtung finden. Diese Entwicklungen werden so zum Symbol für die Anerkennung ihrer Sorgen angesichts grassierenden Antisemitismus. In dieser Situation der symbolischen Aufladung erscheint aber jede Kritik an den nahostpolitischen Implikationen und vagen begrifflichen Grundlagen als ein Angriff auf die Bekämpfung des Antisemitismus, als ein Abwehrreflex oder gar als antisemitisches Ressentiment. Der Vorwurf wird – siehe Reiner Bernstein – freigiebig verteilt. In diesem, die reale Komplexität der Konfliktlagen völlig ignorierenden Antagonismus bewegt sich die Diskussion. Und genau darin liegt ihre Tragik.
Diesen »Grabenkrieg« aufzulösen, und eine Position sichtbar und stark zu machen, die den Kampf gegen Antisemitismus (gleich welcher Coleur und ob mit oder ohne Israelbezug) ernst nimmt und gleichzeitig die legitimen Rechte der Palästinenser*innen (wie der Israelis) achtet und unterstützt – das wieder möglich zu machen, ist die drängende Herkulesaufgabe.
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