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Keine klare, glaubhafte Aussage
Auch nach dem dritten Geständnis im Mordfall Lübcke bleiben Zweifel.
Stephan Ernst steht unter Druck. »Sind Sie unmaskiert gekommen, weil klar war, dass Herr Lübcke sterben sollte?«, fragt der Richter am Freitag im Oberlandesgericht Frankfurt am Main den Angeklagten. Ernst, bleich im Gesicht, überlegt. Er zögert, beugt sich zu seinem Anwalt Mustafa Kaplan, beide besprechen sich kurz. Dann schaut er zum Richter. »Es ist, wie Sie es sagen«, lautet seine Antwort. Man habe zuvor über den Mord gesprochen. Es sei klar gewesen, dass man in jedem Falle schießen wolle.
Ernst rutscht tiefer in den Stuhl, wird weiter von den Richtern ausgefragt. Er verheddert sich, gerät in Widersprüche, korrigiert Angaben, passt sie an. Was stimmt und was nicht, ist unklar. Es ist die dritte Variante des Tathergangs, die Ernst schildert. Am Mittwoch hatte der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erstmals vor Gericht ausgesagt. Nach der Verlesung eines Statements durch seinen Anwalt ging er am Nachmittag und am Freitag auch selbst mündlich auf Nachfragen des Senats ein.
Zentrale Unterschiede zu den bisherigen Aussagen: Ernst erklärte nun doch, in der Nacht zum 2. Juni 2019 selbst geschossen zu haben. Der bisher als Unterstützer gewertete Markus H. sei aber dabei gewesen. Außerdem hieß es bisher, dass man »spontan« vor Ort schauen wollte, ob eine Schusswaffe gegen Lübcke eingesetzt werde. Die aktuelle Einlassung zeichnet dagegen vielmehr das Bild einer akribisch geplanten Hinrichtung: Zwischen 2016 und 2019 gab es mehrere Erkundungsfahrten zum Haus von Lübcke, teils wurden Wärmekameras eingesetzt. In der Tatnacht wurde eine Waffe mitgenommen, Nummernschilder ausgetauscht, anschließend verschlüsselte Chats gelöscht.
Kurz nach der Tat Anfang Juni 2019 hatte Ernst gegenüber Polizisten noch erklärt, dass er alleine den Mord begangen habe. In einer zweiten Aussage behauptete er dann einige Monate später, dass Markus H. die Waffe bedient habe und der Schuss ein »Versehen« gewesen sei. Beide vorherigen Aussagen seien durch Druck seiner ehemaligen Anwälte entstanden, ließ Ernst nun erklären. Die Vorwürfe lassen sich jedoch nur schwer prüfen. Ernst überlege, seinen ehemaligen Anwalt Frank Hannig von der Schweigepflicht zu entbinden, hieß es am Freitag.
Ernst schilderte den Ablauf der Mordnacht, ließ bei Nachfragen aber Zweifel an dem Wahrheitsgehalt aufkommen. Markus H. habe beispielsweise zu Lübcke vor dessen Tod noch »Zeit zum Auswandern« gesagt, berichtete Ernst. »Eine Anspielung, dass er sterben müsse?«, fragte der Richter. So habe er das nicht verstanden, antwortete Ernst recht naiv. Der Hauptangeklagte erklärte weiterhin, dass er nach seinem angeblichen Ausstieg 2009 aus der Neonaziszene erst 2014 Markus H. als Kollegen auf seiner Arbeitsstelle wiedergetroffen habe. Die Richter hakten nach: Laut Protokollen seien beide bereits seit 2011 gemeinsam bei der Firma angestellt gewesen. »Ich kann das nicht mehr genau zuordnen«, stammelte Ernst. Als er auf einer Karte die Wege zeigte, die er und H. zur Terrasse von Lübcke genommen haben sollen, wiesen ihn die Richter auf Widersprüche zu früheren Angaben hin. »Ich habe das damals absichtlich vertauscht«, war seine Antwort.
Für den Messerangriff auf den irakischen Flüchtling Ahmed I. 2016 wollte Ernst keine Verantwortung übernehmen. Auf die von Polizisten in seiner Garage gefundene mutmaßliche Tatwaffe mit DNA-Spuren ging er nicht ein, auch nicht auf die Zeugenberichte, die sein Fahrrad in der Nähe des Angriffsortes gesehen haben wollen.
Es war deutlich, dass sich der Hauptangeklagte mit seinen Äußerungen zwar betont kooperativ zeigen wollte, aber doch oftmals vage blieb. Er versuchte, eigene schwere Schicksalsschläge zu betonen, beispielsweise erläuterte er, wie seine Kindheit von häuslicher Gewalt und dem Alkoholismus seines Vaters geprägt gewesen sei. Zudem stellte er die vermeintliche Verantwortung von Markus H. heraus. Sein Neonazi-Kamerad sei für ihn wie ein »Mentor« gewesen, der ihn radikalisiert habe.
Ernst ging auch auf weitere Personen ein, bei denen eine Involvierung in die Tat zumindest nicht auszuschließen ist. So habe er mit seinem Bekannten S. auf dem verschlüsselten Messerdienst Threema über Lübcke gesprochen, erläuterte er den Richtern. Was genau, wollte er jedoch nach einer Unterredung mit seinem Anwalt nicht weiter ausführen. Zudem habe er sich mit zwei Arbeitskollegen über die Tatwaffe ausgetauscht. Ein Kollege habe ihm sogar dabei geholfen, seine Waffensammlung nach dem Mord am gemeinsamen Arbeitsplatz zu vergraben. Ernst habe dem Mitarbeiter erklärt, dass er eine Hausdurchsuchung befürchte, der Kollege habe aber nicht mal nachgefragt, warum. Nachvollziehbar? Auch sprach er über den Waffenhändler Elmar J., den ihm Markus H. vermittelt haben soll. Viele der Informationen, die Ernst berichtete, waren bereits aus früheren Vernehmungen bekannt. Mit welchen weiteren Neonazis er engen Kontakt hatte, ist unklar geblieben.
»Insgesamt kann man bislang nicht von einer klaren, glaubhaften Aussage ausgehen«, kommentierte der Nebenklagevertreter Alexander Hoffmann am Freitag gegenüber »nd.DieWoche«. Die Äußerungen zu Ernsts politischen Aktivitäten seien »blass und unklar«, die Berichte zu seinem Aktivismus bei der »Anti-Antifa« würden einfach »weggestrichen«. Man müsse die Aussagen später mit den objektiven Beweismitteln in Zusammenhang bringen, um zu schauen, welche Aussagen als glaubhaft zu beurteilen sind. Auch die Initiative NSU Watch, die den Prozesstag begleitete, äußerte Kritik: »Während sich Ernst in seiner Aussage massiv als Opfer inszenierte, findet die Geschichte seiner neonazistischen Angriffe seit Ende der 1980er nur in Nebensätzen statt.«
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