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Proteste gegen Lukaschenko gehen weiter
Auch in der zweiten Nacht nach der Präsidentschaftswahl in Belarus gibt es Protest in 33 Orten
Minsk. Nach der von Manipulationsvorwürfen überschatteten Präsidentenwahl in Belarus (Weißrussland) bleibt die Lage in dem Land angespannt. In der Nacht zum Dienstag kam es bei Demonstrationen erneut zu blutigen Zusammenstößen mit der Polizei. Tausende Menschen waren auf den Straßen unterwegs, die meisten davon in der Hauptstadt Minsk. Für den Abend sind erneut Proteste angekündigt. Unklar war zunächst, wie Staatschef Alexander Lukaschenko darauf reagieren wird.
Die Proteste richten sich gegen den 65-Jährigen, der das Land zwischen Polen und Russland schon seit mehr als einem Vierteljahrhundert mit harter Hand regiert. An seinem vermeintlichen Sieg bei der Wahl am Sonntag mit 80 Prozent der Stimmen gibt es große Zweifel. Viele vermuten, dass das Ergebnis gefälscht wurde. Lukaschenko wird von Kritikern »letzter Diktator Europas« genannt.
Demonstranten warfen Steine auf die Sicherheitskräfte und schossen Feuerwerkskörper ab. Auch errichteten sie Barrikaden aus Säcken, Eimern und Metallbarrieren, wie ein AFP-Fotograf beobachtete. »Unser Ziel ist es, Lukaschenko abzusetzen«, sagte der 34-jährige Demonstrant Pawel zu AFP. »Er ist es nicht wert, Präsident zu sein.«
Die Oppositionskandidatin Swetlana Tichanowskaja hat das Land verlassen, wie am Dienstagmorgen bekannt wurde. Sie hält sich jetzt im EU-Land Litauen auf. Die 37-Jährige sei nun in Sicherheit, teilte der litauische Außenminister Linas Linkevicius am Dienstag im Kurznachrichtendienst Twitter mit. Der Minister hatte sich am Montagabend angesichts der Gewalt in Belarus besorgt gezeigt um die Sicherheit Tichanowskajas. Sie hatte am Vortag noch bei einer Pressekonferenz gesagt, dass sie im Land bleiben werde. Tichanowskaja hatte sich aber auch massiv bedroht gefühlt von den Sicherheitskräften um den autoritären Präsidenten Alexander Lukaschenko. Sie hatte zuvor auch ihre Kinder außer Landes bringen lassen.
Bereits die zweite Nacht infolge kam es landesweit zu Protesten, gegen die die Sicherheitskräfte hart vorgingen. In sozialen Medien gab es vielfach Videos, die zeigten, wie Uniformierte auf Menschen einprügelten. Es kursierten zudem Berichte, wonach die Polizei Blendgranaten abfeuerte, um Demonstranten auseinanderzutreiben. Auch Gummigeschossen sollen eingesetzt worden sein.
In 33 Orten des Landes habe es Aktionen gegeben, berichteten Medien. In Minsk kam es dabei zu einem tödlichen Zwischenfall. Nach Darstellung der Behörden soll am Montagabend ein Sprengsatz in der Hand eines Mannes explodiert sein, den er auf Spezialeinheiten der Polizei habe werfen wollen. Es gab Berichte von vielen Verletzten. Eine Zahl lag zunächst nicht vor. Im Internet wurden Bilder von blutüberströmten Menschen veröffentlicht.
Es gab zudem Medienberichte, wonach schwere Militärtechnik in das Zentrum von Minsk gebracht worden sei. Lukaschenko hatte im Wahlkampf mit dem Einsatz der Armee gedroht, um Putschversuche zu verhindern. In Minsk versuchte die Polizei, die Menschen aus dem Stadtzentrum zu vertreiben. An einigen Stellen wurden Barrikaden errichtet.
Die Menschen skandierten »Es lebe Belarus« und »Freiheit«. Ein Video zeigte einen Mann, der auf das Dach eines Einsatzwagens sprang. Er wurde festgenommen. Aber auch die Polizisten selbst wurden Ziel von Attacken. In einem beim Nachrichtenkanal Telegram verbreiteten Video war zu sehen, wie ein Uniformierter auf einer Kreuzung womöglich absichtlich von einem Auto angefahren wurde.
Bereits in der Nacht zum Montag hatte es landesweit Proteste und auch Ausschreitungen gegeben. Dabei waren nach Angaben des Innenministeriums mehr als 50 Zivilisten sowie 39 Polizisten verletzt worden. In Minsk und anderen Städten waren in den Stunden nach Schließung der Wahllokale diesen Angaben zufolge insgesamt rund 3000 Demonstranten festgenommen worden.
An den Aktionen wollte sich die Herausforderin von Lukaschenko, Swetlana Tichanowskaja, nach Angaben ihres Wahlkampfstabes zunächst nicht beteiligen. Auf diese Weise wolle sie »Provokationen vermeiden«, sagte Anna Krasulina, die Sprecherin der Präsidentschaftskandidatin, zu AFP. »Die Behörden können jede provokative Situation ummünzen, um sie zu verhaften. Und wir brauchen sie in Freiheit«, sagte die Sprecherin über Tichanowskaja.
Tichanowskaja kam dem offiziellen Ergebnis zufolge bei der Abstimmung nur auf 10 Prozent. Sie erkennt das Ergebnis nicht an. Sie will eine Neuauszählung der Stimmen erreichen. Ihr Wahlkampfteam geht davon aus, dass sie zwischen 70 und 80 Prozent der Stimmen errungen hat. Sie betrachte sich als »Gewinnerin dieser Wahl«, sagte die 37-Jährige auf einer Pressekonferenz. An die Regierung appellierte Tichanowskaja, diese solle überlegen, »wie sie die Macht friedlich an uns übergeben kann«. Lukaschenko warf der Hausfrau und zweifachen Mutter vor, sich mit Gewalt an die Macht zu klammern.
Tichanowskaja begab sich nach Angaben ihrer Sprecherin am Montag zur Wahlkommission, um Beschwerde gegen das Ergebnis einzulegen. Danach herrschte Rätselraten über ihren Aufenthaltsort. Das Wahlkampfteam wisse nicht, wo Tichanowskaja sei, sagte Krasulina. Der Außenminister von Litauen, Linas Linkevicius, sagte zu AFP, er habe über mehrere Stunden lang vergeblich versucht, Tichanowskaja zu erreichen. »Das weckt Sorgen hinsichtlich ihrer Sicherheit«, fügte der Chefdiplomat hinzu.
Ursprünglich hatte Tichanowskajas Mann, der bekannte Blogger Sergej Tichanowski, bei der Präsidentschaftswahl antreten wollen. Tichanowskaja kandidierte dann an seiner Stelle, nachdem ihr Mann inhaftiert und von der Wahl ausgeschlossen worden war.
International löste die Gewalt nach der Wahl Besorgnis aus. UN-Generalsekretär António Guterres rief die Behörden in Belarus dazu auf, »absolute Zurückhaltung und vollsten Respekt für das Recht auf Meinungsfreiheit, friedliche Versammlungen und das Bilden von Gruppen« zu zeigen. Agenturen/nd
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