Ein Recht auf Aufklärung

Antirassistische Initiative gedenkt der kubanischen Vertragsarbeiter Raúl Garcia Paret und Delfin Guerra

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Diskothek »Saaletal«, Spitzname »Strandkorb«, in Merseburg 1979. Nach Ermittlungsakten der DDR-Staatssicherheit kam es hier am Abend des 12. August wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Kubanern, in deren Folge eine Gruppe ausländischer Vertragsarbeiter in Richtung Saale flüchtete, verfolgt von etwa 30 bis 40 Disko-Besuchern. Rassistische Sprüche sollen demnach gefallen sein, einige Kubaner sprangen in den Fluss und wurden dabei offenbar noch von Deutschen mit Gegenständen beworfen. Später bargen Taucher zwei Leichen in der Saale: Es waren der damals 21 Jahre alte Raúl Garcia Paret und der 18-jährige Delfin Guerra. Trotz der dramatischen Umstände wurden die Ermittlungen eingestellt.

Für die lokale »Initiative 12. August« eine Ungeheuerlichkeit. Für die Aktivisten ist klar, dass es sich bei dem Vorfall vor 41 Jahren um eine »rassistische Hetzjagd« gehandelt hat - eine Sicht, die auch von dem Historiker Harry Waibel sowie einem MDR-Rechercheteam gestützt wird. Vergangenes Jahr hatte die Initiative erstmals ein öffentliches Gedenken in Merseburg organisiert. Rund 200 Personen nahmen an der Veranstaltung teil. Auch diesen Mittwoch lädt die Gruppe wieder zu einer antirassistischen Demonstration unter dem Motto »41 Jahre Schweigen sind genug« ein. Der Protest soll am Nachmittag auf dem Bahnhofsplatz beginnen und in der Nähe der ehemaligen Diskothek enden. »Es braucht einen öffentlichen Gedenkort in Merseburg, da die Morde an Delfin und Raúl mehr als tragische Einzelschicksale sind«, forderte der Sprecher der Initiative, Andreas Bulmeyer, gegenüber »nd«. Man hoffe, dass ein Gedenkort die Erinnerung an das Geschehene wach halten und eine öffentliche Thematisierung zur Folge haben werde.

Von offizieller Seite aus hält man dies jedoch für nicht notwendig. Oberbürgermeister Jens Bühligen reagierte ablehnend auf das Unterfangen mit Berufung auf die Staatsanwaltschaft Halle. Die Behörde hatte die Ereignisse vom August 1979 nach eigener Aussage mehrfach geprüft, zuletzt, nachdem die Landtagsabgeordnete Henriette Quade (Linke) im August 2019 in beiden Fällen Strafanzeige gegen Unbekannt gestellt hatte. Die Justiz sah aber keinen Grund, die Fälle neu aufzurollen, wie die Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der Politikerin ergab. Im März 2020 wurde das Verfahren von der Staatsanwaltschaft eingestellt. »Trotz vorliegender Zeugenaussagen, wonach die beiden Geschädigten von einem rassistischen Mob über ein Brückengeländer in die Saale gestürzt wurden und mindestens eine Person anschließend noch im Wasser gezielt auf den Kopf mit einer Flasche beworfen wurde«, betonte Quade in einer Erklärung. In beiden Fällen seien Rechtsmittel gegen die Einstellung zu prüfen.

Auch Bulmeyer kritisierte die Behörde: »Dass die Staatsanwaltschaft wieder Ermittlungen zur Aufklärung der rassistischen Morde abgelehnt hat, zeigt erneut, dass diese Behörde ein strukturelles Problem im Umgang mit rechter Gewalt besitzt.« Mit ihrer Einschätzung, dass es keinen Verdacht auf ein rassistisches Morddelikt gebe, befeuere sie letztlich auch die Gewalt gegen Migranten und Juden, die man heute erlebe.

In anderen ostdeutschen Bundesländern wird derweil bei alten ungeklärten Todesfällen von ausländischen DDR-Vertragsarbeitern neu ermittelt. Eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Andrea Johlige (Linkspartei) in Brandenburg führte etwa jüngst dazu, dass die Staatsanwaltschaft Potsdam prüft, ein Verfahren zu den Todesumständen von Manuel Diogo zu eröffnen. Der mosambikanische Vertragsarbeiter war im Juni 1986 tot an einer Bahnstrecke aufgefunden worden - auch hier gehen der Historiker Waibel sowie Journalisten und Freunde des Verstorbenen entgegen der DDR-Ermittlungsergebnisse von einem rassistischen Mord durch Neonazis aus.

»Mord verjährt nicht und die Angehörigen haben ein Recht auf Aufklärung der Fälle, die die DDR-Behörden vertuscht haben«, sagte die Linke-Politikerin Quade. Auch das sei Teil von Aufarbeitung.

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