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Groß gegen Klein im Welthandel

Wirtschaftssanktionen haben weltweit zugenommen. Ihre Wirkung ist unter Ökonomen umstritten

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

In seltener Schärfe haben sich deutsche Wirtschaftsvertreter geäußert. Die von den Vereinigten Staaten angekündigten Sanktionen gegen Unternehmen, die sich an der Gaspipeline Nord Stream 2 beteiligen, sei eine »ernsthafte Belastung der transatlantischen Beziehungen«. Direkt getroffen davon würden immerhin rund 120 große und kleine Unternehmen aus zwölf Ländern, erklärte kürzlich der Bundesverband der Deutschen Industrie. Er kritisierte die »völkerrechtswidrige extraterritoriale Anwendung« von Sanktionen und forderte von der EU und den Mitgliedstaaten deutliche diplomatische Reaktionen.

Allerdings operiert auch die Europäische Union häufig mit Sanktionen. Am Mittwoch wurde Kambodscha wegen anhaltender Missachtung von Menschen- und Arbeitnehmerrechten der zoll- und kontingentfreie Zugang zum EU-Markt teilweise entzogen. Kein Einzelfall: Laut einer neuen Datenanalyse startet Europa im Vergleich zu anderen Weltregionen mehr wirtschaftliche Strafaktionen. Meist richten sie sich gegen afrikanische Staaten, in denen Bürgerkriege wüten oder Diktatoren herrschen. Zu entnehmen ist dies der »Global Sanctions Database«, die von Forschern der Hochschule Konstanz, des Instituts für Weltwirtschaft (IfW) und der Drexel University aus Philadelphia zusammengetragen wurde. Ein weiteres Ergebnis: Die Zahl von Wirtschaftssanktionen steigt bereits seit einem Jahrzehnt spürbar an. »Sanktionen sind das Mittel der Wahl - stärker als Nichtstun, schwächer als ein militärisches Eingreifen«, schreibt der Konstanzer Volkswirt Erdal Yalcin im »Informationsdienst Wissenschaft«.

729 Sanktionen, die zwischen 1950 bis 2016 verhängt wurden, sind in der Datenbank erfasst. Dabei überwogen anfangs von Nordwesteuropa verhängte Sanktionen gegen Ostasien, Ost- und Südeuropa. Inzwischen ist das Geflecht von »strafenden« und »bestraften« Regionen ausdifferenzierter.

Die internationalen Folgen auf die Handelsströme sind oft überraschend weitreichend. So haben die Sanktionen gegen Iran auch negative Folgen für Nachbarländer wie Armenien oder sogar für weit entfernte Staaten wie Sri Lanka oder Kenia. Insgesamt 180 Länder waren oder sind an Sanktionen gegen die islamische Republik beteiligt oder von diesen betroffen. »In einer ökonomisch vernetzten Welt müssen wir bei der Bewertung der Effekte von Sanktionen eine sehr differenzierte Betrachtung einnehmen«, betont Professor Yalcin.

Angesichts der weitreichenden Folgen fragen sich Wissenschaftler seit langem, ob Sanktionen ihren eigentlichen Zweck erfüllen. Werden sie verhängt, ist damit üblicherweise das Ziel verbunden, dass die »bestrafte« Regierung, aber auch Personen oder Organisationen einlenken und ihr Verhalten ändern. Einige Wissenschaftler antworten mit »nein«, Sanktionen verfehlten meist ihr Ziel. Die Autoren um Yalcin sehen das anders: Laut ihrer öffentlich zugänglichen Datenbank erreichte in den 1990er Jahren jede zweite Sanktion ihr Ziel. Seither habe die Wirkung allerdings nachgelassen. Grund war wohl die Globalisierung, die zunächst ein Ausweichen der »Bestraften« auf andere Handelspartner erleichterte. Mittlerweile sind die Lieferketten allerdings so optimiert, dass bereits kleinste Störungen beträchtliche Wirkungen zeitigen können, wie zuletzt die Corona-Pandemie lehrte. Außerdem haben im vergangenen Jahrzehnt die Möglichkeiten, internationale Handelsströme bis ins Detail zu überwachen, deutlich zugenommen. Dies belegen aktuell gerade die US-Drohungen gegen die 120 Firmen, die an der Erdgaspipeline durch die Ostsee beteiligt sind.

Yalcin und sein Forscherteam kommen nach Auswertung von offiziellen Regierungsdokumenten und Presseartikeln zu einem weiteren bemerkenswerten Ergebnis: Besonders wenn Groß Klein straft, sind die Wirkungen oft beträchtlich. »Es wird ersichtlich, wie eine starke Wirtschaftsmacht die Welt politisch mitgestalten kann«, betont der Ökonom. Im Falle Irans haben die von den USA angeschobenen Sanktionen in dem Land das Wirtschaftswachstum pro Kopf um über vier Prozentpunkte reduziert. Gleichwohl ist ein politisches Einlenken der Regierung in Teheran nicht erkennbar. Wirksamer und mit weniger negativen Konsequenzen für die Zivilbevölkerung sind laut den Wissenschaftlern »smarte Sanktionen«. Diese seien feingliedriger, wenn zum Beispiel Reiseverbote gegen einzelne Personen verhängt und deren Vermögen eingefroren werden.

In jüngerer Zeit nehmen die internationalen Spannungen erneut zu. Man arbeite daher bereits an einer Aktualisierung der Datenbank mit weiteren 300 identifizierten Maßnahmen, kündigt Yalcin an. Der globale Trend ist jedoch schon jetzt sichtbar: »Wir sind dabei, mehr Konflikte zu generieren, als Märkte zu liberalisieren.« Weltweit existierten »nur« rund 800 Freihandelsabkommen.

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