Das »Colosseum« kämpft

Kiez und Kino wollen weiter Filme zeigen, doch Erbe Sammy Brauner will bauen

  • Jordi Ziour
  • Lesedauer: 3 Min.
Im »Colosseum« läuft nur noch das Programm der Abwicklung – und des Protests dagegen.
Im »Colosseum« läuft nur noch das Programm der Abwicklung – und des Protests dagegen.

Im großen Saal Kino 1 des »Colosseums« klebt die Cola noch auf dem Boden, als ob der letzte Film erst gestern gelaufen wäre. Es riecht modrig, kalte Luft steht im Saal. Putz liegt auf dem Boden. Auf den alten, abgenutzten Sitzen sind noch die Druckstellen der Besucher*innen zu sehen. Eigentlich sollte das Kino im Mai wieder öffnen. Laut Betriebsrat gab es ein Hygienekonzept.

Doch dann kam alles anders: Seit dem 20. Mai wisse der Betriebsrat vom Insolvenzverfahren. »Am 31. Juli wurde das Verfahren eröffnet«, sagt Michel Rieck, Betriebsrat und Servicekraft des Kinos, zu »nd«. Dem »nd« liegt der Beschluss des Amtsgerichts Charlottenburg vor.

Gegen den Ausverkauf des Kinos protestiert inzwischen der ganze Kiez: Eine große Demonstration soll deshalb am Donnerstagabend um 18.30 Uhr vom Kino über die Stargarder Straße zum Helmholtzplatz führen und im Amphitheater des Mauerparks enden. Der Protestzug beginnt mit einer Schweigeminute für das Kino und wird von Filmmusik begleitet. Zudem werde es eine »kleine kreative Überraschung geben«, verspricht Betriebsrat Martin Rathke. Bei der Auftaktkundgebung informieren Rathke und der Pankower Bundestagsabgeordnete Klaus Mindrup (SPD) über die neuesten Entwicklungen des Kinos. Angekündigt haben sich auch die Bezirksverordnete Annette Unger (SPD) und der Mieten-Aktivist Sven Fischer. Kernforderung der Belegschaft und der Gewerkschaft Verdi ist es, die als Eigentümer auftretende Erbengemeinschaft Brauner und insbesondere Sammy Brauner zurück an den Verhandlungstisch zu holen. Dieser habe sich dem Betriebsrat zufolge seit Mai nur einmal dort blicken lassen und sei anschließend nur noch von seinem Anwalt vertreten worden.

Die Beschäftigten wollen »das Haus bis mindestens zum 31. Dezember 2020 weiterführen«, sagt Rieck. Natürlich auch darüber hinaus und man wolle mehr Kultur einbeziehen erklärt der Betriebsrat. »Das ist uns sehr wichtig«, betont Rieck. Jörg Reichel von Verdi fordert im Gespräch mit »nd«, »dass die 40 Beschäftigten nicht in die Arbeitslosigkeit geschickt werden«.

Die genauen Besitzverhältnisse von Haus, Grundstück und Betriebsgesellschaft sind undurchsichtig. Klar ist, dass eine Gemeinschaft das Erbe des verstorbenen Filmproduzenten Artur Brauner angetreten hat. Um wen genau es sich handelt, soll anscheinend geheim bleiben, vermuten Reichel und Rieck. Die Erbengemeinschaft ginge sogar anwaltlich dagegen vor, wenn ihre Namen öffentlich werden, meint der Gewerkschafter. Mit wem der Betriebsrat im Endeffekt verhandeln muss, wissen beide nicht: »Am 29. Juli haben wir öffentlich dazu aufgefordert, mit uns ins Gespräch zu kommen, wer da auch immer wieder drinsitzt«, sagt Rieck. Selbst wer den Mietvertrag gekündigt habe, wisse die Belegschaft nicht sicher. Auf Nachfragen dazu seitens »nd« reagierte Sammy Brauner nicht.

Nach Informationen der Belegschaft gab Brauner die Corona-Pandemie als Grund für die Insolvenz an, doch daran zweifelt der Betriebsrat. Denn: Schon am 26. November 2019 plante die Immobilienentwicklungs- und Investmentgesellschaft DC Values GmbH & Co. KG mit dem Stadtentwicklungsamt Pankow, das »Colosseum« »durch einen Campus mit modernen Büroflächen« zu ersetzen. Der Bauvorhabenbescheid liegt dem »nd« vor. Und auch der Bezirksbürgermeister von Pankow, Sören Benn (Linke), glaubt nicht, »dass der Bauvorhabenbescheid ohne Kenntnis von Herrn Brauner gelaufen ist«.

Benn stünde dem »Colosseum« als Vermittler zur Verfügung: »Das ›Colosseum‹ ist mehr als ein Kino, ein Identifikationspunkt und feste Größe im Stadtteil«, findet der Bezirksbürgermeister. Wie es dazu kam, dass das Pankower Stadtentwicklungsamt von dem Umbau des Kinos wusste, aber nicht die politische Führung des Bezirks, ist sowohl Verdi als auch dem Betriebsrat unklar.

Für Stammgast Nicole Kubelka ist klar, dass sie sich weiter für das Kino einsetzt. »Vor Corona« sei sie mit ihrer Kinoclique drei- bis fünfmal in der Woche ins Kino gegangen. »Jeder Mitarbeiter hat eine Leidenschaft für das Kino«, berichtet sie dem »nd«. Ob die Leidenschaft für das Kino genügt, um das Foyer und Säle wieder mit Leben zu füllen, wird sich noch zeigen müssen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.