U-Bahn aus der DDR geht in Rente

Die Berliner Verkehrsbetriebe wollen den E III, einen U-Bahn-Zug aus DDR-Zeiten, nicht mehr weiterfahren lassen

Letzte Runde: Historische U-Bahn vom Typ E III auf Abschiedsfahrt am Elsterwerdaer Platz
Letzte Runde: Historische U-Bahn vom Typ E III auf Abschiedsfahrt am Elsterwerdaer Platz

Die Aufregung ist groß am Sonntagmorgen, kurz nach 8 Uhr am U-Bahnhof Friedrichsfelde. Vornehmlich Männer jeden Alters warten ungeduldig auf dem Bahnsteig der U5, in den Händen halten viele Handys oder professionelle Kameras. Per Lautsprecher kommt ein Ordnungsruf: Man möge hinter die Linie an der Bahnsteigkante zurücktreten. »Der Zug kommt gleich«, beruhigt die Ansagerin die Meute.

»Ich sehe die Lichter schon«, ruft ein Teenager aufgeregt seinen Kumpels zu. Dann rollt er ein, der historische Vier-Wagen-Zug vom Typ E III. Von 1962 bis 1990 wurden die Fahrzeuge im Reichsbahn-Ausbesserungswerk Schöneweide, der heutigen S-Bahn-Hauptwerkstatt, für die damalige Linie E der Ost-Berliner Verkehrsbetriebe (BVB) produziert. 1994 fuhren sie das letzte Mal im Linienbetrieb auf der inzwischen in U5 umgetauften Strecke nach Hönow.

Bis in den Nachmittag war der Zug zwischen den regulären Fahrten der U5 von Hönow zum Hauptbahnhof und zurück unterwegs. Mitfahren konnte jeder mit einer normalen Fahrkarte. Irritiert waren die Fahrgäste von den schwergängigen Türen, dem Sprelacart-Furnierimitat an den Wänden und dem von der S-Bahn bekannten Dreiklang, der die Türschließung ankündigt. Auch der Motoren-Singsang beim Anfahren und Bremsen erinnert ältere Berlinerinnen und Berliner an die S-Bahnzüge aus der Vorkriegszeit, die bis 2003 im Einsatz waren.

Zunächst war Verschrottung geplant

Das ist kein Wunder. Denn unter den Bedingungen der DDR-Mangelwirtschaft wurden die U-Bahnzüge aus Teilen ausgemusterter S-Bahn-Wagen neu aufgebaut. Wiederverwendet wurden vor allem die Drehgestelle, Motoren und große Teile der elektrischen Ausrüstung. Der komplette Wagenkasten ist ein Neubau. Wie damals bei der S-Bahn besteht jede Zwei-Wagen-Einheit aus einem Triebwagen und einem unmotorisierten Beiwagen.

Dementsprechend lahm ist das Tempo der Züge im Vergleich zu heutigem, komplett motorisiertem Rollmaterial. Die erste Fahrt von Friedrichsfelde kommt bereits mit vier Minuten Verspätung am Hauptbahnhof an.

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Die Fahrten am vergangenen Sonntag werden nach dem Willen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) allerdings die letzten gewesen sein. Ein Stück DDR-Geschichte soll auf das Abstellgleis wandern. »Die Zulassung läuft demnächst ab; was genau mit dem Zug künftig passiert, ist noch nicht entschieden«, heißt es knapp in dem Beitrag in der BVG-Beschäftigten-App »Profil«.

Bei dem Zug laufe die Hauptuntersuchung ab. »Es gibt aktuell keine technische Perspektive, jene zu erhalten bzw. zu erneuern und die Wagen damit fahrfähig zu halten«, teilt BVG-Pressesprecher Markus Falkner auf Nachfrage von »nd« mit. Es sei aber aktuell vorgesehen, die »Wagen möglichst im BVG-Bestand zu halten«. Das ist immerhin ein Fortschritt gegenüber Plänen, die die Verantwortlichen laut Insidern bis vor Kurzem hegten: Der Zug sollte demnach umgehend nach der Sonderfahrt verschrottet werden.

»Ein Stück DDR-Nahverkehrsgeschichte«

»Der E III ist ein Stück DDR-Nahverkehrsgeschichte, er sollte nicht nur erhalten werden, sondern auch zu besonderen Anlässen weiter zum Einsatz kommen«, fordert der Linke-Verkehrsexperte Kristian Ronneburg gegenüber »nd«. Die BVG könne sich da ein Beispiel an der S-Bahn nehmen, die ihre alten Fahrzeuge auch einer Hauptuntersuchung unterzieht und sie als Weihnachtszüge einsetzt, so Ronneburg weiter.

Tatsächlich unterstützt die DB-Tochter den Verein Historische S-Bahn Berlin bei seinen Bemühungen. Die Wiederinbetriebsetzung der historischen Garnitur gelang allerdings nur dank millionenschwerer Unterstützung durch den Senat mit Blick auf das 100. Jubiläum der S-Bahn im laufenden Jahr 2024. Das Geld war vor allem für den Einbau der Technik des neuen Signalsystems nötig.

Ein BVG-Insider wirft seinem Arbeitgeber gegenüber »nd« vor, »schlecht recherchiert« zu haben. Auch er geht davon aus, dass die Hauptwerkstatt der S-Bahn Berlin GmbH dank ihrer Erfahrung mit den eigenen historischen Fahrzeugen der richtige Ansprechpartner wäre, um eine erneute Hauptuntersuchung durchzuführen, die eine Zulassung für weitere acht Jahre ermöglicht. »Möglicherweise machen die das sogar unter dem üblichen Preis, wenn man nett fragt, und man muss keine der knappen eigenen Kapazitäten binden«, so der Insider weiter.

Generell hat die eigene Fahrzeughistorie bei der BVG offenbar einen niedrigen Stellenwert. Immer wieder sind in Wellen alte Fahrzeuge aus dem Bestand verschrottet oder Museen übergeholfen worden. »Ich erwarte, dass endlich ein Konzept für die historischen Fahrzeuge der BVG erarbeitet wird«, sagt Jens Wieseke vom Berliner Fahrgastverband IGEB.

Prag als diametrales Gegenbeispiel

Rund 350 Kilometer südlich von Berlin stellt sich der Umgang mit dem eigenen Erbe diametral anders dar. Die Verkehrsbetriebe der tschechischen Hauptstadt Prag betreiben nicht nur ein eigenes Verkehrsmuseum, sondern gleich drei Straßenbahnlinien mit historischem Material: die Linie 23 als eine täglich fahrende Verstärkerlinie zum normalen Fahrpreis mit Bahnen aus den 1950er bis 80er Jahren. Außerdem die Touristenlinien 41 und 42 mit bis zu 116 Jahren alten Fahrzeugen zum Spezialtarif. Dazu kommt noch die historische Buslinie K.

Doch auch in München betreiben die dortigen Verkehrsbetriebe ein eigenes Museum mit historischen Bus- und Tram-Zubringerlinien. Auch in Wien, Stuttgart oder Zürich genießt der historische Fuhrpark einen hohen Stellenwert mit eigenen Museen und vielen Sonderfahrten.

Dass Öffis und insbesondere der Straßenbahn in Prag ein vollkommen anderer Stellenwert als in Berlin eingeräumt wird, zeigt allein schon das Tempo. An der Moldau lag die Durchschnittsgeschwindigkeit der Tram laut Verkehrsbetrieben 2023 bei knapp 19,4 Kilometern pro Stunde, obwohl sie wegen enger Straßen oft im Autoverkehr mitschwimmen muss. Das gelingt dank konsequenter Bevorrechtigung an Ampeln. Die Bahnen müssen dort nahezu nur an den Haltestellen länger halten. Straßenbahnen der BVG kamen 2023 trotz eines hohen Anteils eigener Trassen im Durchschnitt auf nur rund 17,7 Kilometer pro Stunde.

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