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- Coronakrise in Spanien
»Rebellion« gegen Madrid
Spanische Städte und Gemeinden wollen Zentralregierung Zugriff auf ihre Rücklagen verwehren
Spaniens Minderheitskoalitionsregierung aus sozialdemokratischer PSOE und Linkspartei Unidas Podemos steckt in schweren Nöten: Die Coronakrise schlägt schwer ins Kontor, in den Kassen herrscht Ebbe. Deswegen sucht die Regierung von Pedro Sánchez händeringend nach Geld. Verlockend sind da die Rücklagen, die viele Kommunen gebildet haben. Sie belaufen sich nach konservativen Schätzungen auf etwa 14 Milliarden Euro. Diese Gelder sollen, so sieht es ein gerade in Madrid verabschiedetes Dekret vor, »freiwillig« als »Kredit« an die Zentralregierung fließen, die es den Gemeinden innerhalb von zehn Jahren ab 2022 zurückerstatten will.
Die Überlegungen in Madrid stoßen auf massiven Widerstand quer durch alle Parteien, zumal die Rückzahlung zweckgebunden erfolgen soll und somit die Kommunen nicht frei darüber verfügen könnten. Ihnen erschließt sich auch nicht, dass rund die dreifache Menge an Geld nach Madrid fließen soll, damit dort daraus ein Hilfsfonds im Umfang von fünf Milliarden für darbende Gemeinden aufgelegt wird - aus den 14 Milliarden Euro der Kommunen.
So erklärt sich der ungewöhnliche Vorgang, dass sich Bürgermeister verschiedenster Parteien gegen das Vorhaben stellen. In einem gemeinsamen Schreiben fordern die Bürgermeister, endlich über ihre Gelder frei verfügen und sie für »Projekte einsetzen zu dürfen«, die jede einzelne Gemeinde für sinnvoll erachtet. Es seien Ersparnisse der jeweiligen Stadt und Provinz und die müssten auch dort ausgegeben werden. Statt Geld in Richtung Madrid abzuziehen, sollte dort ein eigenständiger Fonds zur Unterstützung von Gemeinden aufgelegt werden.
Unter den Unterzeichnern findet sich der Bürgermeister der von der rechten Volkspartei (PP) regierten Hauptstadt Madrid genauso, wie der aus Lleida, einer von der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) regierten Großstadt. PP und ERC sind sich gemeinhin spinnefeind. Aber auch der Bürgermeister von Bilbao, dessen konservative Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) die Minderheitsregierung von Pedro Sánchez stützt und der Bürgermeister von Valencia von der linken Regionalpartei Compromis, stehen hinter dem Schreiben. Lediglich Bürgermeister der PSOE fehlen in der Ablehnungsfront. Etliche lehnen unter der Hand das Vorhaben ab, machen das aber nicht öffentlich, wie Narciso Romero aus San Sebastián de los Reyes.
Auch im Umfeld des PSOE-Koalitionspartners »Unidas Podemos« (UP) wächst der Widerstand. Mit dem Bürgermeister von Cádiz, José María González, von allen nur »Kichi« genannt, lehnt auch die der UP nahestehende Bürgermeisterin Barcelonas, Ada Colau, das Vorhaben ab. Sie war zuvor in Katalonien scharf kritisiert worden, da Podemos mit seiner Enthaltung in der Föderation spanischer Gemeinden und Provinzen (FEMP) erst eine Stimmengleichheit ermöglicht hatte. So kam dem PSOE-Vorsitzenden Abel Caballero eine zweite Stimme zu. Der Bürgermeister von Vigo gab den Ausschlag in der FEMP. Darauf baute die Regierung ihr Dekret auf.
Wegen der »Rebellion der Bürgermeister« dürfte das Dekret zum Rohrkrepierer werden, wenn es im nationalen Parlament bestätigt werden muss. Auch Colau will die Überschüsse nicht hergeben und argumentiert ähnlich wie der katalanische Präsident Quim Torra, der juristische Schritte gegen die »einseitige Aneignung« ankündigt. Der Regierung in Madrid droht eine Niederlage, denn auch die katalanischen Abgeordneten von Unidas Podemos werden gegen dieses Dekret stimmen, sagte Colau. »Wir brauchen Finanzierung, doch wir stehen der Unverständnis eines zentralistischen Staates gegenüber«, erklärte Colau. Man brauche die Rücklagen, denn man werde dieses Jahr »ein Defizit« ausweisen.
Dass die rechte PP versucht, nun den Protest anzuführen, wird der Lage nicht gerecht. Schließlicht basiert alles auf dem Gesetz zur Haushaltsstabilität, das die regierende PP 2012 auf den Weg gebracht und vom Parlament verabschiedet wurde. Es zwingt Gemeinden zur Ausgabedisziplin und erlaubt ihnen nicht, ihre Rücklagen frei einzusetzen. Es wäre jetzt der Zeitpunkt, dieses Gesetz zu schleifen, statt es per Dekret halbherzig zu reformieren, um die Verfügungsgewalt über lokale Gelder weiter in Madrid zu zentralisieren.
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