Einäugig unter den Blinden

Der Forscher Mojib Latif sieht Deutschlands Klimaschutzerfolge ambivalent

  • Volker Stahl
  • Lesedauer: 2 Min.

War der vergangene Winter, fast ohne Minustemperaturen, eine Blaupause für die Zukunft?

Ja, nicht nur der. Es gab in der jüngsten Vergangenheit schon viele solche Winter. Im globalen Mittel beträgt die Erwärmung rund 1,1 Grad, in Deutschland sogar 1,5 Grad.

Mojib Latif

Mit dem Klimaforscher am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und an der Universität Kiel sprach Volker Stahl.

Sind Großstädte vom Klimawandel besonders stark betroffen, weil sie immer mehr aufheizen?

Natürlich. Die Auswirkungen sind dort deutlicher zu spüren. Deshalb müsste man anfangen, Städte so zu bauen, dass die Auswirkungen nicht ganz so katastrophal werden. Das heißt: mehr Grün, mehr Wasser. Das kühlt. Wenn man einen Schnitt durch Städte macht, sieht man bereits heute deutliche Unterschiede zwischen den Stadtteilen, die über viel Grün oder Wasser verfügen und denen, die davon wenig haben. Es ist erstaunlich, wie stark sich die Temperaturen unterscheiden. Auch mehr Beschattung und eine bessere Belüftung durch Schneisen sind enorm wichtig.

Höre ich da ein Argument gegen forcierten Wohnungsbau heraus?

Nein, das hängt immer davon ab, wie man es macht. Wir brauchen nun einmal Wohnungen. Städte bieten ja auch Chancen: Stichwort Sektorenkopplung. Man kann die Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen zusätzlich mit den Sektoren Wärme und Verkehr intelligent miteinander verkoppeln.

Wie funktioniert das?

Man kann beispielsweise überschüssigen, aus Wind oder Sonne gewonnenen Strom zur Wärmeerzeugung oder Herstellung von Wasserstoff nutzen oder in Batterien von Elektroautos speichern. Heizen mit Strom zum Beispiel galt lange als ineffizient und teuer. Überschüssiger Strom kann aber sehr einfach in klimafreundliche Wärme umgewandelt werden.

Hat die Politik den Ernst der Lage beim Klimaschutz mittlerweile erkannt?

Im internationalen Vergleich ist Deutschland der Einäugige unter den Blinden. Weltweit ist der CO2-Ausstoß seit 1990 um 60 Prozent gestiegen, hierzulande ist er um weit über 30 Prozent gesunken! Klar hätte Deutschland mehr machen können. Der Zusammenbruch der Wirtschaft im Osten des Landes nach der Wiedervereinigung hat ja erheblich zu dem guten Ergebnis beigetragen. Doch global betrachtet, zählt Deutschland zu den Guten.

Welche Großstädte sind vorbildlich in Sachen Klimaschutz?

Zum Beispiel Kopenhagen. Die Stadt wurde konsequent in Richtung Fahrradverkehr umgebaut. Hamburg hat zwar ebenfalls Fahrradstraßen, aber dort fahren auch viele Autos. Da fühle mich ich mich als Fahrradfahrer nicht sicher.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.