Verhütung bleibt Frauensache

Die »Pille für den Mann« gibt es bereits – nur noch nicht auf dem Markt

Genau 60 Jahre ist es her, dass der US-Pharmakonzern Searle Drug & Co. eine Pille auf den Markt brachte, die die Welt revolutionierte - zumindest die Welt der Frauen. Zunächst als Mittel gegen Menstruationsbeschwerden, kam die Anti-Baby-Pille am 18. August 1960 auch als Verhütungsmittel auf den Markt und bedeutete mit den Jahren für zunehmend mehr Frauen das Versprechen von sexueller Freiheit und selbstbestimmter Familienplanung.

Während heute mehr als 50 unterschiedlichen Präparate erhältlich sind, hat sich eins seit sechs Jahrzehnten nicht geändert: Verhütung bleibt Frauensache. Zum einen, weil sie die Schwangerschaft austragen muss, zum anderen, weil es bis auf Kondom und Vasektomie keine Verhütungsmittel für den Mann gibt. Zwar sei die Forschung an alternativen Verhütungsmitteln für den Mann nicht gescheitert, sagt der Arzt Michael Zitzmann vom Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie (Männerheilkunde) am Uniklinikum Münster gegenüber »nd«: »Es gibt effektive hormonelle Verhütungsmittel für den Mann, die kontrazeptiv sogar der Pille für die Frau überlegen sind.« Jedoch seien die bei einer Studie der Weltgesundheitsorganisation dokumentierten Nebenwirkungen als zu hoch angesehen worden, so Zitzmann.

Der Androloge war an der zwischen 2008 und 2011 durchgeführten Studie beteiligt, an der weltweit 400 Männer teilgenommen haben. In regelmäßigen Abständen bekamen die Probanden die Hormone Testosteron und Gestagen verabreicht, um die Produktion von Spermien zu unterdrücken. In gut 90 Prozent der Fälle war die Verhütungsspritze erfolgreich. Im Juli 2011 wurde die Studie dennoch eingestellt. Einige der Studienteilnehmer klagten über unangenehme Nebenwirkungen wie Hautprobleme, Gewichtszunahme, Veränderung der Libido, aber auch starke Stimmungsschwankungen und Depressionen.

Ein Studienausgang, der durchaus kritisch betrachtet wird: Zehn Prozent der teilnehmenden Männer klagten über Nebenwirkungen, die Frauen seit Jahrzehnten erleiden. Neben Gewichtszunahme, Akne oder Libidoverlust kann die Pille auch zu einem erhöhten Thrombose-, Bluthochdruck- und Brustkrebsrisiko führen. »Warum Frauen ähnliche Nebenwirkungsraten erdulden sollen, ist mir auch nicht einsichtig«, sagt Zitzmann. Im Prinzip sei eine Markteinführung der »Pille für den Mann« schon heute möglich. »Es fehlt aber das Interesse seitens der Industrie, solch ein Mittel herzustellen. Jede Medikation beim Mann würde zulasten des Absatzes der Pille für die Frau gehen - es ist also kaum Gewinn möglich.«

Von chronischer Unterfinanzierung und Desinteresse seitens großer Pharmakonzerne spricht auch Stephanie Page, Professorin an der University of Washington. In einer Dokumentation des Senders »Arte« berichtet sie von den Fortschritten in der Forschung. So konnte mittlerweile eine tatsächliche »Pille für den Mann« entwickelt werden, die Testosteron und Gestagen vereint und oral eingenommen werden kann. Auch wird an einem Gel geforscht, dass der Mann auf die Haut aufträgt. »Hier soll die Effektivität auch sehr gut und die Nebenwirkungsrate sehr gering sein«, erzählt Zitzmann. Und auch in Indien gibt es langjährige Forschung über ein hormonfreies Gel, das in den Samenleiter injiziert wird.

Dennoch: Bis eines dieser Verhütungsmittel auf den Markt kommt, werden wohl noch viele Jahre vergehen. Dabei sei die Nachfrage nach alternativer Verhütung auch für den Mann durchaus da, meint Zitzmann. »Immer mehr Paare begreifen Verhütung als Paarangelegenheit.« Nachdem die Pille zunächst ein großes Stück Freiheit für die Frau bedeutet habe, werde vermehrt auf die hormonelle Belastung geblickt. Zwar verhütet laut Angaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung mehr als jede zweite Frau zwischen 18 und 49 Jahren mit der Pille. Allerdings ist der Wert innerhalb der vergangenen sieben Jahre um 16 Prozent gesunken. Frauen entscheiden sich bewusster gegen hormonelle und für alternative Verhütung. Und auch Männer haben bereits hormonfreie Alternativen entdeckt: Verhütung mit der thermischen Methode, bei der die Spermienproduktion durch Körpertemperatur gesenkt wird.

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