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Eine Stadt dekolonisiert sich
Berlin bekommt ein Kulturprojekt für Kolonial- und Widerstandsgeschichte
In dem hellen, neu eingerichteten Laden erinnert kaum mehr etwas daran, wofür dieses Grundstück einmal stand. Das Projekt »Dekoloniale - Erinnerungskultur in der Stadt« will das in den kommenden fünf Jahren ändern. Am 15. November 1884 begann hier, in der Reichskanzlei in der Wilhelmstraße, die Berliner Afrika-Konferenz. Unter Reichskanzler Otto von Bismarck wurde der afrikanische Kontinent zwischen den europäischen Mächten aufgeteilt. Dieser historische Ort soll nun - auch wenn das Gebäude der Reichskanzlei selbst nicht mehr steht - zum Ausgangspunkt für die Dekolonisierung werden, betont der Mitbegründer von Berlin Postkolonial, Mnyaka Sururu Mboro, am Dienstag bei der Vorstellung des Modellprojekts. Die Eröffnungsfeier wird deshalb auch symbolisch am 15. November in der Wilhelmstraße 92 stattfinden, dem künftigen Informations- und Gedenkort von »Dekoloniale - Erinnerungskultur in der Stadt«.
Das Projekt soll die deutsche und Berliner Kolonial- und Widerstandsgeschichte thematisieren und sich mit den Nachwirkungen auf die globalisierte Gegenwart auseinandersetzen. Umgesetzt wird es im Verbund der zivilgesellschaftlichen Initiativen Berlin Postkolonial, Each One Teach One (EOTO), der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) und dem Stadtmuseum Berlin. Die Senatsverwaltung für Kultur und Europa und die Kulturstiftung des Bundes finanzieren es mit rund drei Millionen Euro.
In beiden Aspekten sieht Tahir Della, Vorstandsmitglied des ISD, eine große Chance. »Bislang lief es immer so: Wir kritisieren, und die Institutionen reagieren.« Das soll sich nun ändern. Ausgestattet mit Zeit und Mitteln haben zivilgesellschaftliche Akteur*innen die Möglichkeit, erinnerungspolitische Konzepte von Anfang an zu gestalten. Und zwar in Berlin und darüber hinaus, wie die Gesamtkoordinatorin Anna Yeboah betont.
»Dekoloniale« gliedert sich in drei Teile: Zum einen soll die Kolonialgeschichte systematisch kartiert werden. Bislang ist das nicht geschehen, auch wenn rund 35 Initiativen bundesweit punktuell daran gearbeitet haben. In Zusammenarbeit mit den bestehenden Organisationen will das Projekt nun rund 1000 Orte in Berlin, Deutschland und den ehemaligen Kolonien auf einer Karte darstellen. Dabei sollen diese in Form eines »Storymappings« kontextuell eingeordnet und die Geschichten der involvierten Menschen und Objekte erzählt werden. Eine Bedingung hat sich das Projekt selbst gestellt, erklärt Christian Kopp von Berlin Postkolonial, der die Teilprojekte Kartierung und Ausstellung leitet: Es sollen mindestens so viele Geschichten von Kolonisierten wie von Kolonisierern erzählt werden. Ein zweiter Grundstein des Projekts sind dekoloniale Interventionen. Unter der Leitung von Nadja Ofuatey-Alazard (EOTO) soll ein jährliches Festival in Berlin stattfinden sowie weitere künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum.
Drittens sollen Ausstellungsprojekte in Zusammenarbeit mit den Berliner Museen realisiert werden und die bereits bestehende Berliner Kolonialausstellung erweitert werden. Der Verbund will dabei auch den Zeitraum nach 1919 einbeziehen. »Wir wollen zeigen, dass - auch wenn Deutschland nur 35 Jahre eine Kolonialmacht war - die koloniale Geschichte viel weiter reicht,« sagt Kopp und meint damit die preußischen Verstrickungen in den transatlantischen Versklavungshandel und die Geschichte der Kolonialmigrant*innen in den Weltkriegen und der Nachkriegsgeschichte.
Paul Spies, der Direktor des beteiligten Berliner Stadtmuseums, sieht darin die Hauptaufgabe der kommenden Jahre. Das Stadtmuseum soll dabei als Katalysator agieren und mit anderen Häusern teilen, »wie man so etwas macht«, sagt er. Wie man es aus Sicht des Verbunds nicht macht, dafür gibt es in Berlin zahlreiche Beispiele. Am Freitag findet daher in Kooperation mit der Nachbarschaftsinitiative Anton-Wilhelm-Amo-Straße ein »Dekoloniales Flanieren« statt, ausgehend von der umstrittenen Berliner M-Straße unweit der ehemaligen Reichskanzlei und des Reichskolonialamts. Am Sonntag, dem Internationalen Tag zur Erinnerung an den Versklavungshandel und an seine Abschaffung, startet dann das Straßenumbenennungsfest für die M-Straße mit einer Demonstration am Lustgarten vor dem Humboldt Forum. Parallel dazu wird ein Ausstellungsstück zum transatlantischen Sklavenhandel des Berliner Technikmuseums in einer Performance abgebaut - als Start für eine Neukonzeption.
In Berlin tut sich etwas. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass die Änderung von kolonialen Straßennamen in Zukunft vereinfacht werden soll. Das hat der Senat am Dienstag beschlossen.
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