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Im Mittelmeer ausgesetzt
Griechische Küstenwache drängt laut Berichten Flüchtlinge in Schlauchboote und schickt sie Richtung Türkei
Syrische Geflüchtete berichteten demnach der Zeitung, dass maskierte griechische Beamte sie nachts aus einer Sammelunterkunft auf der Insel Rhodos abgeholt und dann auf ein Schlauchboot ohne Motor und Ruder gebracht hätten. Erst die türkische Küstenwache habe sie später im Meer gefunden und aufgenommen. Auch Kinder sollen von der Maßnahme betroffen gewesen sein. Die griechische Regierung erklärte gegenüber der Zeitung, dass sie prinzipiell im Einklang mit internationalen Gesetzen und Abkommen handele und nichts Illegales oder Heimliches getan habe. Weiter ging sie auf die Vorwürfe nicht ein.
Die geschilderten Fälle sind nicht die ersten Berichte von mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen in der Ägäis. Die Organisation Mare Liberum ist seit mehreren Jahren an der griechischen Außengrenze präsent, um Verstöße gegen das Völker- und Seerecht zu dokumentieren. Derzeit beklagen die Aktivisten eine Verschärfung der Lage. »Nicht nur die Zahl der Pushbacks hat seit März enorm zugenommen, auch die Gewalt, die die Beamten der Küstenwache gegen Asylsuchende einsetzen, hat ein schockierendes Level erreicht«, erklärte Lisa Gross, eine Sprecherin der Hilfsorganisation, gegenüber »nd«. »Die Küstenwache schießt auf Flüchtlingsboote und bringt Boote durch gefährliche Manöver zum Kentern, dazu werden Menschen in seeuntauglichen Rettungsinseln auf See sich selbst überlassen«, führte sie aus.
Mare Liberum hat mindestens 150 Pushbacks seit März registriert, von denen etwa 5000 Menschen betroffen gewesen sein sollen. Pushbacks sind staatliche Maßnahmen, bei denen Geflüchtete meist gewaltvoll zurück über eine Grenze gedrängt werden. Sie bekommen damit keine Möglichkeit, legal Asyl zu beantragen, der Zugang zu staatlichen Schutzstrukturen wird ihnen verwehrt. Die Maßnahme verstößt aus Sicht zahlreicher Menschenrechtsorganisationen gegen die Genfer Flüchtlingskonvention sowie die Grundrechtscharta der EU.
Mare Liberum hat mehrere Methoden von Pushbacks in der Ägäis registriert, darunter das eingangs beschriebene Aussetzen auf grenznahen Rettungsinseln, die in türkische Gewässer treiben sollen. Die Organisation zählt sieben bekannte Fälle in diesem Jahr, in denen Flüchtende die griechischen Inseln Samos, Symi oder Chios bereits erreicht hatten, von dort aber wieder zurück aufs Meer gebracht worden sein sollen.
Die NGO wisse weiterhin auch von Fällen, wo Geflüchtete von der griechischen Küstenwache auf den türkischen Inseln Başak, Boğaz und Bayrak ausgesetzt worden seien, wo die griechische Küstenwache die Motoren von Flüchtlingsbooten zerstört habe oder wo maskierte, bewaffnete Männer die Schlauchboote der Flüchtlinge angegriffen hätten. Bei den Attacken seien bisher sieben Fälle im Jahr 2020 bekannt, man vermute ebenfalls die griechische Küstenwache hinter den Tätern.
Die Hilfsorganisation betont, dass die griechische Regierung nicht die alleinige Verantwortung trägt. »Oft sind Boote der EU-Grenzschutzagentur Frontex bei den kollektiven Zurückweisungen anwesend«, so die Sprecherin Lisa Gross. Erst am Sonntag sei das Schiff »Berlin« der deutschen Marine, das in der Ägäis unter Nato-Kommando fährt, bei einem Pushback anwesend gewesen. »Allerdings ohne einzugreifen oder die Menschen zu retten«, sagte Gross. Mare Liberum könne drei solcher Fälle im Juni aufzählen. »Wir fordern die Untersuchung über eine deutsche Beteiligung bei diesen brutalen und illegalen Pushbacks«, heißt es seitens der NGO.
Auch die Linksfraktion im Bundestag hat Kenntnis von einem entsprechenden Vorfall im Juni. Der Einsatzgruppenversorger »Berlin« hatte damals beobachtet, wie griechische Behörden ein Flüchtlingsboot in türkisches Seegebiet abdrängten – und ließ sie gewähren. »Die Bundesregierung bricht damit das Völkerrecht«, erklärte der europapolitische Sprecher der Fraktion, Andrej Hunko, in einer Stellungnahme. Sie sei damit »mitverantwortlich für alle Opfer dieser todbringenden europäischen Flüchtlingspolitik in der Ägäis«.
Frontex setzt an der Grenze zwischen Griechenland und der Türkei ein Dutzend Schiffe ein, die Bundespolizei neben zwei Patrouillenbooten sogar noch einen Hubschrauber. »Es ist dort unmöglich, die zahlreichen Verletzungen des Völkerrechts durch griechische Behörden zu übersehen«, so Hunko. »Wenn Frontex und die Bundespolizei hier keine Beobachtungen gemacht haben wollen, dann haben sie aktiv weggeschaut.«
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