Tönnies will Schadenersatz von Blockierern

Überregionales Bündnis mobilisiert zur Demonstration gegen Schlachtkonzern

Spätestens seit den massenhaften Corona-Ausbrüchen in der Tönnies-Schlachtfabrik in Rheda-Wiedenbrück ist einer breiten Öffentlichkeit bekannt, welche Zustände in der deutschen Fleischindustrie herrschen. Die Beschäftigten werden mies bezahlt und in verdreckten Massenunterkünften untergebracht. Hygiene am Arbeitsplatz ist ein Fremdwort. Und die Tiere? Im Zuge der vorübergehenden Schließung von Tönnies beklagten Massentierhalter einen »SchweineStau«. Sie produzierten zu viele Tiere. Schweine wurden, weil sie nicht schnell genug geschlachtet werden konnten, zu groß und zu schwer. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis stimmte nicht mehr.

Wie das System Tierindustrie funktioniert, war schon vor Corona bekannt. Nur interessiert hat es wenige. Zu den wenigen, die sich engagiert haben, gehörte die Aktionsgruppe »Tear Down Tönnies«, die im vergangenen Herbst die Zufahrt zur Schlachtfabrik im schleswig-holsteinischen Kellinghusen blockiert hatte. Sie ketteten sich an zwei Rampen, über die sonst bis zu 6000 Schweine täglich in den Schlachthof transportiert werden und besetzten ein Dach. Elf Stunden dauerte die Aktion, die von Spezialkräften der Polizei beendet wurde. Jetzt fordert Tönnies für die Aktion Schadenersatz. 37 354 Euro sollen die Blockierer bezahlen.

Die Aktivisten bereiten sich darauf vor, sich mit juristischen Mitteln gegen die Zahlungsaufforderung zu wehren. Das überregionale Bündnis »Gemeinsam gegen die Tierindustrie« ruft zur Solidarität auf und mobilisiert für Ende August zu einer Demonstration gegen Tönnies in Kellinghusen. »Das Geschäftsmodell von Konzernen wie Tönnies beruht auf Tierleid, Naturzerstörung und Ausbeutung«, sagt Katja Suhr vom Bündnis. »Während Tönnies für all die vom Unternehmen verursachten Schäden nicht aufkommen muss - von denen viele gar nicht in Geld zu bemessen sind - , sollen jetzt diejenigen bezahlen, die die tödliche Maschinerie für ein paar Stunden unterbrochen haben? Das darf nicht sein.«

Suhr fordert »die Enteignung der Fleischindustrie«, die Produktion müsse außerdem in eine ökologische und soziale Nahrungsmittelproduktion umgestellt werden. Maxi, die bei der Besetzung der Schlachtfabrik in Kellinghusen dabei war, sieht Tönnies als »schlechten Verlierer«. Es sei »kein Zufall«, dass die Schadenersatzforderung in einer Zeit käme, in der die Tierindustrie »so breit und kritisch diskutiert« werde und der Widerstand gegen Schlachthöfe wachse.

Die Schadenersatzklagen sind nicht der erste Fall, in dem sich Tönnies mit juristischen Mitteln gegen Kritiker wehrt. Der Verein »Aktion Arbeitsunrecht« kritisiert seit Jahren die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie und speziell bei Tönnies. Mit einer einstweiligen Verfügung wollte der Konzern verhindern, dass der Verein behauptet, Tönnies betreibe »systematischen Lohnraub«, dass es nach Arbeitsunfällen zu Kündigungen käme und es 16-Stunden-Schichten gebe. Noch bevor es zu einer Gerichtsverhandlung kam, zog Tönnies die einstweilige Verfügung allerdings zurück. Die »Aktion Arbeitsunrecht« vermutet, dass Tönnies es gescheut habe, die gut belegten Vorwürfe in einem öffentlichen Prozess zu verhandeln.

Dass Konzernkritiker mit zivilrechtlichen Forderungen konfrontiert werden, ist ein Phänomen, das sich in den vergangenen Jahren verstärkt hat. Am bekanntesten sind in diesem Feld wohl die zahlreichen Versuche von RWE, gegen Klimaaktivisten vorzugehen. Von Aktivisten, die im Herbst 2018 eine Förderanlage im Kraftwerk Weisweiler blockiert hatten, fordert der Energieriese zwei Millionen Euro. Von zwei Pressesprechern des Bündnisses »Ende Gelände« verlangte der Konzern per Unterlassungserklärung, dass sie nicht mehr zu Blockaden aufrufen sollen - sonst drohe eine Vertragsstrafe von 50 000 Euro. Die beiden Aktivisten haben die Unterlassungserklärung nicht unterschrieben und seitdem noch nichts von RWE gehört.

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