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Eishockey in Auschwitz
Der israelische Nationalmannschaftskapitän Eliezer Sherbatov spielt fortan in Polen für Unia Oświęcim. Ein Verrat am jüdischen Volk, finden manche
Wenn der israelische Eishockeyprofi Eliezer Sherbatov von seiner neuen Wahlheimat in Polen spricht, dann klingt das so: »Alle sind so freundlich und entspannt. Wenn ich die Straße runtergehe, dann rufen die Leute: ›Hej, Sherbatov!‹ Es macht richtig Spaß.« Eliezer Sherbatov, 28 Jahre alt, ist Kapitän der israelischen Eishockey-Nationalmannschaft. Sein neuer Verein heißt Unia Oświęcim. Keine offensichtliche Wahl für einen Sportler aus Israel: Die Stadt Oświęcim in Polen war während des Zweiten Weltkriegs der Standort für das deutsche Konzentrationslager Auschwitz. Doch Sherbatov sieht seinen Einsatz auch als politisches Statement - und verteidigt ihn selbstbewusst gegen Kritik.
Knapp sechs Kilometer liegen zwischen der Gedenkstätte Auschwitz mit dem Tor, das die zynische Aufschrift »Arbeit macht frei« trägt, und der Eissporthalle von Unia Oświęcim. Sherbatov, die langen schwarzen Locken mit einem Gummi zusammengebunden, sitzt in einem Büro vor dem blauen Logo seines Vereins. »Natürlich bin ich in erster Linie hierher gekommen, um Hockey zu spielen. Die polnische Liga ist sehr professionell.« Von Unia Oświęcim habe ihm ein Freund erzählt, der slowenische Eishockeyspieler Klemen Pretnar, der für den Verein als Verteidiger spielt. Nach zweiwöchigen Verhandlungen sei der Wechsel nach Oświęcim perfekt gewesen.
Der Kontroversen bewusst
Auschwitz ist weltweit zum Synonym für den Holocaust und zum Inbegriff des Bösen geworden. Die Deutschen richteten das Stammlager ab Mitte 1940 außerhalb von Oświęcim im von der Wehrmacht besetzten Teil Polens ein. Hier und im drei Kilometer entfernten Brzezinka (Birkenau) entstand das größte Vernichtungslager Europas. 1942 begannen die Massentransporte von Juden dorthin. Mindestens 1,1 Millionen Menschen wurden vergast, zu Tode geprügelt, erschossen, starben an Krankheiten und Hunger.
Eliezer Sherbatov war sich bewusst, dass seine Entscheidung Kontroversen auslösen könnte. Seine Eltern waren einst aus Russland nach Israel ausgewandert, er wurde dort geboren. Bevor er bei Unia Oświęcim anheuerte, ist er für Klubs in Kanada, Frankreich und Kasachstan aufs Eis gelaufen. »Für mich ist es eine Ehre, hier zu leben und ausgerechnet für diese Mannschaft zu spielen, wo hier das Konzentrationslager war. Denn ich kann zeigen: Es gibt eine neue Generation von Juden.« Diese Generation erinnere daran, was passiert sei, aber man dürfe nicht ständig nur an die Vergangenheit denken, sondern müsse vorwärts gehen.
Nachdem sein Wechsel nach Oświęcim bekannt geworden war, ließ die Kritik nicht lange auf sich warten. »Für einen Juden ist es Verrat, für ein Team in Auschwitz zu spielen, ein Verrat am jüdischen Volk, ein beschämender Stoß in den Rücken von Millionen« schrieb der New Yorker Rabbiner Elchanan Poupko auf Twitter.
Jedes Tor, das Sherbatov schießen werde, bringe Stolz »an einen Ort, der Tag und Nacht dabei zugesehen hat, wie unsere Brüder und Schwestern in Rauch aufgingen«, so der Rabbi. Jeder in Oświęcim sei schuldig.
Der Holocaust betrifft alle
Sherbatov ficht das nicht an. Er habe nicht unterschrieben, um als Tourist dorthin zu gehen, sondern um zu zeigen, dass die Juden zurückgekommen seien, »stärker denn je«, entgegnete er auf Twitter. Sein Ziel sei es, den Siegerpokal in die Höhe zu heben, damit die Menschen einen jüdischen Eishockeyspieler bejubeln können.
Hat ihn die Kritik des Rabbiners überrascht? Sherbatov gibt sich gelassen. »Ich bin natürlich nicht einverstanden damit, was dieser Rabbiner sagt. Aber ich kann ihm das nicht vorwerfen - der Holocaust betrifft ja nicht nur einen Juden, sondern alle.«
Rückhalt in dem Konflikt bekam Sherbatov von seinem Verein. Das Team sei multikulturell, die Spieler kämen aus sieben verschiedenen Ländern. Auch das American Jewish Committee und die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau stellten sich hinter den Eishockeyprofi. Die Gedenkstätte schrieb, die Geschichte von Auschwitz zeige die Gefahren von Stereotypen in der Wahrnehmung von anderen. Der Rabbiner offenbare seine Wissenslücken oder ignoriere historische Fakten - Sherbatov wisse es besser.
Das Museum hat den Spieler zu einem Besuch eingeladen. Wird er kommen? »Momentan haben wir Trainings-Camp, das bedeutet Training zweimal täglich.« Aber dann, so hat es sich Eliezer Sherbatov vorgenommen, will er den Ort des Gedenkens unbedingt besuchen. dpa/nd
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