Der weite Weg nach Westen

Die EU dehnt seit Jahren ihren Einflussbereich in früheren Sowjetrepubliken aus

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Regierungen der Europäischen Union hoffen darauf, dass der oft als »letzter Diktator« Europas bezeichnete belarussische Präsident Alexander Lukaschenko bald seine Macht abgibt. Mit den angekündigten Sanktionen gegen Amtsträger und der Unterstützung für die Oppositionellen, die in Massen friedlich gegen ihre Regierung protestieren, tut die EU einiges dafür, dass sich die politischen Verhältnisse in der früheren Sowjetrepublik bald ändern könnten.

Wenn ein Umsturz gelingen sollte, ist davon auszugehen, dass sich Belarus der EU annähern würde. Einige Anläufe hat es hierfür bereits gegeben. Im Jahr 1995 unterzeichneten beide Seiten ein Partnerschafts- und Kooperationsabkommen. Doch die Europäische Union hat dieses nie ratifiziert und in diesem Zusammenhang auf die Einschränkung von politischen und Bürgerrechten in Belarus hingewiesen. Seitdem haben die Vertreter der EU im Umgang mit Lukaschenko auf das Prinzip Zuckerbrot und Peitsche gesetzt.

Um die gemeinsamen Wirtschaftsbeziehungen zu stärken, wurde Belarus vor elf Jahren Mitglied der östlichen Partnerschaft der EU. Das hielt die Europäische Union jedoch nicht davon ab, Sanktionen zu verhängen, die zum Teil nach der Freilassung politischer Gefangener wieder aufgehoben wurden. Mit dieser Politik übt die EU schon seit Jahren Druck aus, damit Belarus denselben Weg einschlägt wie andere Staaten des postsowjetischen Raums, die geografisch zu Europa oder Vorderasien zählen.

Mit Moldau, Georgien und der Ukraine bestehen - anders als mit Belarus - bereits Assoziierungsabkommen. In den beiden letztgenannten Staaten hat die Hinwendung zum Westen zu heftigen Auseinandersetzungen geführt. Teile der Staaten spalteten sich ab, traten der Russischen Föderation bei oder sind faktisch von Moskau abhängig. Welche verheerenden Folgen der Kampf um Einfluss in Ländern haben kann, die sich zwischen den Machtblöcken Russland und Europäische Union befinden, lässt sich derzeit in der ukrainischen Kriegsregion Donbass beobachten.

Dass die EU im Unterschied zu Russland Parteien und Politiker in der Region bevorzugt, die für den demokratischen Fortschritt eintreten, ist eine Legende. Staaten, die ein Assoziierungsabkommen im Rahmen der östlichen Partnerschaft unterzeichnen, verpflichten sich zu strukturellen Reformen in den Bereichen Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Doch die Realität sieht in diesen Ländern oft anders aus. Das weiß auch die Europäische Union. Für sie sind die Öffnung der Märkte und politische Stabilität am wichtigsten. Der linke EU-Abgeordnete Helmut Scholz hat vergangenes Jahr mit Blick auf die Ukraine darauf hingewiesen, dass insbesondere Deutschland als größte Volkswirtschaft in der Europäischen Union ein Interesse daran hat, neue Märkte zu erschließen.

In welchem politischen Umfeld das stattfindet, ist aus Sicht vieler europäischer Staats- und Regierungschefs letztlich von weniger großer Bedeutung. So hat das Abkommen mit der EU bislang nichts an dem großen Einfluss der Oligarchen auf die ukrainische Politik geändert. Petro Poroschenko, der einige Jahre Präsident des Landes und enger Partner seiner westlichen Nachbarstaaten war, zählt selber zu den Oligarchen. Seinem Nachfolger Wolodymyr Selenskyj werden immer wieder enge Verbindungen zu Oligarchen-Kreisen nachgesagt.

Unter anderem die Vereinten Nationen warfen zudem den Truppen Poroschenkos und den Separatisten im Donbass schwere Menschenrechtsverletzungen vor. So hieß es in einem Bericht des Hochkommissariats für Menschenrechte von 2016, dass »Verschleppungen, willkürliche Festnahmen, Folter und Misshandlungen tief verwurzelte Praktiken sowohl auf den Gebieten unter Kontrolle der (prorussischen) bewaffneten Gruppen als auch auf Regierungsgebiet« blieben. Eine ernsthafte juristische Aufarbeitung hat es bis heute nicht gegeben.

In Georgien wurde in der Vergangenheit, ähnlich wie in Belarus, der Vorwurf laut, dass Wahlen manipuliert worden sein sollen. Der frühere georgische Präsident Micheil Saakaschwili, der sein Land einst in EU und Nato führen wollte, wurde im Juni 2018 von einem georgischen Gericht in Abwesenheit zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, weil er Gewalt gegen einen oppositionellen Abgeordneten angeordnet haben soll. Als es im Jahr 2007 zu Massenprotesten in seinem Land kam, ließ Saakaschwili diese niederknüppeln. Westliche Medien berichteten von Hunderten Verletzten.

Während führende Politiker der EU bei Saakaschwili und Poroschenko gerne mal beide Augen zugedrückt und jeden Reformansatz bejubelt haben, verurteilen sie Lukaschenko unter anderem wegen seines autoritären Regierungsstils, Indizien für Wahlfälschung und des brutalen Vorgehens seiner sogenannten Sicherheitskräfte gegen die Demonstrierenden. Einige Dinge dürften sie aber noch weitaus mehr an dem Minsker Staatschef stören. Er hat bereits vor Jahren die Privatisierungen in seinem Land gestoppt und pflegt trotz einiger Differenzen enge Beziehungen mit Russland. Das soll sich aus EU-Sicht in Zukunft ändern. Die Chancen dafür stehen zumindest nicht schlecht. Denn allein mit Gewalt wird sich Lukaschenko nicht mehr an der Macht halten können.

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