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Man war mal wer

Vor allem die Türkei, aber auch Äthiopien und Katar bedrohen Ägyptens Großmachtansprüche

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Man war nicht überrascht, dazu war die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) viel zu lange in der Mache. »Aber erleichtert sind wir schon«, sagte Ahmed Hafez, Sprecher des ägyptischen Außenministeriums. »Hier entwickelt sich eine neue außenpolitische Dynamik, von der die gesamte Region profitieren wird.« Hafez sieht in dem Abkommen neue Möglichkeiten im Kampf gegen den Islamismus, womit in Ägypten vor allem die Muslimbruderschaft gemeint ist.

Zur Erinnerung: Nach der Absetzung des Langzeitdiktators Hosni Mubarak 2011, vor der Machtergreifung durch den damaligen Generalstabschef Abdel Fattah al-Sisi im Sommer 2013, hatten die Muslimbrüder für kurze Zeit mit Mohammad Mursi den ersten jemals frei gewählten Präsidenten gestellt. Heute ist die Muslimbruderschaft in Ägypten als terroristische Vereinigung eingestuft; die meisten ihrer Funktionäre sitzen im Gefängnis oder sind ins Ausland geflüchtet. Der abgesetzte Mursi starb 2019 in Haft.

Die Muslimbruderschaft hat auf dem Land auch heute noch viele Unterstützer*innen, und wird damit weiterhin als Bedrohung für die passgenau um al-Sisi herum aufgebaute staatliche Ordnung gesehen. Es ist eine Situation, die auch eine starke außenpolitische Komponente hat. Vor allem mit der Türkei liegt man seit Jahren in einem mal mehr, mal weniger intensiven Clinch. Und momentan nimmt dieser Konflikt deutlich an Fahrt auf. Vordergründig geht es dabei um das militärische Engagement der Türkei in Libyen und um Bohrrechte im Mittelmeer. Ankara und das Golfemirat Katar unterstützen seit einiger Zeit in dem rohstoffreichen Land die Truppen der Nationalen Einheitsregierung, auf deren Seite auch islamistische Gruppierungen kämpfen. Damit gelangen Geländegewinne auf Kosten der Libyschen Nationalarmee von General Khalifa Haftar, die von der ägyptischen Regierung unterstützt wird.

Das Eingreifen aus Ankara und Doha und damit die Möglichkeit, dass irgendwann pro-türkische Milizen an der Außengrenze Ägyptens stehen, ist ein rotes Tuch: Man droht damit, selbst militärisch eingreifen zu wollen. In Ankara indes ist man verärgert darüber, dass Ägypten und Griechenland per Vertrag eine gemeinsame Wirtschaftszone für die Öl- und Gasbohrrechte im Mittelmeer vereinbart haben. Das erklärte Ziel: den türkischen Einfluss im östlichen Mittelmeer zurückdrängen.

Dass man sich in Kairo derart heftig mit der weit entfernten Türkei streitet und interessiert darauf blickt, was zwischen Israel und den VAE passiert, hat aber nicht allein mit der Hoffnung zu tun, von den Rohstoffen in Libyen und den unter dem Mittelmeer vermuteten Gas- und vielleicht auch Öl-Reichtümern profitieren zu können. Die Situation ist viel komplexer.

Die Regierung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan hat sich im Laufe der Jahre deutlich auf die Seite der Muslimbrüder gestellt, einigen ihrer Funktionäre Zuflucht gewährt. Und auch zur palästinensischen Hamas, die den Gazastreifen in unmittelbarer Nähe zur Sinai-Halbinsel kontrolliert, zeigt man in Ankara eine Nähe, die aus ägyptischer Sicht viel zu eng ist. Denn in der kargen Wüstenlandschaft kämpft das ägyptische Militär bereits seit Jahren gegen Gruppen, die sich dem »Islamischen Staat« verschworen haben, während die Hamas den Sinai für den Schmuggel von Waren und Waffen in den Gazastreifen nutzt.

Zudem hat die Türkei in Katar, dem die ägyptische Regierung vorwirft, die Muslimbrüder finanziell zu unterstützen, eine ziemlich große Militärbasis gebaut, und auch in Djibouti strebt man nach politischem und militärischem Einfluss: An dem kleinen Land an der Einfahrt zum Roten Meer müssen alle Schiffe auf dem Weg zum Suez-Kanal vorbei.

In den staatlichen ägyptischen Medien ist das außenpolitische Weltbild meist in wenigen Worten erklärt: Man wird von der Türkei bedroht, die nach ägyptischer Lesart versucht, das Land politisch und militärisch zu dominieren. Im Hintergrund agiert der zweite Feind, Katar, der alles angeblich finanziert. Und dann ist da noch Äthiopien, das nun damit begonnen hat, einen riesigen Staudamm mit Nilwasser zu füllen; in Kairo befürchtet man, dass einem selbst demnächst das Wasser ausgehen könnte.

Deshalb nutzt man die Situation gleichzeitig dazu, die Öffentlichkeit um al-Sisi zu scharen, denn ansonsten gibt es nicht viel, für das ihn das Volk mögen könnte: Der Wirtschaft geht es schlecht, die Armut ist groß. Für Militäreinsätze in Libyen hat man eigentlich kein Geld und schaut deshalb auf Israel und die VAE: In den Emiraten steht man der Muslimbruderschaft und anderen islamistischen Gruppierungen ablehnend gegenüber, mit Katar herrscht seit Jahren Funkstille. In Kairo hofft man darauf, dass durch die diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und den VAE eine Koalition gestärkt wird, die bislang eher im Verborgenen existierte.

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