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Ein untypischer Putsch
Mali: Oppositionsbewegung nimmt Angebot der Militärs für Übergangsprozess an.
Es ist ein Sieg der breiten, oppositionellen Bewegung des 5. Juni (M5/RFP). In Mali ist der Präsident Ibrahim Boubacar Keita zurückgetreten und hat gleichzeitig die Auflösung der Regierung und des Parlaments verkündet. Militärs haben vergangenen Dienstag die Macht übernommen, die sie als Comité National pour le Salut du Peuple (CNSP) unter der Führung von Oberst Assimi Goita ausüben. In der Nacht zum Mittwoch haben sie ihre erste Erklärung durch das staatliche Fernsehen senden lassen. Der Kernsatz der siebenminütigen Ausführungen: »Die Zivilgesellschaft und die soziopolitischen Bewegungen sind eingeladen, mit uns zusammen mittels einer Roadmap, die die Basis für ein neues Mali gründet, die besten Bedingungen für einen zivilen politischen Übergangsprozess zu schaffen, der in allgemeinen Wahlen zur Ausübung der Demokratie mündet.« Dieses Angebot wurde von der M5/RFP angenommen, deren Sprecher Choguel Maiga im Interview mit Radio France International auch nicht von einem typischen Putsch spricht, sondern von einer Umsetzung der Forderungen der Proteste der letzten drei Monate. Die Zusammenarbeit der M5/RFP mit dem CNSP solle sich am im Juli veröffentlichten Memorandum der Bewegung orientieren.
Schon seit drei Monaten protestieren die Menschen auf Malis Straßen. Die Bewegung des 5. Juni hatte auch am 11. August wieder Hunderttausende in der Hauptstadt Bamako und den anderen Städten des Landes mobilisiert. Die Demonstrierenden kommen aus allen Teilen der Gesellschaft und verschiedensten politischen Lagern. SADI (Solidarité Africaine pour la Démocratie et l’Indépendence), die Partnerpartei der deutschen Linken in Mali, mobilisiert für die Bewegung, deren wichtigste Führungsperson bislang der Imam Mahmoud Dicko war, der allerdings nun verkündet hat, sich in der jetzigen Situation aus der Bewegung zurückzuziehen. Es handelt sich um keine selbstverständliche Allianz: Dicko hat nationale Berühmtheit durch seine religiös begründete Ablehnung einer progressiven Reform der Familiengesetzgebung im Jahr 2009 erlangt. Mitglieder der SADI sagen deutlich, dass es für die säkulare Linke wichtig ist, an der Bewegung teilzuhaben, damit diese nicht ausschließlich durch religiöse Führungspersonen geprägt wird.
Keita steht symbolisch für die falschen Lösungsansätze
Die Forderung des Rücktritts des Präsidenten begründet die Bewegung damit, dass er unfähig sei, das Land zu regieren und es in eine immer tiefere Krise reite.
Es ist richtig, Keita ist gescheitert, aber nicht hauptsächlich wegen persönlicher Unfähigkeit. Vielmehr steht er symbolisch für die falschen Lösungsansätze für eine Krise, in der Mali seit der Rebellion und dem Putsch von 2012 steckt. Beides hatte seine Ursachen lange vor 2012 und diese sind tief in den Strukturen des Staates verwurzelt. Um nur einige zu nennen: Perspektivlosigkeit vor allem für die Jugend nicht nur im Norden, dort aber eklatant. Staatliche Dienstleistungen wie vor allem Gesundheitsversorgung und Bildung sind prekär, zudem gibt es keine Polizei, die ihren Aufgaben gewissenhaft nachkommt: der Bekämpfung von Kriminalität durch Vorbeugung und Verfolgung. Es gibt keine Judikative, in die die Bevölkerung Vertrauen hat. Verschiedene Formen illegaler Ökonomien stützen die Macht der Milizen: Drogenhandel, Entführungen.
Die fehlende Sicherheit vor Gewaltakten organisiert die Gesellschaft neu: Menschen schließen sich religiös und ethnisch formierten bewaffneten Gruppen an. Spaltungen und Differenzen entstehen, wo jahrzehntelang religiöse Toleranz stark und ethnische Zugehörigkeit oft nur diffus war. Gewalt und Terror sind nun auch im Zentrum des Landes, im fruchtbaren Binnendelta des Niger, bestimmende Elemente des Alltags.
Zu den innermalischen Konfliktlinien kommt hinzu, dass in Mali internationale Konflikte ausgetragen werden. Al-Qaida im islamischen Maghreb (AQMI) entstand aus salafistischen Gruppen, die im algerischen Bürgerkrieg gekämpft haben. Die MNLA (Mouvement National de Libération de l’Azawad) als nichtreligiöse separatistische Miliz des Nordens wird von Frankreich gefördert. Das Hineintragen internationaler Konflikte führt dazu, dass in Mali nicht verhandelt wird, wo dies für einen Weg zu Versöhnung und Frieden sonst möglich und notwendig wäre. Der »Kampf gegen den Terror« schließt Gruppen vom Verhandlungstisch aus, die für einen Friedensprozess am Tisch sitzen müssten.
Wechsel an der Spitze des Staates löst die Probleme nicht
Die militärische Intervention Frankreichs und seiner Partner gehorcht dieser Logik des internationalen Konfliktes und hat deshalb zur Verschärfung des Terrors und der militärischen Gewalt in Mali und in den Nachbarländern beigetragen. Das militärische Eingreifen aus Europa wird inzwischen von großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt.
Diese Konflikte und Krisen werden nicht durch einen Wechsel an der Spitze des Staates gelöst. Jetzt schnelle Neuwahlen und dann geht es weiter wie bisher - das ist das Standardmodell für Situationen wie diese. Schon fordert die westafrikanische Staatengemeinschaft Ecowas den unverzüglichen Übergang zur verfassungsmäßigen Ordnung. Ebenso die europäischen Staaten, die durch ihr militärisches Engagement Einfluss ausüben. Das Modell wird aber wieder scheitern in Mali, denn es fußt auf der mehrfach widerlegten Annahme, dass das aktuelle Wahlsystem in Mali legitime Regierungen zur Folge hat. Das ist nicht der Fall. Liberale Demokratie mit Mehrheitswahlen für den Präsidenten und die Nationalversammlung, daraus ergibt sich in diesem Land keine handlungsfähige und schon gar keine legitime Regierung. Es werden dieselben Eliten in etwas neuer Konstellation kaum anders weiter regieren als bisher. Schon seit Jahrzehnten signalisiert die Wahlbeteiligung die fehlende Legitimität dieses Systems. Seit 1991 haben sich nie mehr als 30 Prozent der Wahlberechtigten beteiligt. Herausgekommen sind dabei immer Regime, die das Enteignungssystem neoliberalen Wirtschaftens vertieft und sich selbst dabei bereichert haben. Für die Menschen war der Staat nicht da, von den Menschen gestaltet war er auch nicht und folglich auch nicht demokratisch. Wahlen suggerierten Demokratie, mehr nicht.
Könnte stattdessen eine Nationalkonferenz, wie sie bereits 1991 im Land zu einer neuen Verfassung geführt hatte, eine Alternative bieten? Eine solche wurde in den vergangenen Jahren von vielen Akteur*innen gefordert. Damals kam eine neue Verfassung mit anschließenden Neuwahlen heraus. Dieses Mal müsste es mehr sein. Es bedarf eines längeren Prozesses der ökonomischen und sozialen Neufundierung des Landes.
Die M5/RFP schlägt als Agenda für die Zusammenarbeit mit dem CNSP das eigene Memorandum vor, das einen Transitionsprozess unter Einbeziehung aller gesellschaftlichen Kräfte des Landes fordert. Eine Übergangsregierung, geführt von einer*m zivilen Premierminister*in, die einen Fahrplan zur Neugründung des Staates und Rettung der Demokratie umsetzen soll, werden in dem Memorandum gefordert.
Mali braucht eine radikale Neuformierung der Gesellschaft
Entscheidend ist, wie tief greifend und substanziell die Veränderung ist, die in Mali nun vielleicht beginnt. Dies zu gewährleisten, ist nun die Arbeit der Zivilgesellschaft und soziopolitischen Bewegungen wie der M5/RFP. Aus den anderen Ländern Westafrikas ist Solidarität gefragt und Klarheit in den Forderungen. Da in vielen von ihnen die Legitimation der amtierenden Präsidenten ebenfalls schwindet, werden ihre Regierungen und die westafrikanische Staatengemeinschaft die notwendige radikale Neuformierung der Gesellschaft versuchen zu verhindern. Sie nennen das »sofortige Rückkehr zur konstitutionellen Ordnung«. Linke und Demokrat*innen aber sollten in Mali, und von außen solidarisch mit Mali, vielmehr einen demokratischen Prozess zu einer fundamental anderen Ordnung fordern. Dieser Weg bietet die Chance für ein stabiles und demokratisches Mali. Ob auf diesem Weg eine Nationalkonferenz einen Meilenstein darstellen wird oder welche anderen Routen er nimmt, diese Entscheidung obliegt den Malier*innen.
Unser Autor leitet das Auslandsbüro der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Dakar (Senegal). Er ist Politikwissenschaftler und Afrikanist.
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