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Am Ende siegt immer Sevilla
Der FC Sevilla gewinnt mit starkem Teamgeist und etwas Glück auch sein sechstes Europa-League-Finale
Luuk de Jong war etwas durcheinander im größten Moment seiner Karriere als Fußballprofi. Seine Augen waren weit aufgerissen, die Glücksgefühle strömten, sein Körper hatte sichtbar Mühe, stillzuhalten für die Interviews, die ein Fußballheld im Augenblick des Triumphes nun mal geben muss. Vor allem aber vergaß er immer wieder, in welcher Sprache er sich gerade unterhielt. »Unglaublich«, sagte der Niederländer, der zwei Tore zum 3:2-Erfolg gegen den FC Sevilla im Finale der Europa League gegen Inter Mailand geköpft hatte, und erklärte in einem merkwürdigen Wechselspiel zwischen Deutsch und Englisch: »Während des ganzen Turniers waren wir wirklich wie eine Familie, so wie wir zusammengearbeitet haben.« Der FC Sevilla und de Jong hatten eine wunderschön erzählte Neuauflage dieser uralten Fußballgeschichte von den »Elf Freunden« vorgelegt. Aber das war nur ein Erzählstrang in diesem atemberaubenden Fußballspiel.
Ein anderes Motiv dieser Fußballnacht war die magische Verbindung, die der FC Sevilla zu diesem Wettbewerb hergestellt hat, mit dem sich andere Klubs so unglaublich schwertun. Seit 2006 haben die Andalusier den sperrigen Silberpokal genauso oft gewonnen wie alle deutschen Vereine zusammen: sechsmal. »Das mit der Europa League ist nicht nur eine Romanze, sondern eine dauerhafte Beziehung«, sagte Sportdirektor Ramón Rodríguez Verdejo, den alle nur »Monchi« nennen. In den Finalspielen wirkt die Magie immer besonders stark, all seine sechs Endspiele hat Sevilla gewonnen.
Lissabon. Keine Hin- und Rückspiele, Finalturniere an nur einem Ort: Die Notfall-Endrunden wegen Corona könnten zu einer grundlegenden Europapokalreform führen. Nach vorheriger Skepsis zeigt sich Aleksander Ceferin, Präsident des europäischen Dachverbands Uefa, offen für Änderungen.
Das System mit einem Duell pro Begegnung erscheine »interessanter«, sagte der Slowene am Sonntag. Es sei kompliziert, ein solches Turnier im Kalender unterzubringen. »Aber wir haben gesehen, dass die Menschen spannende Spiele wollen. Deshalb ziehen wir das für die Zukunft in Erwägung.« Vor den Finalturnieren der Königsklasse in Lissabon und der Europa League in Nordrhein-Westfalen hatte Ceferin derartige Gedankenspiele noch ausgeschlossen.
Die Uefa hatte die Wettbewerbe wegen der Pandemie ab den Viertelfinals an je einem Ort mit immer nur einem Duell zu Ende gebracht. Der bekannte Modus mit Hin- und Rückspielen ist bis 2024 festgeschrieben. Eine Änderung würde weniger Spiele und damit vermutlich auch den Verlust von TV-Einnahmen mit sich bringen. Das Argument versuchte Ceferin zu entkräften: »Auch wenn es weniger Spiele sind, wäre ihr Wert höher, wenn sie richtig vermarktet werden.« dpa/nd
Und dann war da noch die Geschichte des Trainers Julen Lopetegui, von dem mancher zuletzt dachte, er sei zwar ein guter Fußballlehrer, allerdings ohne das Talent zum Umgang mit großen Momenten. Lopetegui war unmittelbar vor der WM 2018 als spanischer Nationaltrainer entlassen worden, weil bekannt geworden war, dass er nach dem Turnier in Russland Real Madrid übernehmen würde. Damit war er vor allem für die Fraktion der Katalanen untragbar geworden. Bei Real aber wurde er nur wenige Monate später aufgrund ausbleibender Erfolge auch schon wieder gefeuert.
Nun flossen die Tränen des Glücks die Wangen Lopeteguis hinab, über den Kapitän Jesus Navas berichtete: »Er arbeitet jeden Tag 24 Stunden, er gibt alles, was er hat, und hat das Beste aus uns herausgeholt.« Tatsächlich hatte der FC Sevilla brillant gespielt: temporeich, athletisch, effizient, aber auch schlau und nervenstark. Sowohl im Halbfinale gegen Manchester United als auch im Endspiel gegen Inter Mailand gelang es der Mannschaft, starke Gegner nach Führungen in der Schlussphase so unter Kontrolle zu halten, dass keine ernsthafte Gegentorgefahr mehr entstand. Das ist eine Meisterleistung, die kaum ein Team dieser Welt besser hinbekommen hätte.
Als Lopetegui nach dem Sieg auf seine unglücklichen Jahre seit 2018 angesprochen wurde, erwiderte er nur: »Ich blicke nicht zurück. Ich habe das Glück, in einem Klub zu sein, der mir die Chance mit einer richtigen Mannschaft gegeben hat. Mit allem, was dieses Wort bedeutet.« Darauf kann er stolz sein, denn ein starker Teamgeist ist immer auch das Werk eines Trainers. Lopetegui hatte überdies gespürt, dass dies de Jongs große Nacht werden könnte.
Dem Niederländer war zwar schon im Halbfinale als Einwechselspieler das Siegtor gegen Manchester United gelungen, er hatte aber über die Saison nicht zum Kreis der anerkannten Stammspieler gezählt. Vielmehr stand de Jong wie schon in seinem Jahr bei Borussia Mönchengladbach unter dem Verdacht, ein Transferflop zu sein. Nun gelangen ihm zwei Kopfballtore gegen die Abwehr von Inter Mailand, die in der gesamten Serie-A-Saison nur einen einzigen Gegentreffer per Kopf zugelassen hatte. Und dann war da noch Diego Carlos, dem bei beiden Mailänder Toren Fehler unterliefen, der dann aber mit einem verunglückten Fallrückzieher, den Romelu Lukaku ins eigene Tor lenkte, den entscheidenden Impuls zum Sieg gab.
So hatte dieses Finale wie alle großen Epen auch seine tragische Figur: Lukaku hatte früh im Spiel mit all seiner körperlichen Wucht einen Elfmeter herausgearbeitet, den er selbst verwandelte. Damit hatte er im elften Europa-League-Spiel infolge stets getroffen, ein einmaliger Rekord. Später hatte der Belgier beim Stand von 2:2 die beste Möglichkeit für Inter in der zweiten Halbzeit vergeben, eine »hundertprozentige«, wie Reporter gerne sagen. Aber statt vorne zu treffen, stolperte der Stürmer dann eben hinten den Schuss von Carlos ins eigene Tor.
Sekunden nach dem Abpfiff war Lukaku schon in der Kabine verschwunden und kam auch nicht mehr zurück, als Trainer Antonio Conte und die meisten Inter-Spieler dem Gegner bei der Siegerehrung den Applaus guter Verlierer spendeten. Bei dem großen Fest der Freudentränen, das die Spanier feierten, fehlte Lukaku aber niemandem.
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