Alles so schön grün hier
Das verfemte und als »schmutzig« geltende Klimagas Kohlendioxid ist ein begehrter Rohstoff
Das verfemte und als »schmutzig« geltende Klimagas Kohlendioxid ist ein begehrter Rohstoff. Angefangen haben die Algen. Sie brachten sich vor Milliarden Jahren bei, aus Kohlendioxid und Wasser mittels der Photosynthese Kohlenhydrate (und nebenbei Sauerstoff) herzustellen. Der Naturprozess ist von der Effizienz her unübertroffen. Er braucht nur Sonnenlicht.
Bis vor einigen Jahren interessierten sich Geschäftsleute nur dafür, was bei der Photosynthese rauskommt: Früchte, Stängel, Blätter, Holz – Biomasse eben. Der Wert des Kohlendioxids änderte sich, als die Erde nicht mehr wusste, wohin sie mit dem ganzen menschengemachten Abfallgas sollte und es in Form des Klimawandels als zivilisatorisches Problem zurückspielte. Und weil zu der Zeit gerade die freie Marktwirtschaft in den führenden Ländern des Planeten als das ökonomische Nonplusultra galt, wurde damit begonnen, das Kohlendioxid auf Börsenmärkten zu handeln.
Dahinter steht die bekannte Annahme, die unsichtbaren Hände des Marktes würden quasi automatisch dafür sorgen, dass möglichst viel Klimagas mit möglichst geringen Kosten beseitigt wird. Freie Märkte sorgen für eine optimale Allokation, also für die beste Effizienz, sagt die Theorie.
In der Praxis hielten und halten die vom Kohlendioxid-Handel betroffenen Wirtschaften davon allerdings nichts. Als zum Beispiel die Europäische Union ihren Emissionshandel startete, sorgten die jeweiligen Regierungen dafür, dass großzügig Millionen der handelbaren Emissionsberechtigungen kostenlos an fossile Kraftwerke und die energieintensive Industrie verteilt wurden. Belastungen, die ein echter grüner Kohlendioxid-Markt möglicherweise mit sich gebracht hätte, sollten unter allen Umständen verhindert werden.
Obwohl sie die Emissionsrechte geschenkt bekamen, besaßen diese für die findigen Unternehmen einen erheblichen Wert. Dieser bemaß sich daran, was das Recht, eine Tonne Kohlendioxid auszustoßen, an der Börse kostet – und so verkauften Firmen einen Teil der kostenlos erhaltenen Berechtigungen und strichen satte Gewinne ein. Das ist bis heute erlaubt.
Andere preisten die kostenlosen Emissionsrechte zum Wiederbeschaffungswert ganz legal in die Geschäftsbilanz ein, legten die fiktiven Kosten auf ihre Produkte um und ließen am Ende die Verbraucher über höhere Preise bezahlen. Mehr als 20 Milliarden Euro sogenannter Windfall-Profit wurden so gerade in den Anfangszeiten des Emissionshandels praktisch aus dem Nichts geschöpft. Wenn ein Naturstoff wie Kohlendioxid plötzlich marktfähig wird und einen Preis bekommt, bringt das eben jede Menge kreativer Geschäftsideen hervor. Einige davon materialisierten sich auch in den sogenannten Start-ups.
Eine der ersten Firmen, die das Kohlendioxid-Problem vom Standpunkt der grünen Pflanzen aus betrachtete, war eine Schweizer Firma namens Climeworks. Sie entwickelte ein Verfahren, Direct Air Capture (DAC) genannt, um das CO2, angetrieben von erneuerbarer Energie, direkt aus der Atmosphäre zu filtern. Zunächst wurde das abgesonderte CO2 an Chemiefirmen verkauft – da aber ist der Klimaeffekt gering, denn die Chemieprodukte werden verbraucht und der gespeicherte Kohlenstoff kommt früher oder später wieder frei, selbst wenn er in Plastemüll steckt. Auch Gewinne sind nicht in Sicht. Kohlendioxid ist auf dem Markt billig zu haben. Es fällt bei vielen Industrieprozessen nebenbei an. Das sehr aufwendige DAC hat auf dem Weg keine Chance, rentabel zu werden.
Vom Klimaschutz her interessant und wertig wird CO2 auch erst, wenn man es über lange Zeiträume aus der globalen Bilanz nimmt – also baute Climeworks eine ihrer DAC-Anlagen in Island auf und drückte dort mithilfe eines Geothermiekraftwerks das Klimagas in den Untergrund. Dort reagiert das Kohlendioxid mit dem Gestein zu einem Karbonat – und ist für einen geologischen Zeitraum weg.
Gut, das lässt sich als echter Klimaschutz verkaufen – die Frage ist nur, wie macht man daraus ein lukratives Geschäft? Rechnen könnte sich das, wenn eine solche Kohlendioxid-Beseitigungsfirma ihren Kunden Emissionsrechte anbieten könnte: Also Firma A gibt der CO2-Firma den Auftrag, so und so viel Treibhausgas zu »entsorgen«, und dafür erhält Firma A dann so und so viele Emissionsrechte.
Die schön grüne Geschäftsidee hat einen Haken: Sie würde sich wegen der immer noch hohen Kosten von DAC und unterirdischer Verpressung vermutlich erst ab Zertifikatpreisen jenseits der 100 Euro lohnen. Bei solchen Preisen werden aber sogar die CO2-Verschmutzer nachdenklich: Für das Geld könnten sie auch auf grünen Wasserstoff umsteigen (wofür es satte Staatszuschüsse gibt) oder sie stellen ihre Technologie so auf Klimaneutral um, dass das Entsorgungsproblem erst gar nicht entsteht. Im Ergebnis könnte es dazu kommen, dass eine CO2-Beseitungstechnologie erst ab einem so hohen Preis wirtschaftlich wird, dass es für diese dann keinen ausreichenden Bedarf mehr gibt, um sie, wie es im Ökonomiedeutsch heißt, zu skalieren und wettbewerbsfähig zu machen. Manche Experten sagen schon voraus, dass bei solch hohen Emissionspreisen der Rohstoff Kohlendioxid zu einem Knappheitsprodukt werden kann – eine aus heutiger Sicht nahezu utopische, aber doch nicht völlig unmögliche Entwicklung.
Es gibt bereits Wege, einen grünen Kapitalismus zu schaffen – wenn er denn aber wirklich grün, also in jeder Hinsicht nachhaltig ist, dann wird es aller Voraussicht nach nicht mehr jener Kapitalismus sein, den wir heute kennen.
Deswegen haben Unternehmen und Politik oft ihren Horror davor, den Dingen über einen grünen Marktpreis einfach so den Lauf zu lassen. Ein schönes Beispiel, was da herauskommt, ist bei dem ab 2021 geltenden nationalen deutschen CO2-Handel zu besichtigen.
Offiziell werden mit dem sogenannten Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) handelbare Emissionsrechte für die Unternehmen geschaffen, die in Deutschland noch mit Kohle, Gas und Öl unterwegs sind und deren Geschäfte nicht vom Europäischen Emissionshandel erfasst sind. Angenommen, die Regierung legte einfach eine maximale Menge an Kohlendioxid fest, die emittiert werden darf – deckelte das Budget also einfach und sagte den Unternehmen: Nun seht mal zu, wie ihr zurechtkommt. Dann würden, der reinen Marktlogik folgend, zuerst die Emissionen eingespart werden, bei denen die Kosten am geringsten sind.
Diese sogenannten CO2-Vermeidungskosten sind aber im Verkehr und im Gebäudebereich höher als in der Industrie oder im Energiesektor – das hätte marktwirtschaftlich wiederum zur Folge, dass zuerst bei der Industrie Emissionen gespart würden, im Verkehr und bei Gebäuden würde wie schon seit Jahrzehnten so gut wie nichts passieren. Da ergibt der Markt klimapolitisch keinen Sinn.
Und wie löst die Politik das Problem? Sie gibt einen Kohlendioxid-Festpreis vor.
Das widerspricht natürlich der Idee eines »freien« Handels und der marktwirtschaftlichen Allokation. Rein aus der Markt-Ideologie heraus hält die Politik jedoch an der Hülle »Handel« fest, füllt aber eine verbrämte Steuer hinein. Der Markt ist tot, es lebe der Markt.
Auf solche Spitzfindigkeiten lässt sich die Europäische Union bei ihrem Green Deal nicht ein. Ihr Plan, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen, beruht weitgehend auf einem klassischen Konjunkturprogramm, in dem Lobbyinteressen mit Geld zugekleistert werden.
So soll der Aufbau einer Wasserstoffindustrie, die praktisch die Industrie mit fossilen Rohstoffen ablöst, bis 2030 mit 24 bis 42 Milliarden Euro gefördert werden. Und damit die Hersteller des grünen Wasserstoffs auch genügend Ökostrom bekommen, sollen noch weitere 220 bis 340 Milliarden Euro in Photovoltaik und Windenergie fließen.
Und natürlich bekommen auch die alten Fossilen ihre Interessen bedient: So sollen bestehende Anlagen, die aus Erdgas Wasserstoff gewinnen, mit einer Kohlenstoffabscheidung und -speicherung nachgerüstet werden. Das kostet noch mal extra 11 Milliarden Euro.
Auch die alte und vom Climeworks modernisierte Idee, das abgeschiedene Kohlendioxid in den Untergrund zu verfrachten, erlebt nun ihre großtechnische Umsetzung. Nach dem Willen der EU soll Klimagas in leere Gas- und Ölfelder unter der Nordsee gepumpt werden.
In der nunmehr entstehenden Cleantech-Branche werden Start-ups wie Climeworks zu einer Fußnote der technologischen Geschichte. Das große Geschäft machen vor allem die alten Player, die ihre jetzt noch sprudelnden fossilen Gewinne und die Staatsmilliarden nutzen, um die Ökobranche aufzurollen.
Um das CO2-Problem zu lösen, könnte man natürlich auch auf die Photosynthese zurückkommen und jede Menge großer grüner Pflanzen, also Milliarden von ihnen, in Form von Wäldern aussähen. Das würde ein bisschen Aufwand und Arbeit kosten, aber verglichen mit den technischen Lösungen erledigten die Wälder die CO2-Entzugsarbeit dann weitgehend kostenlos.
Die bestechend einfache Idee, für die sich weltweit Klima- und Umweltschützer einsetzen, hat marktwirtschaftlich gesehen ein Riesenproblem: Die Wälder müssten, damit das gespeicherte CO2 erst mal nicht wieder freigesetzt wird, möglichst lange möglichst unberührt bleiben – und zwar auf Jahrhunderte. Und am besten vermooren sie am Ende, bilden Torf und irgendwann wieder jene fossile Kohle, die in den letzten hundertfünfzig Jahren so leichtsinnig verbrannt wurde.
Wälder, die einfach nur so herumstehen und nicht verwertet werden, wo nur das entnommen wird, was die Natur freiwillig hergibt, die also, modern gesprochen, wirklich nachhaltig genutzt werden? Alles so schön grün hier – aber wie soll man damit Geld machen? Was soll das? Wo bleiben Kapital, Markt, Preis und Gewinn?
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.