Keine Abgrenzung nach rechtsaußen

In den lokalen Gruppen von »Querdenken« bleiben verschwörungsideologische Inhalte unwidersprochen

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

»Das Volk wird sie alle zur Rechenschaft ziehen und alle ihre Verbrechen aufdecken«, schreibt ein Nutzer der Telegram-Gruppe »Querdenken Duisburg«. Ein anderer erklärt: »Wir gehen nach Berlin komme was wolle. Vergesst nicht sie werden alles versuchen es aufzuhalten. Aber wir spielen nicht mehr mit game over« [sic]. So und ähnlich lauten Dutzende Reaktionen auf das Verbot einer für Samstag in Berlin geplanten Demonstration gegen die Anti-Corona-Maßnahmen von Bund und Ländern. Obwohl unklar ist, wie Gerichte das vom Berliner Senat verfügte Verbot beurteilen, geht die Mobilisierung weiter. Anhänger der verschwörungslastigen Bewegung »Querdenken« nutzen dafür vor allem den Chatdienst Telegram.

Besonders konspirativ geht die Bewegung nicht vor. Insgesamt 39 regionale Gruppen listet »Querdenken 711«, so etwas wie die Mutterorganisation der Bewegung, auf ihrer Website auf. Die Ziffern stehen für die Vorwahl von Stuttgart, entsprechend bezeichnen sich auch die meisten bundesweiten Ableger wie etwa »Querdenken 69« in Frankfurt am Main. In den Chats tummeln sich teilweise mehr als tausend Personen, mitlesen kann allerdings jeder, auch ohne der Gruppe beizutreten. Offiziell sind die Kanäle vor allem dazu gedacht, Proteste gegen die Corona-Maßnahmen zu organisieren.

Allerdings werden von Nutzern auch immer wieder esoterische und andere klar verschwörungsideologische Inhalte verteilt, etwa Videos und Beiträge zu der Behauptung, der neue Mobilfunkstandard G5 sei für allerlei Krankheiten verantwortlich. Thema ist auch immer wieder eine angebliche Verschwörung geheimer Eliten und Behauptungen sogenannter Reichsbürger, die Bundesrepublik würde nicht existieren. Postet jemand solche Inhalte, gibt es nur äußerst selten Widerspruch.

Mehrheitlich drehen sich die Gruppenchats jedoch um Corona und die damit verbundenen Schutzmaßnahmen, die einhellig mindestens als völlig übertrieben abgetan werden. Man tauscht sich ebenso darüber aus, welche Ärzte freigiebig bei der Erteilung von Attesten zur Befreiung vom Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes sind, wie über die Frage, warum Coronatests angeblich nichts bringen. Auf seiner Website stellt »Querdenken 711« Vorlagen für Strafanzeigen gegen Schulen und Kitas zur Verfügung, die sich nicht nur gegen die Maskenpflicht, sondern auch Maßnahmen wie Fiebermessen und das Desinfizieren der Hände richten.

Geteilt wird über die Chatgruppen alles, was die eigene Weltsicht stützt, Inhalte der in der Szene mehrheitlich als Mainstreampresse verachteten Medien wie »Spiegel« und »Süddeutsche« stehen einträchtig neben rechtsoffenen oder extrem rechten Inhalten, bis hin zu Beiträgen der AfD. Beliebt sind auch Beiträge des früheren RBB-Journalisten Ken Jebsen, der Blog »Tichys Einblick« des Publizisten Roland Tichy oder der rechten Wochenzeitung »Junge Freiheit«. Zur Motivation wird auch schon mal ein Lied des Reichsbürger-nahen Sängers Xavier Naidoo verbreitet.

Eine klare Abgrenzung gegenüber rechtsextremen Gruppen, die ebenfalls für Samstag zu Protesten in Berlin aufrufen, findet in den Gruppen nicht statt. Da auf vielen Kanälen der »Querdenken«-Regionalgruppen die Äußerung von Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang verbreitet wird, Rechtsextremen sei es nicht gelungen, die »Hoheit über das Demonstrationsgeschehen zu bekommen«, ist die Problematik allerdings bekannt.

Wie notwendig solch eine Abgrenzung jedoch wäre, zeigt die Entwicklung der letzten Tage. Bis weit hinein ins harte Neonazispektrum wird nach Berlin mobilisiert, explizit auch zur derzeit verbotenen »Querdenken«-Demonstration. Die Nazikleinstpartei »Der III. Weg« kündigt nicht nur an, dass Mitglieder mitmarschieren wollen, sondern zudem einen Liveticker über die Geschehnisse. Auch der frühere NPD-Europaageordnete Udo Voigt ruft dazu auf, in die Hauptstadt zu fahren. Schließlich könne es niemandem verboten werden, als Tourist nach Berlin zu kommen. Die AfD ihrerseits versucht, besonders mit Kritik am Demonstrationsverbot zu punkten.

Dass diese Gemengelage gefährlich ist, davor warnt die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU). Aufgrund einer Analyse von Social-Media-Diskussionen geht die Gewerkschaft »von einer erheblichen Radikalisierung der Teilnehmer der Demonstrationen aus«.

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