»Es geht nicht immer nur um satt und sauber«

Unter großem Druck hat Manuela Fritsche in einer Altenpflegeinrichtung einen Betriebsrat gegründet. Einiges wurde besser – gut wurde es nicht. Fritsche hört jetzt auf

  • Inga Dreyer
  • Lesedauer: 7 Min.

Warum haben Sie im Altenpflegebetrieb, in dem Sie bis vor Kurzem gearbeitet haben, einen Betriebsrat gegründet?

Damit die Willkür der Führungskräfte aufhört. Ich war vorher jahrelang als Wohnbereichsleitung im Betrieb. In dieser Position denkt man, dass man für seine Mitarbeiter kämpfen kann. Aber das geht überhaupt nicht. Ich war kurz davor, zu kündigen. Als Betriebsratsmitglied hatte ich dann andere Stellschrauben. Wir konnten mitbestimmen, was Kündigungen, Urlaub oder Dienstpläne betraf. Früher war das Ermessenssache der Führungskräfte, dann mussten sie uns einbeziehen. Am Anfang war das noch holprig, aber später klappte das gut.

Wie kam es zur Idee der Gründung?

Unser Hausmeister hatte Kontakt zu Verdi - und zum Betriebsrat vom Rettungsdienst, der an unseren Betrieb angeschlossen ist. Die Kollegen hatten drei oder vier Jahre vorher einen Betriebsrat gegründet und gute Erfahrungen gemacht. Unser Hausmeister wusste, dass ich rebellisch bin und auch mal den Mund aufmache. Deshalb hat er mich gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte. Ich fand das super, denn die Idee hatte ich auch schon länger im Kopf.

Warum gibt es in der Pflege nur so wenige Betriebsräte?

Ich habe das bei meinem vorherigen Arbeitgeber mitbekommen. Da wollte jemand einen Betriebsrat gründen und hat das Thema bei einer Personalversammlung offensiv angesprochen. Er hat sofort seine Kündigung bekommen. Sobald du nur das Wort in den Mund nimmst, wirst du unter Druck gesetzt. Ein Betriebsrat ist unbequem. Durch die ganzen Schulungen kostet der auch noch Geld. Das will nicht jeder Arbeitgeber bezahlen.

Also sollte man bei den Vorbereitungen vorsichtig sein?

Man sollte es niemals alleine machen, sondern immer mit einer Gewerkschaft zusammen. Das läuft ganz anders, als wenn man allein auf weiter Flur steht. Das hat man auch bei uns gemerkt. Wir haben bei allen Fragen Unterstützung von Verdi bekommen.

Gab es trotzdem Probleme?

Unsere Geschäftsleitung hat natürlich mitbekommen, dass eine Info-Veranstaltung stattfand, obwohl sie nicht bei uns im Haus war. Da hat sie auch ihre Spione hingeschickt. Unter denen, die sich für den Wahlvorstand aufstellen lassen haben, waren viele dabei, die ein recht gutes Verhältnis zur Geschäftsführung hatten. Nach der Veranstaltung wurde extrem viel Druck aufgebaut. Es wurden sogar Freundschaften gekündigt.

Es geht also auch um persönliche Kränkungen. Wie kann man damit umgehen?

Schwierig. Man muss es einfach aushalten. Einige, die es getroffen hat, wollten sich nicht für den Betriebsrat aufstellen lassen, weil sie das nicht durchstehen konnten. Ich hatte vorher noch nie eine Abmahnung bekommen. Plötzlich kamen gleich mehrere. Das war total lächerlich. Aber ich habe mich nicht unter Druck setzen lassen.

Sie sagen, Sie seien rebellisch. Woher kommt Ihre Energie?

Ich glaube, das ist meine Natur. Ich hatte schon als Kind einen großen Gerechtigkeitssinn - gerade, was Schwächere betrifft. Das hat sich auch in meiner Arbeit herauskristallisiert. Die Mitarbeiter haben mich als Wohnbereichsleitung gemocht und respektiert. Ich wollte es den Kollegen recht machen, aber musste auch die Vorgaben von oben umsetzen. Das war schwierig.

Typische Sandwich-Position: Gleichzeitig Druck von oben und von unten?

Ja. Früher dachte ich, ich werde Wohnbereichsleitung und dann irgendwann Pflegedienstleitung, vielleicht auch mal Einrichtungsleitung. Nachdem ich aber gemerkt habe, dass man in Leitungspositionen ein Arschloch sein muss, dachte ich: Das ist nicht meins. Ich möchte Mitarbeiter nicht in ihre Freizeit hineinpfuschen und sie in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinflussen. Ich konnte mir selbst nicht mehr in die Augen gucken. Deshalb habe ich die Stelle abgegeben.

Was müsste sich in der Pflege ändern?

Puh, schwierig. Ein Grund für den Pflegenotstand sind die Ausbildungsbedingungen. Es gibt motivierte Leute, aber die werden ziemlich schnell ernüchtert. Sie haben etwa sechs Wochen Schule, kommen dann in die Einsätze, und werden quasi alleine gelassen. Sie bekommen vielleicht eine Einarbeitung von ein oder zwei Tagen, dann müssen sie Verantwortung für bis zu zehn Menschen übernehmen. Es geht teilweise um 18-Jährige, die direkt von der Schule kommen. Viele brechen ab. Sie sind einfach überfordert und wissen nicht mehr, wo oben und unten ist.

Warum haben Sie sich für die Altenpflege entschieden?

Das war damals mehr oder weniger Zufall. Ich war 17 und kam frisch aus Thüringen nach Frankfurt. Ich wollte eigentlich zur Polizei gehen, hatte mich beworben, aber war zu klein. Dann dachte ich: Oh Gott, was mache ich jetzt? In der Zeitung habe ich von der Möglichkeit gelesen, ein Freiwilliges Soziales Jahr zu machen. Ich war relativ spät dran, und so war nur noch im Altenpflegeheim etwas frei. Ich wusste nicht, ob das etwas für mich ist. Dann habe ich es einfach ausprobiert. Nach drei Tagen war klar: Das ist genau meins. Ich kam super mit den alten Leuten zurecht und habe nach dem Jahr meine dreijährige Ausbildung begonnen.

Oft wird über die Probleme geredet. Was sind denn die schönen Seiten?

Wenn man mit einem Bewohner arbeitet und merkt: Ihm geht es gut. Das kann jemand sein, der nur noch wenig kann, vielleicht schon sehr müde ist, und Angst hat, Wünsche zu äußern. Man hat öfter Bewohner, die sagen: Ich will Ihnen nicht zur Last fallen. Wenn man denen einen schönen Moment verschaffen kann, ist das toll. Es geht nicht immer nur um satt und sauber. Es geht um die kleinen Dinge. Pflege macht nicht aus, dass ich jemanden von oben bis unten gewaschen habe - oder dass er auf Teufel komm raus einen ganzen Teller leer gegessen hat.

Kann man unter den Bedingungen, die Sie schildern, solche Momente schaffen?

Das ist der Grund, weshalb ich aus der Altenpflege rausgehe. Egal, wie man sich dreht und wendet: Man kann es nicht mehr schaffen.

Was haben Sie stattdessen vor?

Ich gehe ins Hospiz. Da herrscht ein anderer Personalschlüssel. Den Bewohnern werden Wünsche erfüllt, die wären in der Altenpflege gar nicht möglich. Es ist zum Beispiel grausam, was den Bewohnern in der Altenpflege an Essen angeboten wird. Das ist das Billigste vom Billigsten.

Aber es ist auch eine Arbeit, die viel Kraft erfordert. Haben Sie Respekt davor?

Auf jeden Fall. Ich glaube, es wird nicht einfach, weil die Krankheitsbilder teilweise sehr heftig sein werden, gerade was Krebs angeht. Aber wenn man die letzten Momente so schön wie möglich gestalten kann, ist das ein anderes Gefühl als in der Altenpflege, wo Palliativpatienten alleine gelassen werden, weil niemand Zeit hat.

Während der Coronakrise wurde viel über die Pflege geredet. Glauben Sie, das hilft?

Meine Hoffnung ist, dass man aufwacht. Die Bezahlung muss attraktiver werden. Die meisten Krankenhäuser haben Tarifverträge, aber in den Pflegeeinrichtungen wird häufig an den Lohnuntergrenzen gearbeitet. Da sind wir mit den Gewerkschaften dran. Aber Geld ist nicht alles. Es braucht einen besseren Personalschlüssel.

Was hat sich geändert, nachdem Sie den Betriebsrat gegründet hatten?

Wir haben den Tarifvertrag vorangetrieben, der seit dem ersten Juni gilt. Das hat enorme Kraft gekostet. Wir mussten sogar streiken. Jetzt sind die Dienstpläne nicht mehr willkürlich. Wir achten darauf, dass Arbeitszeiten und Ruhezeiten eingehalten werden. Auch bei Kündigungen muss der Betriebsrat angehört werden.

Ein Tag Streik hat gereicht?

Ja, das war ein tolles Erlebnis. Wir wussten vorher nicht, wer kommt. Aber es hat ein Zeichen gesetzt. Das hat ausgereicht. Wir haben auch die Presse mobilisiert. Dann ist die Politik aufgeschreckt und hat gefragt: Was ist denn bei euch los?

Hat sich die Leitungsebene inzwischen mit dem Betriebsrat arrangiert?

Ja, man merkt, dass die Zusammenarbeiten gut ist. Eigentlich schade, dass ich gerade jetzt gehe, wo es so gut läuft. Das sagt auch meine Chefin.

Interview: Inga Dreyer

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