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Nichts wie raus hier, aber wohin?
Unterstützt von 800 Komparsen besteht der BER die große Brandschutzübung.
Es ist 10.40 Uhr, als schrille Warnsignale das Gemurmel der auf dem Bahnsteig 3-4 des Flughafenbahnhofs Wartenden beenden. Hinter ihren Corona-Schutzmasken lassen viele Erstaunen, ja Belustigung erkennen, als eine Bahn-Ansagerin mit viel Pathos in der Stimme über die Laufsprecher erklärt: »Achtung, Achtung! Es besteht Feueralarm! Verlassen Sie sofort den Bahnhof durch den nächstgelegen Ausgang. Unterstützen Sie andere hilfsbedürftige Personen und folgen Sie den Anweisungen des Personals!«
Die dicht gedrängt stehenden Menschen in ihren grünen Warnwesten mit dem Aufdruck »ORAT Flughafen-Tester« erleben binnen weniger Minuten den zweiten Anlauf zu einem Übungsszenario, das von der Annahme eines brennenden Zuges ausgeht. Viele der Teilnehmer sind dafür mit alten Rollkoffern ausstaffiert worden, manche führen Kinderwagen mit Baby-Puppen darin mit sich. Auch Rollstuhlfahrer sind auszumachen. Als eine dünne Nebelwolke über Gleise und Bahnsteige wabert, kommt Heiterkeit auf. »Fehlt nur noch, dass die Sprinkler-Anlage anspringt«, spottet einer im Vorbeigehen. Sprinkler? Waren die nicht auch ein Dauerthema am langjährigen Pannenairport BER?
Ohne Hast verlässt der grünbewestete Strom über Treppen und markierte Fluchtwege den Bahnhof und schließlich auch das Terminalgebäude des künftigen Hauptstadtflughafens. Es geht in Richtung »Flughafen City«, wie dem Wegeleitsystem zu entnehmen ist. Auf dem weiten Vorplatz unterhalb der Flughafenvorfahrt bilden sich große Menschentrauben unter Schleppdächern, denn es hat zu regnen begonnen. Die Leute, die aus dem Bahnhof kommen, gehören zum »Team Rot«. Sie mischen sich dort mit jenen vom »Team Schwarz«, dessen Szenario die geordnete Räumung des Terminalgebäudes wegen eines vermeintlichen Feuers in der »Verteilerebene U1« vorgab. Sie alle wissen nun weder wohin, noch wie und wann weiter. Fest steht, dass im Tagesverlauf noch weitere Übungsdurchläufe folgen sollen. Es dauert ein wenig, bis die Organisatoren und ihre unermüdlichen Helfer das Heft des Handelns wieder in die Hände bekommen und mit der einen oder anderen Lautsprecherdurchsage schließlich zu den Testern durchdringen.
»Die haben was von Sammelpunkten gesagt, aber wo soll das sein?« Jürgen Schiemann, ein Mittsechziger im Ruhestand, der für die BVG unter anderem die Bushaltestellen am neuen Flughafen konzipiert hat, kennt sich eigentlich aus. Schließlich macht er auf einer Betonsäule die Aufschrift »SP WBP Süd« aus. Und den Einsatzwagen mit Blaulicht daneben. Man braucht ein bisschen, bis man den Code geknackt hat, findet er: »Sammelpunkt Willy-Brandt-Platz Süd«. Und gewiss würde eine Signalleuchte auf dem meterhohen Klotz für deutlich mehr Aufmerksamkeit sorgen.
Irritation gibt es offenbar auch bei den Rolli-Fahrern. Gerald Scholl, einer von ihnen, hat sich »aus Neugier« kurzfristig als Komparse registrieren lassen. »Ich bin so eine Art Überraschungsgast, die meisten wissen nichts von mir«, sagt der 40-jährige Charlottenburger. Er hat nach dem Alarm auf dem Bahnsteig den SOS-Knopf für Hilfsbedürftige betätigt, doch niemand hat ihn abgeholt. Genau das wäre Aufgabe des Mobility-Teams gewesen. Er sei eigentlich nicht der Typ, der gern um Hilfe bitte. »Vier Jungs, auch Teilnehmer, haben mich dann einfach hochgetragen«, sagt Scholl. »Die Zivilcourage hat jedenfalls super funktioniert, die hat mich quasi gerettet.«
Es sind die kleinen Defizite, die die Komparsen bei solchen Gelegenheiten noch rechtzeitig aufdecken, um sie vor der Inbetriebnahme des BER abstellen zu können.
Insgesamt 800 der freiwilligen Tester hatten sich trotz der strengen Corona-Auflagen für die große Evakuierungsübung »Hot Quarter 2020« am BER gemeldet. Beim Briefing war ihnen mitgeteilt worden, dass alle Flughäfen derartige Übungen nach international gültigen Richtlinien alle zwei Jahre absolvieren müssen. Die Flughafengesellschaft FBB und die Deutsche Bahn (DB) werteten die gemeinsam durchgeführte Brandschutz- und Räumungsübung als Erfolg. Worum es dabei konkret ging, haben die meisten Komparsen gar nicht recht mitbekommen: So musste die Flughafenfeuerwehr beweisen, dass sie im Tunnel mit einem wirksamen Löschangriff innerhalb von 15 Minuten ab Alarmierung tatsächlich beginnen kann. Weitere Übungsziele waren die Räumung der kritischen Bereiche sowie die Rettung von mobilitätseingeschränkten Personen, der Aufbau einer Einsatzleitung vor Ort und die Überprüfung der Alarmierungsketten und -wege, wie Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup nach Abschluss der Übung erläuterte.
Vielen der freiwilligen Tester war an diesem Tag das Gesamtpaket wichtig, zu dem die von der DB angebotene Anreise im Sonderzug zum neuen Flughafen zählte. Planmäßig hatte der rote Doppelstockzug um 7.30 Uhr den Bahnhof Berlin-Lichtenberg verlassen sollen. Es hat zehn Minuten länger gedauert, und ein technischer Defekt an einer Schranke hat unterwegs weitere Zeit gekostet. »He Leute, es ist die Deutsche Bahn«, hieß es dazu im Abteil nur. Ist es denn möglich, dass die Kunden schon vergessen, dass der neue Hauptstadtflughafen schon seit 2011 überfällig ist? Da ist es schon ein kleiner Triumph, dass knapp zwei Monate vor der BER-Eröffnung nun erstmals ein vollbesetzter Personenzug in den Bahnhof »Flughaben Berlin Brandenburg Willy Brandt« eingefahren ist.
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