Immobilienlobby greift Milieuschutz an
Auftragsstudie soll Gutachten zur Ausweisung sozialer Erhaltungsgebiete diskreditieren
Mit einer neuen Auftragsstudie versucht die Immobilienlobby Belege für unwissenschaftliches Arbeiten bei Gutachten für die Einrichtung von Milieuschutzgebieten zu finden. »Wir gehen davon aus, dass die bereits ausgewiesenen Milieuschutzgebiete vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse noch mal auf den Prüfstand gestellt werden«, erklärt Jacopo Mingazzini. Sein »Verein zur Förderung von Wohneigentum in Berlin e. V.« hat sie Studie beim Institut Empirica bestellt.
Immobilienforscher Harald Simons moniert in dem Werk beispielsweise, esgebe einen »undurchdringlichen Dschungel an Argumentationsketten« an den 51 untersuchten Studien aus Berlin und Hamburg. Dass Denkmalschutz unter Umständen »Aufwertungspotenziale relativiert, wird nur in sehr wenigen Gutachten anerkannt«, kritisiert er.
»Überraschenderweise« werde unterstellt, dass bei sämtlichen Wohnungen von Privateigentümern ein starkes Aufwertungspotenzial, bei kommunalen oder genossenschaftlichen Wohnungsunternehmen aber nur ein geringes Aufwertungspotenzial bestehe. »Fraglich« sei, ob Aufteilungen von Mietshäusern in Eigentum »überhaupt auf einen Aufwertungsdruck hinweisen«. Denn, so Simons: »In aller Regel werden daher umgewandelte Wohnungen nicht von Selbstnutzern erworben, sondern von (Klein-)Kapitalanlegern, sodass sich das Angebot an Mietwohnungen durch die Umwandlung nicht ändert.«
»Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Milieuschutz-Gutachten in Berlin und Hamburg wenig tatsächliche Aussagekraft haben und hier bisher eine tragfähige wissenschaftliche Grundlage fehlt«, behauptet Jacopo Mingazzini. Es stelle sich die Frage, »ob nicht jedes Gebiet zum Beispiel in Berlin potenziell unter Milieuschutz gestellt werden könnte«, erklärt er. Tatsächlich fällt viel von der Kritik beim genauen Lesen des Werks von Harald Simons bis auf kleinere mögliche Unsauberkeiten in sich zusammen.
»Das in Milieuschutzgebieten geltende Umwandlungsverbot stört natürlich das Geschäftsmodell von Accentro«, sagt die Linke-Wohnungsmarktexpertin Gaby Gottwald zu »nd«. Bis März war Mingazzini Vorstand des Unternehmens, das Mietshäuser kauft, sie luxussaniert, in Eigentum aufteilt und die in Wohnungen anschließend für Preise bis zu einer Million Euro verkauft. Nach einer Pause von zwei Jahren soll Mingazzini wieder als Aufsichtsratsvorsitzender zur Accentro Real Estate AG zurückkehren, heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens.
In den inzwischen rund 60 Berliner Gebieten mit sogenannten sozialen Erhaltungssatzungen dürfen Häuser nur aufgeteilt werden, wenn die Wohnungen für sieben Jahre ausschließlich an die Mieter verkauft werden. Weitere fünf Jahre sind die Bewohner vor Eigenbedarfskündigungen geschützt. Mieter zahlreicher Accentro-Immobilien beklagen Leerstände und teure Modernisierungen, so aus den Häusern Torstraße 225/227 in Mitte oder Johanniterstraße 3-6 in Kreuzberg. Im ebenfalls in Kreuzberg gelegenen Ensemble Riehmers Hofgarten hat sich der Konzern Genehmigungen für Luxussanierungen kurz vor Ausweisung als Milieuschutzgebiet besorgt.
Als Geschäftsführer des Wohnungsprivatisierers Accentro gründet Mingazzini 2017 den Verein zur Förderung von Wohneigentum. »Also zur Förderung seines Unternehmenszwecks«, sagt Gaby Gottwald. »Man könnte auch sagen, die Immowirtschaft gründet einen Verein zur freien Fahrt für sie. Dass dieser auch noch steuerbegünstigt ist, ist skandalös«, findet die Linke-Abgeordnete. Eine Kleine Anfrage an die Senatsfinanzverwaltung zu dem Thema, die Gottwald gestellt hatte, blieb mit Verweis auf das Steuergeheimnis bis auf ein paar allgemeine Aussagen unbeantwortet.
»Die Verquickung von Geschäftsinteressen eines brachialen Umwandlers mit der steuerbegünstigten Gemeinnützigkeit eines Vereins und einer Auftragsstudie, die gewünschte Belege am Hauptstandort des Umwandlers liefert, ist augenscheinlich und schamlos«, so Gottwald.
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