Klöckner mag keine Kontrollen

Verbände kritisieren Pläne für weniger Überprüfungen von Lebensmittelbetrieben

  • Rainer Balcerowiak
  • Lesedauer: 3 Min.

In Deutschland vergeht kein Jahr ohne gravierende Lebensmittelskandale, bei denen stets auch Defizite der Kontrollbehörden deutlich werden. Doch das hindert Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) nicht daran, jetzt im Eiltempo eine »Reform« durchpeitschen zu wollen, mit der die Lebensmittelkontrolle noch weiter zurückgefahren wird. Am Freitag forderten die Verbraucherorganisation Foodwatch, der Bundesverbandes der beamteten Tierärzte (BbT) und der Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure Deutschlands (BVLK) gemeinsam von den Bundesländern, dieses Vorhaben zu stoppen. Über die Reform soll bereits am 18. September ohne Beteiligung des Bundestags im Bundesrat abgestimmt werden. Das ist möglich, da es sich nicht um ein Gesetz, sondern um eine Verwaltungsvorschrift handelt.

Ein Dorn im Auge ist den Verbänden besonders die drastische Verringerung der nicht anlassbezogenen Plankontrollen in Betrieben mit besonders hohem Risikopotenzial wie etwa Fleischereien und Imbissbuden. Die Risikoklasse 1, bei eigentlich der tägliche bis wöchentliche Kontrollen vorgesehen sind, entfällt komplett, das kürzeste Kontrollintervall beträgt jetzt eine Woche. Alle anderen Betriebe rutschen in der Skala jeweils eine Risikoklasse nach unten, etwa von wöchentlicher auf monatliche Kontrolle. Die Folgen machte Foodwatch-Geschäftsführer Martin Rücker am Beispiel des inzwischen insolventen Wurstfabrikanten Wilke deutlich, der für mehrere Todes- und viele Krankheitsfälle aufgrund keimbelasteter Wurst verantwortlich gemacht wird. Dieser Betrieb müsste nach den künftigen Regeln nur noch vierteljährlich statt monatlich kontrolliert werden.

Der Ministerin warf Rücker »schmutzige Taschenspielertricks« und »die Verbreitung von Fake News« vor. Denn Klöckner rechtfertigt ihren Entwurf damit, dass im Gegenzug zur Reduzierung der Regelkontrollen die anlassbezogenen Kontrollen ausgeweitet werden sollen, etwa nach Meldungen von Verbrauchern oder bei »Problembetrieben«. Das, so Rücker, sei eine »reine Luftnummer«, da es dafür in dem Entwurf keinerlei Vorgaben gibt. In der Praxis werde es deutlich weniger Kontrollen geben, zumal die Ämter ohnehin stark unterbesetzt sind und sich auf die Pflichtkontrollen beschränken werden, deren Turnus sie bislang nicht einhalten können.

Das befürchtet auch BbT-Präsident Holger Vogel. Gerade in Problembetrieben, wie zum Beispiel Imbissen, sei das Herunterfahren der Regelkontrollen nicht zu verantworten. Denn dort gehe es vor allem um Beratung und Prävention, da es den Betreibern und dem Personal oftmals an elementaren Kenntnissen und Fertigkeiten in Bezug auf Lebensmittelsicherheit mangele.

Eine Reform der Lebensmittelkontrolle, die diesen Namen wirklich verdient, müsste laut den drei Verbänden ganz andere Schwerpunkte setzen. So fehlt es an einem verbindlichen Personalschlüssel für die jeweiligen Behörden, die sich in der Zuständigkeit der Länder oder Kommunen befinden. Für die Haushälter sei die Lebensmittelkontrolle oftmals ein willkommenes Potenzial für Sparmaßnahmen, so Rücker. Mit der Folge, dass schon jetzt fast jede dritte, eigentlich vorgeschriebene Kontrolle nicht stattfinde. Foodwatch fordert daher ein Verbandsklagerecht für Verbraucherverbände in Fragen der Lebensmittelkontrolle, um die nach EU-Recht verbindlichen Kontrollstandards durchsetzen zu können

Der stellvertretende BVLK-Vorsitzende Maik Maschke plädierte ferner für eine umfassende Weiterentwicklung der Aus- und Fortbildung der Kontrolleure. Diese müsse vor allem an die neuen Gegebenheiten einer globalisierten Lebensmittelproduktion und -distribution angepasst werden.

Allerdings ist derzeit nicht zu erwarten, dass der Entwurf im Bundesrat tatsächlich noch gekippt wird. Denn die zahlreichen Lebensmittelskandale haben stets auch die Kumpanei von Behörden bis hin zu Ministerien mit großen Akteuren der Branche offenbart. Und so wird es noch vieler, beharrlicher Proteste bedürfen, bis die deutsche Lebensmittelkontrolle ein Niveau erreicht hat, wie es etwa in den skandinavischen Ländern längst Standard ist.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -