Kiez-Hebammen sollen raus

Das Geburtshaus Maja steht sinnbildlich für Verdrängung von Gewerbemietern

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 3 Min.
Sabrina Feldmann (l.) und Susanne Grünhagen arbeiten im bedrohten Geburtshaus
Sabrina Feldmann (l.) und Susanne Grünhagen arbeiten im bedrohten Geburtshaus

Susanne Grünhagen ist sich sicher: »So ein großes Unternehmen schaut natürlich nicht auf die privaten Menschen, die von seinem Profitinteresse beeinflusst werden«, sagt die 52-Jährige am Montagmorgen zu »nd«. Die Mitbegründerin des Geburtshaus Maja am Arnimplatz weiß seit März dieses Jahres, dass der Ort, an dem sie seit fast 30 Jahren Frauen und Familien vor und bei der Geburt und den ersten Lebenswochen betreut, ab 2021 so nicht mehr bestehen soll - nach derzeitigem Stand.

»Wir sind entschlossen und wir vernetzen uns«, erklärt Grünhagen, deren gesamte Existenz auf dem Spiel steht. Gleich nach der Nachricht vom Verkauf des Hauses habe man herausfinden können, dass der Antrag auf Negativzeugnis und Kaufvertrag bereits im November 2019 dem Bezirksamt Pankow vorlag. Der Bezirk teilt aber erst auf Nachfrage von Mieter*innen mit, dass aufgrund von personellen Engpässen damals die Prüfung einer möglichen Ausübung des Vorkaufsrechts nicht realisiert werden konnte. Auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen habe keine Amtshilfe leisten können.

»Ob es nun am Personalmangel liegt oder am Nicht-Handeln: Mieterschutz gibt es so nicht«, sagt Grünhagen. »Aber dann ist die Ausschreibung zum Milieuschutzgebiet eine Farce«, meint die Geburtshelferin kopfschüttelnd. Am Montagnachmittag wird sie zusammen mit einer ihrer Kolleginnen des achtköpfigen Hebammenteams in Verhandlungen über eine mögliche neue Mietvereinbarung treten. Dabei trifft sie auf die Verwaltung CORE, die die neue Eigentümerin repräsentiert. Die in München ansässige Firma Aramid, das ist auch die Erfahrung von Susanne Grünhagen, tritt selbst nicht in Erscheinung. Eine Kontaktaufnahme per Email, Fax oder Telefon: Fehlanzeige. Ihr aktuelles Angebot für einen neuen Mietvertrag ab 2021: nahezu 100-prozentige Mietsteigerung plus eine jährliche Staffelmiete von drei Prozent.

Für die Hebammen ist das in keinem Fall zu stemmen: »Wir sind kein profitorientiertes Unternehmen, wir können auch nicht mal eben unsere Einnahmen verdoppeln«, sagt Grünhagen. Letztere sind durch die Gebührenverordnung der Krankenkassen festgelegt. »Wir wollen ja auch keine Zwei-Klassen-Medizin«, ergänzt Grünhagens Berufsgenossin Sabrina Feldmann. »In unserem Haus steht selbstbestimmtes Gebären und auch die freie Wahl des Geburtsortes im Mittelpunkt«, beschreibt die 32-Jährige ihren Arbeitsort. Seit zwei Jahren ist sie am Arnimplatz als Hebamme dabei. Über 4600 Geburten wurden in den Räumlichkeiten bisher begleitet. »Wir erleben viel Empathie und Unterstützung«, meint Feldmann. Das habe auch damit zu tun, dass viele Familien das Maja als vertrauten Ort sähen und immer wieder kommen würden.

»Sogar die, die sich hier die Mieten schon längst nicht mehr leisten können und mittlerweile in Hellersdorf oder Pankow wohnen, wollen von uns noch betreut werden«, betont Susanne Grünhagen. »Dann müssen wir manchmal auch sagen: Das schaffen wir nicht, ihr wohnt zu weit von unserem Einzugsgebiet entfernt«, erklärt die Hebamme. Für sie steht fest: Das Maja ist nur ein kleineres Gewerbe im Kiez von vielen anderen, die dasselbe Schicksal erwartet, wenn sich die enthemmte Mieterhöhungspraxis gegenüber Gewerbemietern in Berlin nicht bald ändert. »Wir brauchen auch dafür einen Mietendeckel«, meint Grünhagen. Man führe aber nicht nur einen mietenpolitischen Kampf, sondern auch einen gesundheits- und frauenpolitischen.

Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) sieht das ähnlich: »Betongoldinteressen bedrohen diesen wertvollen Raum der Sorge. Politischer Support ist hier wichtig und richtig«, twitterte Benn Anfang August. Vielleicht erscheint ja auch er zur Protestkundgebung am Donnerstag um 18 Uhr an der Schönfließerstraße 13/ Paul-Robeson-Straße 38.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!