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Krieg um Worte und Begriffe
Phillip Becher hat eine akribische Analyse der Faschismusforschung von rechts vorgelegt
Um historische Deutungshoheit wurde schon oft gerungen. So äußerte zum Beispiel 1918 im Auftrag des Generals Erich Ludendorff ein Pressechef: »Worte sind heute Schlachten: Richtige Worte gewonnene Schlachten, falsche Worte verlorene Schlachten.« Wer die Begriffe besetze, könne siegen, tönte auch Michael Stürmer, als er in den 1980er Jahren dem Bundeskanzler Helmuth Kohl beratend zur Seite stand. Und der der emeritierte Geschichtsprofessor Heinrich August Winkler deutet alle Geschichte als »eine von Kämpfen um die Deutung der Geschichte«. Es verwundert nicht, dass deshalb der Autor des vorliegenden lesenswerten Bandes, ein junger und bereits weithin anerkannter Sozialwissenschaftler aus Siegen, von einem »Krieg« um Worte und Begriffe spricht, wenn es um Geschichte und Gegenwart des Faschismus geht. Gerade bei diesem Thema lassen sich in jüngster Zeit, in der nicht allein Faschismus fortexistiert und zunehmend auch Faschismusapologie betrieben wird, ein zielbewusstes Schaffen »richtiger« Denk- und Verhaltensmuster und neue geschichtspolitische Gefechte erkennen.
Dem begegnen zu können, nimmt Phillip Becher die wissenschaftlichen, politischen und wissenschaftspolitischen Manöver des einflussreichen US-amerikanischen Politologen A. James Gregor (1929 - 2019) in den Blick. Dieser publizierte sehr viel vor allem über den italienischen Faschismus und gilt als »Doyen« der US-amerikanischen Faschismusforschung. Seine vielfach anerkannte Forderung, die Ideologie des Faschismus endlich »ernst zu nehmen«, offen gerichtet gegen antifaschistische Interpretationen, bezeichnet Becher als einen »ideozentrischen« Ansatz, der »emphatisch-ideologisch« vertreten werde. Gregors Versuch einer »wirklichkeitstreuen Rekonstruktion der faschistischen Ideologie« führte zu einer ideengeschichtlichen Wende in der internationalen Forschung. In dieser wird mehr und mehr fast alles auf Selbstdarstellungen faschistischer Führer zurückgeführt, Objektives im Subjektiven aufgelöst und die Realität von Gewalt und Propaganda umgangen. Faschismus erscheint bei Gregor als eine »revolutionäre Macht«, die sich »aus eigener Kraft« entwickelt habe und eine Entwicklungs- und Modernisierungsdiktatur» gewesen sei. Mit starker Betonung der Rolle Mussolinis definiert Gregor den Italofaschismus, der für das ganze 20. Jahrhundert bestimmend gewesen sei, als «das erste revolutionäre Massenregime, das sich anschickte, die Gesamtheit der menschlichen und natürlichen Ressourcen einer historischen Gemeinschaft der nationalen Entwicklung zu widmen».
Darüber hinaus vertritt Gregor die These, der Faschismus sei auf der ideologischen Grundlage eines Marxismus entstanden, der sowohl in einer materialistischen sowie in einer idealistischen Spielart und in mehreren häretischen Varianten existiert habe. Zu den «Häresien» zählt er unter anderem den Bernstein-Revisionismus und den Leninismus, den Kommunismus und den Syndikalismus sowie und am Ende auch den Faschismus. Letzterer habe sich schließlich gegenüber dem Realsozialismus als die «günstigere» Variante der allgemeinen Modernisierung erwiesen. Bechers Urteil: Gregor habe in seiner Zurechtstutzung des Marxismus den Klassenkampf unterschlagen und den dialektischen vom historischen Materialismus getrennt. Im Ergebnis erscheine einerseits der Faschismus «gereinigt» von seiner Assoziation mit der politischen Rechten und andererseits auch diese von ihrem Bündnis mit dem Faschismus«. Beide könnten so als »geläutert« erscheinen, womit auch der Weg für eine Wiedergabe faschistischer Ideologie und Demagogie geebnet sei. Gregor weise eine bemerkenswert methodische Affinität zu Carl Schmitt auf und würde das Postulat Ernst Noltes, Faschismus sei als eine Reaktion auf den Bolschewismus zu verstehen, fortführen und erweitern. Nebenbei: Nolte löste damit in den 1980er Jahren einen großen Historikerstreit aus, dessen sozialwissenschaftlich fundierte Ergebnisse bekanntlich heute wieder in seinem Sinne korrigiert werden.
Seine umfassende Kritik an Gregor betrachtet Becher als einen Beitrag - bescheiden spricht er nur von einem Impuls - zu einer materialistischen Ideengeschichte. Tatsächlich liest sich sein Buch nicht nur als breite und tiefgründige Darstellung des viele Jahrzehnte umfassenden Wirkens von Gregors, sondern darüber hinaus auch als eine informierendes Kompendium über alle konservativen Denker, auf die Gregor sich berufen hat, gleich ob unterstützend, variierend oder ablehnend. Selbst kleinste und abgelegene Meinungsäußerungen über ihn sind akribisch erfasst. Das gilt ebenso für die Schar der Kritiker des Faschismus, auf die sich Becher stützt. Wer künftig ideengeschichtlich zum Thema Faschismus arbeiten will, kann und darf den vorliegenden Band nicht umgehen. Schade ist allerdings, dass kein Register zur Verfügung steht.
Bechers Konzept der Darstellung spiegelt die Marburger Gelehrtenschule von Wolfgang Abendroth wider, darin vor allem Frank Deppe, Georg Fülberth, Reinhard Kühnl, Reinhard Opitz und andere mehr. Er übernimmt gleichsam Kühnls Anspruch, alles wissenschaftliche Arbeiten müsse sich sowohl der Wahrheitsfrage als auch einer kausal-genetischen Frage sowie drittens der Frage nach Wirkung und Funktion stellen. Dem entspricht die detaillierte Gliederung des Bandes, die Biografisches und Gesellschaftliches (Becher spricht von normativ-politischen Voraussetzungen) miteinander verbindet, dann den Entwicklungsgang im Denken Gregors verfolgt und schließlich dieses mit dem anderer Autoren vergleicht. Ein eigenes Kapitel gilt dem italienischen Neofaschismus, der sich selbst eher als Postfaschismus versteht. Umrahmt wird das von einer 60 Seiten umfassenden Einleitung und ausführlichen Schlussbetrachtungen. Nahezu ein Viertel des Bandes enthält Belege, Erläuterungen und Hinweise.
Dem Autor darf gratuliert werden zu seiner gescheiten Erhellung der Faschismusforschung von rechts, die im Kern eine für rechts darstellt.
Phillip Becher: Faschismusforschung von rechts. A. James Gregor und die ideozentrische Deutung des italienischen Faschismus. PapyRossa, 688 S., br., 46 €.
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