Kaum Vielfalt in der Jobwelt

Diversitätspolitik allein führt laut einer Studie nicht zu Chancengleichheit

In 13 von 37 Mitgliedsländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) haben sich die Unterschiede in den Beschäftigungsquoten für Migranten und Migrantinnen seit 2008 verschlechtert. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Mittwoch vorgestellte Studie der OECD. Zudem gibt es OECD-weit eine zunehmende Polarisierung in der Akzeptanz von Vielfalt.

Länderübergreifend positiv ist laut der Studie hingegen die Entwicklung der Zunahme von erwerbstätigen Frauen sowie von älteren Menschen. Zudem würden OECD-weit LGBTI-Personen offener mit ihrer sexuellen Identität umgehen. Eine ebenfalls am Mittwoch veröffentlichte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung und der Universität Bielefeld ergab allerdings, dass jeder dritte Homosexuelle und mehr als 40 Prozent der Transmenschen in Deutschland im Arbeitsleben diskriminiert werden. Etwa ein Drittel der LGBTI verheimlichen zudem ihre Sexualität oder Geschlechtsidentität vor Kollegen.

In der OECD-Studie schneidet Deutschland im Vergleich mit den anderen Mitgliedsstaaten vor allem bei der Arbeitsförderung von Menschen mit Behinderung gut ab. Ihr Beschäftigungsquote ist aber trotzdem rund 20 Prozentpunkte geringer als die von Menschen ohne Behinderung. Deutschland liegt hier also nur deshalb im oberen Viertel der Vergleichsländer, weil die meisten anderen OECD-Länder extrem schlecht bei der Arbeitsintegration von Menschen mit Behinderung abschneiden. Bei der Förderung von Frauen sowie von älteren Menschen ist die Bundesrepublik im Mittelfeld, bei der Diversität in Bezug auf Menschen mit Migrationshintergrund hingegen im unteren Viertel der OECD-Länder. Die Beschäftigungsquote von ihnen liegt in Deutschland um 8,7 Prozentpunkte niedriger als bei den im Inland Geborenen.

In der Studie wurde außerdem untersucht, wie Effektiv verschiedene Fördermaßnahmen sind. Beispielsweise gebe es in den USA eine lange Tradition der aktiven Förderung von Geschlechterquoten in Vorständen, die in den vergangenen zehn Jahren auch zunehmend in Europa verbreitet sei. Ein positiver Effekt wirke sich dabei vor allem für weiße Frauen aus, während »ethnische Minderheiten« nicht von der Quote profitieren. Außerdem führen die Quoten nicht zu einer Verbesserung in den unteren Hierarchieebenen. Generell würden von Diversitätsmaßnahmen die verhältnismäßig privilegierten Menschen unter den Benachteiligten profitieren, nämlich diejenigen mit akademischen Hintergrund.

Das verbreitetste Instrument zur Förderung von benachteiligten Gruppen ist mit 44 Prozent das Diversitätstraining in Unternehmen. Die Studie kommt aber zum Ergebnis, dass dadurch gegenteilige Effekte möglich sind. Es könne eine »Wir tun doch was - Beschwerden sind ungerechtfertigt«- Einstellung begünstigen. Sinnvoll wären hingegen anonyme Bewerbungen, in denen etwa der Name, Geburtsort und das Geburtsdatum geschwärzt werden. Wenn Personen erst einmal eingeladen würden, hätten sie mehr Chancen. Die größte Hürde sei demnach, überhaupt zum Bewerbungsgespräch geladen zu werden. Wichtig sei laut OECD-Studie zudem die Kontaktaufnahme zu »Frauen und Minderheiten«, da diese weniger Netzwerke sowie ein fehlendes Wissen über offene Stellen hätten.

Der Fokus von Diversitätspolitik wird in den Ländern sehr unterschiedlich behandelt, in Frankreich gebe es laut Thomas Liebig von der OECD beispielsweise wenig Maßnahmen für Migranten, jedoch viel für arme Menschen, was indirekt wiederum auch Migranten treffen würde. Trotzdem wurden arme Menschen in der Studie nicht als eine der Gruppen untersucht, die auf dem Arbeitsmarkt benachteiligt werden. Und das, obwohl der sozio-ökonomische Status in rund der Hälfte der OECD-Länder ein offiziell anerkannter Diskriminierungsgrund ist.

Die Forscher der Studie kommen zum Schluss, dass Diversitätspolitik »Teil eines umfassenderen Paketes sozialpolitischer Maßnahmen« sein müsse, um Chancengleichheit bewirken zu können. Da Arbeitgeber in wirtschaftlich schwachen Phasen mehr diskriminieren, befürchten sie weitere negative Auswirkungen auf die Diversität durch die Corona-Pandemie.

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