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Privat auf Abwegen
Die gefeierten Social-Media-Regeln der Bundeswehr geraten nach ihrem ersten Jahr in Kritik
»Powerpoint-Ranger und Tastaturkommandant - Dran, drauf, drüber ... auch im Innendienst«. Ein Aufnäher, der auf dem Klettuntergrund am Ärmel einer Bundeswehrjacke befestigt werden kann, ist das Auftaktbild des Instagram-Videos. Mit seinem Smartphone jagt Marcel Bohnert durch ein Dienstzimmer in einem Bundeswehrstandort. »Let's move out! Fire in the hole« tönt ein Funkspruch und warnt, dass eine Explosion kurz bevorsteht. Im Hintergrund sind die Ladegeräusche einer Waffe zu hören. Mit dem Finger zeigt Bohnert auf große Poster von Soldaten, getarnten Panzern und einem Gruppenbild mit ihm im Zentrum, um den sich zuletzt alles dreht.
Für seinen Dienstherrn, die Bundeswehr, ist das auf dem Instagram-Kanal von Marcel Bohnert veröffentlichte Video ein rein privates Engagement, obwohl sämtliche Bilder in Kasernen, auf Übungsplätzen sowie an Waffen und Gerät der Bundeswehr gemacht wurden. Im Juli geriet Bohnert durch eine NDR-Berichterstattung in die Kritik. Er hatte Gefällt-Mir-Bekundungen (Likes) an rechtsradikalen Inhalten hinterlassen, einen Vortrag vor der völkischen Burschenschaft »Cimbria« gehalten und war durch seine Nähe zur Identitären Bewegung aufgefallen.
»Bitte seien Sie versichert, dass wir die Aktivitäten ganz genau beobachten«, teilt ein Sprecher des Verteidigungsministeriums mit. Bohnert liefert viel, das zu beobachten ist. Das Video ist nur kurz verfügbar, da es Teil einer schnell zusammengeklickten »Insta-Story« ist, die nur 24 Stunden online steht und dann für das Publikum nicht mehr abrufbar ist. Auch andere Aktivitäten des mittlerweile nicht mehr als »Leiter Social Media« geltenden Referenten, sind flüchtig. Der Account »incredible_bramborska«, an dem Bohnerts digitaler Zuspruch gefunden wurde, ist mittlerweile gelöscht. Dort habe Bohnert, der im Interview mit dem »Spiegel« angibt, »als Soldat voll und ganz auf dem Boden der freiheitlichen Grundordnung« zu stehen, den Beitrag »kurz gescannt« und »häufig mit einem Herz« versehen. Das ist der Kern seiner Selbstverteidigung, die von seinen Anhängern und Unterstützern als »nur drei Likes« aufgefasst wird.
Die längere Beobachtung zeigt indes, dass es nicht bei Likes geblieben ist. Sicherungen des Accounts »incredible-bramborska«, die »nd« einsehen konnte, machen deutlich, dass Bohnert sich durch seine Likes an Diffamierungskampagnen beteiligte. So auch 2017, als die damalige Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit Kasernendurchsuchungen gegen rechtsradikale Umtriebe vorging. In sozialen Medien hatte sich der Slogan »Kameradschaft gegen Flintenuschi« mit entsprechenden Hashtags verbreitet. Spätestens hier hätte Social-Media-Experte Bohnert aufmerksam werden müssen. Zahlreiche weitere Hashtags, die das Profil nutzte, weisen rechtsextreme Bezüge auf. Eine weitere Schutzbehauptung Bohnerts bröckelt, denn der Account »incredible_bramborska« nutzte bei diesen Beiträgen nicht den von Bohnert vielfach verwendeten Hashtag SocialMediaDivision.
Bohnert duldete in seinem Kanal auch die Verlinkung seines Namens in Bildern mit patriotischen Inhalten, in denen auch AfD-Accounts, wie der von Björn Höcke und Szene-Accounts mit Bezug zur Identitären Bewegung verlinkt wurden.
Auch die Accounts anderer Soldat*innen möchte die Bundeswehr als privat verstanden wissen. So nutzt der Account »Sportkameradin« in großem Umfang die Kampagnen und Designelemente der Bundeswehr-Kampagnen. Die Soldat*in, die offenbar auch dienstlich im Bereich der Nachwuchswerbung arbeitet, folgt dem mittlerweile in zivilen Firmen etablierten Modell der »Corporate Influencer«. Mitarbeiter*innen von Firmen werden zu inoffiziellen Marketingbotschafter*innen. Doch davon will die Bundeswehr nichts mitbekommen haben. »Corporate Influencer kenne ich seitens der Bundeswehr nicht« äußerte Oberst Arne Collatz Ende Juli in der Bundespressekonferenz. Er leitet den Bereich Presse im Verteidigungsministerium und dürfte die »Bild«-Schlagzeile »Neue Social Media Division: Bundeswehr sucht Influcencer« im Sommer 2019 eigentlich nicht übersehen haben.
Sicherheitsbedenken scheint es wegen der privaten Selbstexposition von Soldat*innen in sozialen Medien nicht zu geben. Die Social-Media-Regeln würden aber »laufend überprüft und gegebenenfalls angepasst«.
Nach nd-Informationen liegen dem Verteidigungsministerium und Parlamentarier*innen des Verteidigungsausschusses des Bundestags umfassende Analysen zum Umfeld vor, das Bohnert auf Basis der Social-Media-Regeln der Bundeswehr schaffen konnte. Regeln, die Bohnert mit erarbeitet hat. Zu seiner Verteidigung änderte Bohnert an einem Posting vom 23. Juli nachträglich einige Hashtags und demonstriert damit, dass eine rechtssichere Dokumentation, was ihm an problematischen Inhalten letztlich gefallen hat, kaum möglich sein wird. Am Beitrag findet sich auch der Hashtag CancelCulture, der als ideologischer Kampfbegriff überwiegend von Rechtsextremisten und Rechtspopulisten genutzt wird und beklagt, menschenfeindliche Positionen würden zu Unrecht gesellschaftlich nicht akzeptiert.
Zahlreiche private Accounts waren zur Unterstützung Bohnerts aktiv. Die Fangemeinde ist sich einig: Bohnert ist Opfer der Rufmordkampagne einer angeblich linksextremistischen NDR-Journalistin. Die Panorama-Redaktion sowie die im Beitrag als Rechtsextremismusexpertin interviewte Politikwissenschaftlerin Natascha Strobl werden im Netz massiv angefeindet. Die Panoramaredaktion nimmt zwei Wochen nach dem ausgestrahlten Beitrag zu den Vorwürfen noch einmal ausführlich in einem Artikel Stellung. Die »nur drei Likes«-Erzählung wird auch durch andere bundeswehraffine Medien weiterverbreitet. Auf seinem beruflichen Social-Media-Profil änderte Bohnert kurz nach der Berichterstattung seinen beruflichen Titel von »Head of Social Media« [Leiter Social Media] auf »just monitoring« und teilt das Interview, das »Bild.de« noch vor Ausstrahlung des NDR-Beitrags zu den Anschuldigungen mit ihm führte. Auch unter diesem Beitrag kommentieren Nutzer an der Grenze zum Lügenpressevorwurf und beschuldigen den NDR: »Der ›qualitativ hochwertige Journalismus‹ des durch überhöhte Zwangsgebühren (Steuern) finanzierte nutzlose Staatssender wird hoffentlich irgendwann als überflüssig erkannt.«
Es gibt keine »für die Bundeswehr tätigen Corporate Influencer«, bekundet auch auf erneute Anfrage »ein Sprecher des BMVg«. Ob intern der Begriff »Milfluencer« genutzt wird, ein Kofferwort aus Militär und Influencer, beantwortet man nicht. Viele Militärbezüge hat der Hashtag »Milfluencer« nicht. Einer aber besteht aus drei Bildern und einem Video. Zu sehen ist Marcel Bohnert mit seinem Team beim Fitness-Marsch in Uniform durch Berlin. Dieser gefällt über 800 Menschen. Vorn dran: der Parlamentarische Staatssekretär Peter Tauber (CDU).
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