Auf dem Lieblingsfluss des Papstes

Paddelspaß und Urwaldabenteuer auf der Drawa in Westpolen

  • Michael Juhran
  • Lesedauer: 6 Min.

Ludmiła und Tadeusz Szafranski sind sich einig, vor neun Jahren eine der besten Entscheidungen ihres Lebens getroffen zu haben. Im Internet entdeckten sie damals ein Grundstücksangebot nahe Drawno und zogen kurz entschlossen von einem Vorort Warschaus in die grüne Idylle der Pommerschen Seenplatte. Heute teilen sie dort ihr Haus, inklusive fünf einfachen Gästezimmern, mit Touristen aus aller Welt. Viel Arbeit und Liebe investierten sie in einen Angelteich, ein Fußballfeld und einen Platz zum Bogenschießen, damit sich ihre Agrotourismus-Gäste auf dem vier Hektar großen Grundstück wohlfühlen. »Wir haben hier unser kleines Paradies gefunden, von dem wir lange träumten«, berichten sie ihren Gästen am abendlichen Lagerfeuer, dessen Knistern nur vom Gezwitscher der Vögel und vom Schnurren ihrer beiden Katzen unterbrochen wird, die mit Erfolg darauf spekulieren, von den Leckerbissen auf dem Grill etwas abzubekommen.

Nur einen Steinwurf vom Refugium der Szafranskis entfernt fließt eines der abwechslungsreichsten Paddelgewässer Europas. Einst schoben Gletscher der Weichsel-Eiszeit Geröll und Sand aus dem Norden hierher. Aus den Moränen entstand eine postglaziale Flusslandschaft mit malerischen Seen, waldbedeckten Hügeln und sattgrünen Auen. Die knapp 190 Kilometer lange Drawa ist ein Paradies für Outdoor-Fans und Wassersportler gleichermaßen. 32 Kilometer schlängelt sich der Fluss durch den 1990 gegründeten Drawieński-Nationalpark.

Eine der schönsten Paddeltagestouren beginnt bereits nördlich des Nationalparks an der Brücke von Prostynia und führt über 17 Kilometer nach Drawno. Eine seichte Strömung lässt die von Tadeusz antransportierten Kajaks auf dem mit Weißen Seerosen und Gelben Teichmummeln drapierten und von dichten Schilfgürteln gesäumten Fluss dahingleiten. Es geht an Schwanenfamilien mit ihren neugierigen Jungen, Biberburgen und unzähligen Vogelnestern vorbei. Ab und zu flattern schillernde Eisvögel aus dem Schilf, am Himmel kreist ein Fischadler.

Nach wenigen Kilometern ändert sich die Landschaft abrupt. Die Drawa bahnt sich nun ihren Weg durch einen schattigen Espen- und Buchenwald. Von Bibern und Stürmen gefällte Bäume verwandeln Abschnitte des Flusses in einen natürlichen Hindernisparcours, der jedoch zwischen all den Stämmen und Ästen stets ein Schlupfloch für die Paddler offenhält. In Höhe des Weilers Podgórze lädt ein idyllischer Biwakplatz mit Lagerfeuer zu einer Pause ein, bevor es durch ein ausgedehntes Schilfdelta in den See Grażyna und damit zurück nach Drawno geht.

Nachdem man im Nationalparkhaus in Drawno zwei Euro Gebühr für das Befahren der Drawa im Nationalpark entrichtet hat, startet die zweite Paddeletappe mit der Querung des Dubie-Sees (Jezioro Dubie). Die vom Wind aufgeschäumten Wellen sorgen mit ihren Spritzern für Erfrischung, bis es auf der abzweigenden Drawa scheinbar ruhiger wird. Doch der Schein trügt. Die Fließgeschwindigkeit des kleinen Stromes nimmt im tief in den Waldboden eingeschnittenen Flussbett deutlich zu, gleicht eher einem Gebirgsbach. Zu den vielen umgestürzten Bäumen gesellen sich Findlinge, die sich tückisch unter der Wasseroberfläche verbergen. Jetzt wird es sportlich - und abenteuerlicher als erwartet. Mal gelingt es, mit starken Paddelschlägen über quer liegende Bäume und Steine zu rutschen, mal zwängt man sich flach liegend unter einen Stamm hindurch, was bei der rasanten Strömung zuweilen zu einer Herausforderung wird.

Die Hindernisse stacheln den Ehrgeiz der Paddler an, jedes gemeisterte Handicap setzt Adrenalin frei, bis schließlich am Biwakplatz Barnimie einsetzender Starkregen doch eine Weiterfahrt verhindert. Hier erinnert ein Gedenkstein an Papst Johannes Paul II., der in seiner Jugend mehrfach mit dem Boot auf der Drawa unterwegs war. Da sich 2020 der Geburtstag des weltbekannten Geistlichen zum 100. Mal jährt, gedenken etliche Polen an den Wochenenden ihres Landsmannes mit einer Paddeltour auf seinem Lieblingsfluss.

Aber auch zu Fuß ist die Erkundung des Nationalparks ein Erlebnis. Rund 100 Kilometer Wander- und Radwege von See zu See und sechs sehr schöne Biwakplätze bieten jedem Outdoor-Begeisterten in dem 114 Quadratkilometer großen Schutzgebiet eine außergewöhnlich abwechslungsreiche Flora und Fauna. Orientierungshilfe gibt es im Nationalparkhaus in Głusko. Eine kleine Ausstellung mit Aquarien informiert über die 39 Fisch- und 160 Vogelarten inklusive Fisch- und Seeadler, Uhu, Schwarzstorch, Kranich, Gänsesäger sowie Schwarz- und Rotmilan, die den Park zu ihrer Heimat erkoren haben. Direktor Paweł Bilski ist besonders stolz darauf, dass es in den letzten 30 Jahren gelang, über ein Drittel des Parks zu renaturieren, Nutzwald in wilden Mischwald umzuwandeln. Selbst die Wiederansiedlung der einst ausgestorbenen Lachse zeigt Erfolge. Spätestens beim Anblick 350 Jahre alter knorriger Eichen, riesiger Buchen und Erlen im nur acht Kilometer entfernten Urwald in Radęcin, einem der letzten Europas, wird deutlich, welche Naturschätze den Besucher im und um den Drawienski Nationalpark erwarten.

Technikinteressierte legen am Wasserkraftwerk von Kamienna einen Zwischenstopp ein. Es grenzt nahezu an ein Wunder, dass dieses technische Denkmal aus dem Jahre 1903 noch immer tadellos funktioniert, wobei zwei Turbinen mit dem Wasser der Drawa eine Leistung von 0,96 Megawatt erzeugen. Es gehört zu den ältesten noch arbeitenden Wasserkraftwerken der Welt. 2018 wurde die Anlage um eine 230 Meter lange Fischtreppe erweitert, auf der heute auch Lachse zu ihren Laichgründen wandern. Noch tiefer in die Vergangenheit begibt man sich auf der Burg Draheim (Zamek Drahim) an den Ufern des Drawsko-Sees. Hier schrieben der Templer- und der Johanniterorden Geschichte, die im 13. und 14. Jahrhundert diese strategisch wichtige Anlage auf dem Salzweg von Südeuropa nach Norden errichteten. Im Siebenjährigen Krieg brannte die Ordensburg zwar ab, aber im renovierten Innenhof lässt sich mit etwas Phantasie nachvollziehen, wie der Ritter-Alltag im Mittelalter verlief.

Gleich neben der Burgruine lockt ein Imbiss mit romantischem Blick auf den See. Doch die meisten Wasserwanderer und Outdoor-Begeisterten zieht es zurück zum Biwak an der Drawa, wo bereits das Lagerfeuer brennt, der Grill wohlige Gerüche verbreitet, Erlebnisse des Tages ausgetauscht werden und man mit Gleichgesinnten in tiefsinnige Gespräche verwickelt wird.

Tipps

Allgemeine Informationen:

Anreise: Fahrt mit dem Auto von Berlin auf der A11 über Szczeczin nach Drawno (240 km).

Unterkunft: Agrotourismus »Kardasowka«,

12 Euro pro Nacht

www.kardasowka.pl

Hotel Pałac Siemczyno,

Drei-Sterne-Hotel auf ehemaligem Rittergut, 59 Euro/Nacht, nahe dem Drawsko-See

www.palacsiemczyno.pl

Aufenthalt und Übernachtung auf einem Biwakplatz im Nationalpark inkl. bereitgestelltem Feuerholz:

5 Euro pro Nacht. www.dpn.pl/de

Nationalpark:

Drawieński Park Narodowy, in den Infozentren in Drawno und in Głusko kann man alle Gebühren entrichten sowie Angellizenzen, Parkkarten und Publikationen kaufen. www.dpn.pl/de

Beste Reisezeit

September bis Oktober. Im Juli und August sind besonders an den Wochenenden viele Paddler unterwegs. Die Nationalparkstrecke ist in der Zeit vom 15. März bis 1. Juli aus Naturschutzgründen gesperrt.

Geführte Touren:

Albatros Outdoor, 8-Tage-Paddeltour: 675 Euro (pro Erwachsener im Doppelzelt)

www.drawa-outdoor.de

Die Recherche wurde unterstützt vom polnischen Fremdenverkehrsamt.

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