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Der Freund ohne Netzwerk
Zum Tod des Schauspielers Birol Ünel
Hat nicht jeder diesen einen besonderen Freund? Der eigentlich immer trinkt, den man zwei- oder dreimal im Jahr irgendwo trifft? Man freut sich, ihn zu sehen, auch wenn er wie immer schlecht aussieht und schon mittags zwei Bier intus hat? Und dann muss man daran denken, was der alles hätte aus sich machen können, bei seinem Talent. Dieser eine Talentierte, der mit dieser verrenkten Welt nicht klarkommt. Und der irgendwie über all dem Unsinn um ihn herum zu stehen scheint.
Glaubt man den persönlichen Erzählungen von Weggefährten, scheint der Schauspieler Birol Ünel einigen von ihnen dieser eine besondere Freund gewesen zu sein.
Ünel, der die ersten sechs Jahre seines Lebens in der Türkei unter anderem bei seiner Großmutter aufwuchs und dann von seinen Eltern, die Gastarbeiter waren, nach Deutschland geholt wurde, ins 10 000-Einwohner-Dorf Brinkum bei Bremen, zog es früh in die linke Szene. Die Schauspielerin Ulrike Folkerts erzählte 2005 dem Journalisten Sven Hillenkamp für sein »Zeit«-Stück »Der Heftige« davon, dass Ünel sich an Antifa-Aktionen beteiligte. Einmal habe er »mehrere Neonazis alleine angegriffen und sei im Krankenhaus gelandet. Warum er denen nicht aus dem Weg gegangen sei, fragte Ulrike Folkerts. Das habe Birol Ünel gar nicht verstanden«. Ein weiteres Bonmot über Ünel erzählt Regisseur Andy Bausch. Demnach habe Ünel bei den Dreharbeiten zum luxemburgischen Film »A Wopbopaloobop A Lopbamboom« »von Anfang an dem ganzen Team und dem Land Luxemburg überhaupt misstraut«.
Später spielte und inszenierte er in Berlin Kafkas »Ein Bericht für eine Akademie« und Camus’ »Caligula«, großartige Literatur über Ausgrenzung, Unbehagen und Verzweiflung an der Welt, aber auch den Missbrauch von Macht und Privilegien. In den 90ern spielte Ünel auch den Siegfried in Castorfs »Nibelungen - Born Bad« an der Berliner Volksbühne.
Rassismus, Ablehnung, selbst erfahrene Ausgrenzung aufgrund seiner Biografie waren Ünels Lebensthemen. Der Filmregisseur Neco Çelik sieht in Ünel einen Seelenverwandten: »Er fand diese Leute abstoßend, die immer zuerst die Herkunft sahen, bevor sie den Menschen kannten. Auch er hatte mit diesen Hinterwäldlern im Kulturbetrieb seine Erfahrungen gemacht.«
Was für eine Befreiung muss es für den damals kaum bekannten 43-jährigen Ünel gewesen sein, von Fatih Akin im Film »Gegen die Wand« Szenen und Dialoge auf den Leib geschrieben zu bekommen - etwa den Dialog zwischen dem von Ünel gespielten türkischen Einwanderersohn Cahit Tomruk und dem Psychologen Dr. Schiller, der Tomruk nach seinem Selbstmordversuch fragt: »Woher kommt eigentlich der Name Tomruk?« »Aus der Türkei«, antwortet Tomruk. »Ich meine, was bedeutet er?«, so Schiller. »Keine Ahnung«, sagt Tomruk. »Die Namen haben doch alle so eine schöne Bedeutung«, meint Schiller. »Ist das so?«, so Tomruk. »Mhm. Viel mehr als bei uns. Zumindest von den Vornamen weiß ich das«, sagt Schiller. Schnitt. Und bei Ünels Blick in dieser Szene ahnt man, dass Hermann Lause, der den Schiller spielt, froh gewesen sein dürfte, dass Ünel ihm nicht an den Hals gesprungen ist.
»Darf ich Ihnen mal was sagen, Doktor?«, beendet Tomruk schließlich die Sitzung, »Sie haben doch voll den Knall, oder?« Birol Ünel ist hier in seinem Element. Die Rolle des Cahit Tomruk war die Rolle seines Lebens, auch wenn Neco Çelik zuzustimmen ist, wenn er erklärt: »Wer sagt, er habe sich nur selbst gespielt, hat keine Ahnung von Schauspiel.«
Ünel erhielt für diese Darstellung den Deutschen Filmpreis, die Rolle war sein Durchbruch als Schauspieler. Doch ähnlich wie nach seinem bemerkenswerten Auftritt in »A Wopbopaloobop A Lopbamboom«, der 1989 schon manches Kritikerlob einheimste, oder seiner grandiosen Verkörperung des palästinensischen Flugzeugentführers Captain Mahmud in Heinrich Breloers »Todesspiel« verliefen Ünels Leben und Karriere auch nach »Gegen die Wand« alles andere als geradlinig, irgendwann präsentierten ihn die Boulevard-Schmierer von der B.Z. hämisch als bankrotten, trinkenden und wütenden Obdachlosen.
»Während seine Weggefährten an ihren Karrieren feilten und Communities auf Social Media unterhielten«, schreibt Imran Ayata in der FAZ, »schien es kein Netzwerk für Birol zu geben.« und Hillenkamp bemerkte, Ünel spiele, »weil er es liebt zu spielen, nicht um berühmt zu werden«.
Am 4. September ist Birol Ünel in Berlin verstorben. Fatih Akin schrieb auf Instagram: »Ruhe in Frieden, mein Freund. Du hattest ein Licht in Dir, das mich immer überwältigt hat.«
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