Cum-Ex ist nicht Geschichte

Eine Studie zeigt, dass dubiose Geschäfte rund um den Dividendenstichtag weiter möglich sind

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

So richtig freuen wird sich vermutlich keiner in der SPD auf die Sitzung des Bundestagsfinanzausschuss am Mittwoch. Schließlich wird die Opposition dann die Glaubwürdigkeit ihres Kanzlerkandidaten in Zweifel ziehen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz wird erklären müssen, warum er im März bezüglich seiner Verbindungen zur Warburg-Bank nicht ganz die Wahrheit gesagt hat.

Damals gab er ein Treffen mit dem Miteigentümer der Privatbank, Christian Olearius, zu. Jetzt kam heraus, dass es 2016 und 2017, als Scholz Hamburgs Erster Bürgermeister war, drei Zusammenkünfte und ein Telefonat gab. Das Pikante daran: Die Steuerbehörde verzichtete damals darauf, von der Bank 47 Millionen Euro einzutreiben, die dem Fiskus aufgrund illegaler Cum-Ex-Geschäfte der Bank eigentlich zustanden. Manch ein Sozialdemokrat will dies als einen alten Hut abtun.

Doch für Gerhard Schick geht der Skandal nicht nur wegen solcher Verwicklungen weiter. »Die Vorstellung, Cum-Ex sei etwas von gestern, ist eindeutig falsch«, sagt der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete und Gründer der Bürgerbewegung Finanzwende. So sind ähnliche Geschäfte weiterhin möglich, wie eine am Montag veröffentlichte Studie zeigt, die seine Initiative bei dem Wirtschaftsanwalt und Steuerexperten Alexander Heist in Auftrag gab.

Bei klassischen Cum-Ex-Deals wurde mit Aktiendeals rund um den Dividendenstichtag die mehrfache Rückerstattung einer einmal gezahlten Kapitalertragsteuer erschlichen. Möglich machte dies eine Gesetzeslücke, die der Gesetzgeber erst im Jahr 2012 schloss. Die ähnlich konstruierten Cum-Cum-Geschäfte waren sogar bis ins Jahr 2016 noch möglich. »Auch heute erscheint es möglich, dass so gut wie keine Kapitalertragsteuer auf Dividendenauszahlungen beim Fiskus ankommt«, schreibt nun Heist, der früher unter anderem bei der Finanzaufsicht Bafin, der Europäischen Zentralbank und der Beraterfirma Deloitte arbeitete. Aufgrund von Ansprüchen aus Doppelbesteuerungsabkommen könne es darüber hinaus weiterhin zur (mehrfachen) Erstattung nicht gezahlter Steuer kommen.

Es geht um sogenannte derivate Cum-Ex-Geschäfte oder Cum-Cum-Deals mit Leerverkäufen. Meist verkaufen dabei ausländische Aktieninhaber ihre Wertpapiere rund um den Dividendenstichtag an deutsche Partner, um sich so die Kapitalertragsteuer zu sparen. Einen anderen Sinn haben diese Deals nicht. Dass sie rechtswidrig sind, lässt sich laut Heist mit Artikel 42 der Abgabenordnung begründen. Denn dieser besagt, dass Geschäfte missbräuchlich sind, wenn sie lediglich dazu dienen, Steuern zu sparen.

Zwar hat die Politik solche Geschäfte bisher noch nicht auf dem Schirm, doch der potenzielle Schaden ist hoch. Zwischen 50 und 60 Prozent der von deutschen Unternehmen ausgeschütteten Dividenden gehen an ausländische Eigentümer. Zudem macht den Steuerrechtsexperten Heist stutzig, dass rund um den Dividendenstichtag bis zu 60-mal mehr Aktien gehandelt werden als während des Rests des Jahres.

»Bei organisierter Finanzkriminalität muss Deutschland endlich mit der ganzen Härte des Gesetzes durchgreifen«, sagt Gerhard Schick. »Jeder Täter muss vor Gericht landen.« Doch es hapert schon an der juristischen Aufarbeitung der alten Cum-Ex-Deals, die den Fiskus mindestens zehn Milliarden Euro kosteten. Nach sieben Jahren Ermittlungen wurden gerade einmal zwei Täter verurteilt - zu Bewährungsstrafen. Nur ein Bruchteil des Milliardenschadens wurde bisher zurückgeholt. Viele Taten drohen zu verjähren.

Dies liegt auch an der mangelhaften personellen Ausstattung der Ermittlungsbehörden. In Nordrhein-Westfalen, wo die Staatsanwaltschaft Köln rund 90 Prozent aller Cum-Ex-Fälle bearbeitet, stehen rund 900 Beschuldigten weniger als 50 Ermittlern zur Verfügung. Gerhard Schick und sein Verein Finanzwende fordern deshalb von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) die Schaffung einer »Soko Cum-Ex« mit mindestens 150 Ermittlern. »Der Staat darf sich nicht erneut vorführen lassen«, fordert Aktivist Schick.

Um der Sache Nachdruck zu verleihen, hat Finanzwende eine Petition im Internet gestartet. Bereits rund 3600 Menschen haben diese unterschrieben. »Zusammen mit Bürgerinnen und Bürgern wollen wir Armin Laschet in die Pflicht nehmen, beim größten Steuerraub der deutschen Geschichte für die nötigen Ermittlungskapazitäten zu sorgen«, so Finanzwende-Vorstand Schick.

Zunächst wäre es für ihn bereits ein Fortschritt, dass die Politik zumindest nicht mehr das Falsche macht. Gemeint ist der vergangene Woche von der Bundesregierung beschlossene Entwurf für das Jahressteuergesetz 2020. Die Opposition warnt, dass damit alte Cum-Ex-Deals schneller verjähren und die schwarz-rote Bundesregierung verhindert, »dass der Fiskus sich die Milliarden aus Cum-Ex-Steuerraubgeschäften zurückholen kann«, wie es etwa die Sprecherin der Grünen für Finanzpolitik, Lisa Paus, formuliert.

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