• Berlin
  • Tag der Wohnungslosen

Wohnungslose unter Druck

Die Angst vor Räumung oder Kündigung ist groß - und berechtigt

  • Claudia Krieg
  • Lesedauer: 3 Min.

Am Dienstagmorgen um neun Uhr war alles zusammengekehrt. Vom »Wohnzimmer« unter den Bögen der Oberbaumbrücke über die Spree ist nichts mehr übrig. Die obdachlosen Menschen, die dort seit langer Zeit ihren Unterschlupf haben, sind verschwunden. BSR-Beschäftigte schieben unter den Augen von Ordnungsamt und Polizei Matratzen und Schlafsäcke zusammen und hieven die Habseligkeiten in ein Müllauto.

Der Grund, so heißt es seitens des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg: Das »raumgreifende Campieren« habe die regelmäßige Reinigung der Brücke verhindert. »Beräumungen von Obdachlosencamps wie auf der Oberbaumbrücke sind das letzte Mittel der Wahl und erfolgen immer mit begleitenden Angeboten zur Hilfestellung«, lautet die Antwort auf nd-Nachfrage. Mit diesem Vorgehen folge man den Leitlinien des Senats. Das Streetwork-Projekt, mit dem das Sozialamt zusammenarbeitet, habe die Campierenden auf die bevorstehende Beräumung hingewiesen. Von Seiten der zuständigen Diakonie Stadtmitte hätten Sozialarbeiter*innen versucht, eine Klärung und »nach Möglichkeit den Verweis in weiterführende Hilfen« durchzuführen. Auf »nd«-Nachfrage möchte man sich seitens der Diakonie dazu nicht äußern. So muss auch am Mittwoch unklar bleiben, ob die Menschen in Notunterkünfte oder an die Soziale Wohnhilfe des Bezirks verwiesen wurden.

Auch Ronny G. hat bis zum Dienstag gebangt, ob er demnächst wieder auf der Straße leben muss. »Ich hatte Angst, obdachlos zu werden«, sagt der 30-Jährige zu »nd«. Erst kurzfristig konnte sich der junge Mann am Nachmittag mit dem Verein My Way, der seit drei Jahren Wohnungslose wie ihn unterbringt und berät, gütlich einigen - vorerst.

Monatelang hatte G. sich seinen Aussagen zufolge gegen Bevormundung und Zuschreibungen durch Betreuer*innen von My Way gestemmt - bis ihm von der Geschäftsführung angekündigt wurde, die Hilfe, das heißt die Unterkunft, zu kündigen. Dabei habe er sich nur dagegen ausgesprochen, einer Überführung in die sogenannte Eingliederungshilfe zuzustimmen, sagt der wohnungslose Künstler. Auch wiederholte Umzüge habe er aus persönlichen Gründen nicht einfach vollziehen können. »Ich stand sehr unter Druck, im Sinne des Vereins zu kooperieren, dabei sollte es doch bei der Wohnungssuche auch um meine Bedürfnisse gehen.« Zum Glück, sagt G., habe er sich gewehrt und die Öffentlichkeit sowie anwaltliche Unterstützung gesucht. »Allein hätte ich das nicht gepackt«, erklärt der Künstler. Er könne allen in seiner Situation nur raten, sich mit Beistand und Unterstützung, zum Beispiel durch die Erwerbsloseninitiative Basta, für die eigenen Rechte einzusetzen.

Auch seitens des Vereins My Way zeigt man sich zu dem Fall erleichtert. »Wir haben einen Unterkunfts- und Betreuerwechsel vereinbart«, erklärt Marco Schulze, Geschäftsführer von My Way gegenüber »nd« am Mittwoch. Man wolle prüfen, an welchen Stellen die Wahrnehmung einer »paternalistischen Haltung« entstanden sein könnte, heißt es weiter.

Für den Tag der Wohnungslosen am Freitag rufen Initiativen wie die Selbstvertretung wohnungsloser Menschen oder das Armutsnetzwerk zu einer Kundgebung vor dem Roten Rathaus. Um 19 Uhr soll es von dort aus eine Demonstration zum Alexanderplatz geben. »In Berlin sind Tausende Menschen obdachlos. Sie sind auf der Straße Kälte, Gewalt und dem Coronavirus ausgesetzt«, erklären die Organisator*innen. Gleichzeitig gebe es aus Spekulationsgründen massenhaften Leerstand von Wohnungen. Dies sei ein Skandal und Wohnen ein Menschenrecht.

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